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Römerreich –Spätantike – Christentum (300 – 375)

Kaiser Konstantin und die christliche Kirche

Durch das Mailänder Edikt von 313 verkündeten die beiden römischen Augusti (Kaiser) Konstantin und Licinius für alle Religionen Toleranz; heidnisch-altrömische oder orientalische Religionen und Sekten waren nicht länger imstande, dem Reich und seiner Gesellschaft eine einheitliche Welt- und Lebensauffassung zu geben. Deshalb verband sich fortan der römische Staat immer stärker mit der christlichen Religion. Je mehr er sich verchristlichte, um so stärker institutionalisierte sich die Kirche unter seinem Einfluß; sie wurde zur hierarchisch geordneten religiösen Heilsanstalt und erfüllte religiöse wie staatlich-politische Funktionen. Auf diesem Wege wuchs die Kirche auch in die Rolle der Erbin und Bewahrerin der staatlichen sowie geistig-kulturellen Tradition des römischen Weltreichs hinein. Der Bund mit Kirche und Christentum, das Kaiser Theodosius am Ende des 4. Jahrhunderts zur alleinigen Staatsreligion erhob, gab dem römischen Staat noch einmal genug Kraft, trotz härtester Einbrüche an den Grenzen und tiefgehender innerer Auflösung für mehr als eineinhalb Jahrhunderte zu überleben. Der Sieg Konstantins an der Milvischen Brücke bei Rom (312) über seinen Gegner Maxentius und das Mailänder Toleranzedikt haben tatsächlich eine Grundlage der christlichen Welt des Mittelalters gelegt, das die Gestalt Konstantins immer in ehrfürchtiger Scheu als den ersten christlichen Kaiser verehrte.

In der Verteidigung Galliens, der kulturträchtigsten Provinz des Westens, groß geworden, setzte Kaiser Konstantin sich in Kämpfen mit dem Mitkaiser Licinius zuletzt bei Chrysopolis (Üsküdar) (324) nochmals als Alleinherrscher im römischen Weltreich durch. Weisheit und Berechnung, aber auch der Einfluß seiner Mutter Helena haben den Skeptiker gegen das Alte wie das Neue dem Christentum genähert. Bei der berühmten Kirche von Santa Croce in Rom stehen heute noch die Mauern des Palastes der Kaiserinmutter Helena, die dort eine Unterkirche mit einem Boden aus Palästina erbaut und dem Gotteshaus seinen reichen Schatz an Partikeln vom Kreuze Christi geschenkt haben soll. Unweit dieser Kirche aber übergab der Kaiser dem römischen Bischof einen großen Bezirk, auf dem heute die Lateranbasilika und der Lateranpalast stehen, einst Sitz des Papsttums und der Kurie. Die reichen Schenkungen des Herrschers an die römische Kirche verzeichnet das berühmte Papstbuch (Liber pontificalis), das die Lebensbeschreibung der Päpste enthält. Der Konstantinsbogen zu Rom zwischen den alten Kaiserpalästen auf dem Palatin und der Kolossalruine des Kolosseums gemahnt an die weltbedeutende Entscheidung des Kaisers, der vermutlich erst auf dem Sterbebett Christ wurde.

Weil ihm die Reichseinheit am Herzen lag und er nach einem geistigen Bindemittel dafür suchte, weil er für seine Macht eine Seele und für sein Regiment ergebene Helfer benötigte, darum schloß dieser freie Geist den Bund mit der Kirche, wie es auch der Eroberer Chlodwig und der königliche Hausmeier Pippin, wie es selbst die Herren der Goldenen Horde im moskowitischen Rußland des Spätmittelalters taten. Der Politiker Konstantin, der die Reichskonzilien einberief und präsidierte, der der mehrheitlichen Meinung zum Siege verhalf, ließ sich beeindrucken von der Überzeugungskraft christlicher Lehre und Lebenshaltung, der Reinheit und Mystik des christlichen Kultes, der gehorsamen Hingabe der Christen an priesterliche Führung und der Geduld in der Anerkennung der Ungleichheiten des Lebens. Er betrieb moralische Aufrüstung von Familie und Ehe gegen Sittenverfall und Klassenkampf.

Die Christen waren ein Element des Ausgleichs in Staat und Gesellschaft, weil sie Gehorsam gegen die Staatsgewalt forderten und dem absolutistischen Monarchen an Stelle einer fragwürdig gewordenen »Göttlichkeit« eine neue religiöse Würde und Legitimation, ja Legitimität verliehen; der Gottkaiser, dem die Christen Opfer darzubringen sich weigerten, wurde zum kaiserlichen Stellvertreter des Christengottes auf Erden, zum weltlichen Allherrscher. Die neue Form der christlichen »Theokratie«, die auch Karl der Große (um 800) übte, war geboren; in Byzanz wurde sie am klarsten entwickelt, weil ihr nicht wie im Abendland der geistliche Anspruch des römischen Bischofpapstes Widerpart leistete. Nur kurze Zeit führte im 11. Jahrhundert der deutsche König-Kaiser seit dem sächsischen Heinrich II. (1002 –1024) den Titel »Stellvertreter Christi auf Erden«. Die absolute Monarchie Konstantins und seiner Nachfolger gewann in der Hierarchie und der weltweiten Autorität der Großkirchen Werkzeuge der Reichseinheit, des Reichsfriedens und der Reichsherrschaft sowie in der Weltherrschaft Christi die geistige Entsprechung für die Weltherrschaft des Kaisers.

