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Umschichtung von Wirtschaft und Gesellschaft

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Entscheidende Anlässe für das Versagen des römischen Staates lagen in Wirtschaft, Währung, Steuersystem, deren Zusammenbruch im 3. Jahrhundert bereits die große Heeres- und Verwaltungsreorganisation Diokletians notwendig machte. Letztere aber verwandelte Wirtschaft und Gesellschaft des ausgehenden Reiches von Grund auf. Seine größte Einnahme bezog der Staat von der auf dem landwirtschaftlichen Besitz ruhenden Grund- und von der Kopfsteuer, die an Hand eines umfassenden Steuerkatasters alle fünfzehn Jahre neu geschätzt wurde. Arbeitskraft des Menschen und Durchschnittsertrag waren die Berechnungseinheiten.

Die Hauptsteuer hatte in der Spätantike der Boden abzuwerfen; dazu kamen indirekte Steuern auf Umsätze und Zölle, dann ungemessene persönliche Dienste und Naturalleistungen, die der Bürger dem Staat schuldete. Persönliche Dienste waren Hand- und Spanndienste für öffentliche Bauten, Truppenverpflegung, Herbergs- und Quartierpflicht für marschierende Truppen und reisende Staatsbeamte, Stellung von Zugtieren für die kaiserliche Post. Aber von all diesen Lasten waren Senatoren, Großgrundbesitz und Kirche befreit, sie genossen Immunität. Dadurch wurde der »immune« Besitz der drei Vorzugsklassen zu einer Art »Enklave« im Staat; die Steuer- und Dienstpflicht lastete auf den Mittel- und Unterschichten.

Für die bürgerliche Gesellschaft des Römerreiches wurde es entscheidend, daß die städtische Führungsschicht der wohlhabenden Bürger schon in der Revolutions- und Inflationszeit des 3. Jahrhunderts zusammenschmolz und sich dann auf dem Lande und als Mitglied der Senatorenklasse der Vernichtung ihres Restvermögens entzog; diese Wohlhabenden führten Verwaltung in Stadt und Landgebiet ehrenamtlich und hafteten mit ihrem Privatvermögen für die Aufbringung des Steuersolls, sie zahlten auch Restschulden aus eigener Tasche. Die Mitglieder des Stadtrates hafteten für die Schwächen ihrer Amtsführung mit dem eigenen Vermögen.

Dieser Umschichtungsprozeß führte zu einer Proletarisierung und Nivellierung des städtischen Bürgertums, zu einer finanziellen, gesellschaftlichen, kulturellen und moralischen Ausleerung der Stadt, der Grundzelle des römischen Staates, ihrer Gesellschaft und Kultur. Wenn das Römerreich überleben wollte, mußte es ein Zwangsstaat werden. Um die Ämterflucht zu verhindern, machte man städtische Verwaltung zum erblichen Frondienst für den Bürger und dehnte solche Dienstverpflichtung auch auf andere Bereiche des Lebens aus. Die Folge war eine »kastenmäßige« Gesellschafts- und Lebensordnung, weil jeder Mensch, besonders der im Dienste des Staates stehende (Soldat, Beamter), durch Gesetz erblich an den Beruf gebunden wurde. Da der Staat immer mehr Großunternehmen wie Bergwerke, Waffenfabriken, Münzstätten in eigene Regie nahm, wurden die Zwangsdienstverpflichteten Legion. Das lähmte die Privatinitiative in der Wirtschaft; der unaufhaltsame Rückgang des Geschäfts sowie die Einschrumpfung des freien Marktes zwangen den Staat, als Hauptabnehmer in die Bresche zu springen.

Allein in Trier, der Metropole der praefectura Galliarum, gab es an staatlichen Regiebetrieben eine Münzerei, zwei Webereien und drei Waffenfabriken. Da infolge von Verlusten und schlechten Arbeitsbedingungen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt einander nicht mehr entsprachen, fesselte der Staat seine Arbeiter an Arbeitsplatz und Beruf, errichtete ein staatliches Zunft- und Gewerkschaftswesen und überwachte so die Arbeiterbewegung.

Diese Regelung griff auch im privaten Versorgungs- und Transportgewerbe, im Baugewerbe und sogar in der Unterhaltungsindustrie Platz. Das Leben verlor seine Freizügigkeit und damit seine Freiheit. Die städtischen Massen blieben so lange ruhig, als der Staat sie fütterte und eine angenehme »Freizeitgestaltung« durchführte. Panem et circenses (= Brot und Spiele) war die Parole.

Wenn der Städter etwas zu essen haben wollte, mußte auch der freie Pachtbauer auf dem Lande durch Erbpacht an die Scholle gebunden werden, damit der Boden angebaut und abgeerntet, die fällige Steuer bezahlt wurde; denn der Mangel an ländlichen Arbeitskräften war riesengroß. Das freie Mittel- und Kleinbauerntum war längst untergegangen, und der Großgrundbesitz hatte den größten Teil des Bodens erworben. In den Provinzen teilten sich in den Landbesitz die Domänen von Staat, Kaiser, Senatorenaristokratie, der Potentes (= Mächtigen), der Stadtgemeinden, der Tempel und Kirchen. Die Steuerkataster verzeichneten neben den Besitzeinheiten und der Viehstückzahl auch die schollegebundenen Pachtbauern als unveränderliches Zubehör von Hof und Gut, das nur noch mit dem Hof im ganzen verändert werden konnte.

Diese wirtschaftliche und soziale Struktur des bäuerlichen Landes und seiner Menschen setzte sich vor allem in Gallien, aber auch in Italien bis in das Mittelalter fort und beeinflußte auch die »Grundherrschaft« im ganzen Frankenreich, genauso wie das spätantike Steuerwesen.

Die Zwangsgesellschaftsordnung der Spätantike mit ihren kontrollierten Berufsständen, erblichen Genossenschaften und fixierten Leistungen für die Öffentlichkeit verhinderte jeden sozialen Wechsel und Aufstieg, jede Mobilität, jede gesunde Dynamik. Diese »statische« Gesellschaft ohne eigene Kraft und Antrieb wurde reif für Überschichtung und Assimilation, für einen langsamen Ausgang und Übergang in eine neue Kultur. Für die antike Welt bedeutete dies Abstieg und Ende, für die germanisch-provinziale Welt, die viele Elemente aus dem antiken Gesellschafts-, Wirtschafts-, Staats- und Kulturgefüge übernahm, aber war es Werkzeug und Grundlage der eigenen Gesellschaft und Kultur.

Weil das Römerreich im Westen sich gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch und geistig zu so einfachen, statischen Formen zurückentwickelt hatte, darum konnte sich trotz Invasionen, germanischer Eroberung und Reichsbildung auf römischem Boden der Übergang zum neuen Mittelalter so reibungslos vollziehen. Chlodwigs Frankenreich wird den Beweis für diese Feststellung bringen.

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