Die Grundgedanken der mittelalterlichen Kaiseridee und Reichstheorie waren damit schon gefunden, das neue Verhältnis von Staat und Kirche war geistigreligiös begründet. In Dankbarkeit für die Beendigung der Christenverfolgungen und für reiche Privilegien fanden sich Klerus und Kirche bereit, eine Mitverantwortung für Staat und absolute Herrschaft zu übernehmen, die sie ebenso belastete wie eine allzugroße philosophische Hypothek.

Bis Konstantin, dem Schöpfer der monarchischen Form einer christlichen Theokratie, war der antike »Stadtstaat« die Keimzelle politischen Lebens und blieb bis zum Ende des Reiches das Einteilungsprinzip des Weltstaates. Die antike Kultur war eine urbane, städtische, bürgerliche Form des Lebens. Im municipium (= Stadt), das in civitas (= urbanen Siedelverband) und pagus (Gau = ländliches Stadtgebiet) zerfiel, übte die Gemeinschaft freier Bürger politische Herrschaft kraft Delegation der freien Genossen. Die Stadt, nicht eigentlich das Land, war das Wirkungsfeld des sich ausbreitenden und einsickernden Christentums. Dieses nahm Formen urbanen Lebens an und wurde vornehmlich zu einer Stadtreligion, die sich lange auch im Frühmittelalter nicht der vorherrschenden Agrarstruktur anpassen konnte.

Konstantin ersetzte den Prinzipat des »besten« und die Autorität des »reichsten« Mannes bei der freien Bürgergemeinde durch das Gottesgnadentum des Herrschers, das ihn weit über alle »Untertanen« hinaushob. Hier knüpfte er auch an unantike, orientalische Traditionen des »Priesterkönigtums« an und entwickelte gedanklich und institutionell Formen einer christlichen »Sakralherrschaft«, die ihm Macht über die Menschen seines Reiches gab. Diesen präsentierte er sich als »Apostelgleicher« und »Stellvertreter Christi« und forderte von ihnen Anerkennung für seine göttlich legitimierte Universalherrschaft. Konstantinopel, nach ihm benannt, wurde 326 die neue Hauptstadt seines Weltreiches mit hellenistischer Weltkultur. Er verstand sich als Mittelpunkt des Kreises der zwölf Apostel in der Apostelkirche seiner neuen Reichsmetropole und leitete daraus, obwohl noch ungetauft, für sich das Recht ab, auf dem ersten ökumenischen Konzil zu Nicaea 325 den Vorsitz über die Bischöfe zu führen.

Das byzantinische Hofzeremoniell und der Thronsitz für zwei Personen symbolisieren die Tatsache, daß dieser Kaiser die »weltliche Einheit der Kirche« und die »geistliche Einheit des Reiches«, die er beide schuf, in der »Apostolischen Majestät« und im »Vikariat Christi auf Erden« verankerte.

In der sakralen Theokratie Konstantins des Großen war die politische Theorie und Theologie Europas bis zur Französischen Revolution angelegt, die erst das echte Königtum abschaffte. Sie war ein weitreichendes Erbe der christlichen Spätantike an die europäische Welt.

Der Bund kaiserlicher Universalherrschaft und hierarchischer Heilsanstalt bewirkte ein neues Verhältnis zwischen Gott, Religion, Kirche, Recht, Dienst einerseits, Welt, Macht, Herrschaft andererseits. Diese neue Ordnung überlebte unter kirchlichem Vorzeichen den Zusammenbruch des römischen Weltreiches und das langsame Versickern seiner Weltkultur. Deshalb gab es auch keine Katastrophe am Ende der antiken Welt, sondern einen lange vorbereiteten Übergang, ein Auslaufen im Merowingerreich auf dem Boden der römischen Provinz Gallien. Diese Ordnung wurde ein neuer Weg für das Werden Europas seit dem 7. Jahrhundert. Das Christentum, seine Bindung an den spätantiken Staat und dessen Kultur wurden Grundelemente der neu sich bildenden europäischen Gesellschaft, die alle Stämme und Nationen umfaßte, die in dem kleinen, vielfältig gestalteten Kontinent das im Christentum verwandelte Erbe der Antike übernahmen und schöpferisch weiterentwickelten.

In einer weithin heidnischen Welt begann das Christentum sowohl in der Antike wie bei den Germanen seinen stärksten einigenden Einfluß auf die Gleichschaltung der religiösen Volkstraditionen auszuüben; dadurch empfahl es sich Konstantin wie Chlodwig als Werkzeug und geistige Kraft. Als Religion für Individualisten wie für Massen hatte es sich von der Umklammerung popularer Mysterienreligionen, Kultgenossenschaften und Riten allmählich befreit und auch seinen Tribut dabei an die großstädtische Weltzivilisation der Spätantike mit ihrem Skeptizismus, ihrer Nervosität, ihrem extremen Kollektivismus und Individualismus gezollt.

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