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Zur Beurteilung der römischen Politik gegenüber den hellenistischen Mächten

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Roms Politik gegenüber Griechenland und den Staaten des hellenistischen Ostens wird im 2. Jahrhundert v. Chr. durch einen bestürzenden Wandel der Methoden wie der Moral charakterisiert. Die Namen von Titus Quinctius Flamininus und Popilius Laenas markieren eine Entwicklung, die den weiten Bogen vom großzügigen Einsatz einer, ungeachtet aller römischen Eigeninteressen, betont griechenfreundlichen Politik bis zur kalten Arroganz der späteren Repräsentanten einer Weltmacht umspannt.

Der Paralysierungsprozeß, den Rom hier einleitete und vorantrieb, ist von Montesquieu bis zu Rostovtzeff scharf kritisiert und zu Recht verurteilt worden. Der Gebrauch des Begriffes ‘Hegemonie’ wäre ein Euphemismus für die irritierenden Formen römischer Interessenvertretung und Machtentfaltung in dieser Epoche. Einzig vom Resultat her, nach den brutalen Kategorien einer reinen Erfolgsethik, ließe sich diese tückische, langfristig aus römischer Sicht erfolgreiche Politik rechtfertigen.

Doch die modernen Perspektiven und Erwartungen sind deshalb falsch, weil die römische Ostpolitik nicht konsequent auf ein bestimmtes, fernes Ziel hin orientiert war, auch nicht bewußt betrieben und systematisch koordiniert wurde, sondern gerade aus einer Fülle einzelner Aktionen und Fallentscheidungen bestand, die dann freilich zuletzt doch alle zusammen zu einem einheitlichen Ergebnis führten. Die abstoßenden Erscheinungen des 2. Jahrhunderts v. Chr. mit der Vielzahl von Einzelinterventionen durch Gesandte und Kommissionen rühren gerade daher, daß die Römische Republik in diesem Bereich ihrer Politik weder über eine verbindliche Gesamtkonzeption verfügte, noch eine direkte Übernahme der Verantwortung wollte.

Die Gesamtentwicklung läßt sich indessen auch nur dann erklären, wenn die Situation auf der Gegenseite gebührend berücksichtigt wird. Erst die Voraussetzungen der römischen Beherrschung und Okkupation: die Existenz eines polyzentrischen Mächtesystems in Griechenland und im hellenistischen Osten, die Schwäche von Staaten, die aus eigener Kraft nie zu gemeinsamem Handeln und erst recht nicht zu gemeinsamer Abwehr gegen Rom finden konnten, wie die Fülle der regionalen, ethnischen wie sozialen Gegensätze, die immer wieder zu beleben und gegeneinander auszuspielen waren, lassen ahnen, warum die römische Politik hingenommen wurde. Nach Magnesia und Pydna existierte im hellenistischen Osten kein Gegengewicht mehr, Rom schien sich jetzt alles leisten zu können.

Doch auch andere Zusammenhänge sind in Rechnung zu stellen. Seit dem Antiochoskrieg wuchsen auf römischer Seite einerseits Mißtrauen und Bitterkeit über die Enttäuschungen mit den neuen Abhängigen in Griechenland wie in Kleinasien, andererseits der Widerwille über Schwulst und Unterwürfigkeit, sicher auch List und Verschlagenheit der Schwächeren. All dies trug — neben der später zu besprechenden Materialisierung der römischen Politik in dieser Epoche — mit zu jenem Klima bei, in dem die römischen Politiker schließlich immer brutaler vorgingen.

Es entspricht modernen Erfahrungen, prinzipielle Gegner Roms und Exponenten des griechischen ‘Widerstandes’ wie Anhänger und Stützen der römischen Politik mit bestimmten sozialen Gruppen zu identifizieren. Doch alle Versuche solcher Kombinationen haben bisher die Fragwürdigkeit pauschaler Gleichsetzungen erwiesen. Plausibel ist in solchem Zusammenhang hingegen der Nachweis Rostovtzeffs, daß es im 2. Jahrhundert v. Chr. zu einer Polarisierung der Besitz- und Vermögensverhältnisse innerhalb der griechischen Gesellschaft kam, damit auch zu einer weitgehenden Vernichtung des mittleren Bürgertums und damit jener Schicht, die so lange Zeit die griechische Politik wie Zivilisation getragen hatte.

Es ist einsichtig, daß sich die prinzipielle Diskussion um die Einschätzung der römischen Expansionspolitik immer wieder an den Fragen des Ausbruchs des 2. Makedonischen Krieges entzündete, denn offensichtlich gab es nach diesem Schritt auf dem einmal eingeschlagenen Weg kein Zurück mehr. Theodor Mommsen hat einst jene Entscheidung durchaus gebilligt und doch zugleich deutlich gemacht, daß es sich dabei nicht um die erste Phase eines gigantischen Welteroberungsplanes handelte. Das Verständnis der römischen Intentionen aber wird durch Mommsens Hinweis erleichtert, daß „die römische Regierung… bloß wünschte, nicht übermächtige Nachbarn neben sich zu haben“.

Hier ist wohl der entscheidende Punkt berührt: Die mittelitalische Kleinstadt Rom lag lange genug im Kräftefeld „übermächtiger Nachbarn“ oder solcher, die man dafür hielt. Zur Zeit der frühen und der mittleren Republik war der „sehr tüchtigen aber etwas beschränkten Ratsherrenversammlung“ die Beobachtung aller Entwicklungen bei den Nachbarn längst in Fleisch und Blut übergegangen. Mit der Unterwerfung Italiens aber weitete sich der Kreis der Nachbarn ganz unvermeidlich aus, und die oft präventiven Interventionen mußten dementsprechend zu immer weiter reichenden Konsequenzen führen. Einen ‘Isolationismus’ aber duldeten Instinkt, Mentalität und Prestige der römischen Führungsschicht nicht. Nicht einmal die Folgen der Einmischungen in Messana und Sagunt schreckten ab.

Es drängt sich deshalb die Frage auf, ob die römische Expansionspolitik mit dem Beginn des 2. Makedonischen Krieges tatsächlich eine neue Qualität erlangt, und diese Frage ist doch wohl zu verneinen, obwohl sie nicht nur akademische, sondern auch moralische Probleme berührt. Zu der besonderen Akzentuierung an dieser Stelle konnte es nur deshalb kommen, weil die Darstellungen der römischen Geschichte, bewußt oder unbewußt im Banne von Mommsens Geschichtsbild einer „nationalen Einigung durch Rom“ stehend, alle früheren Übergriffe und Expansionsakte Roms diesem angeblich vorgegebenen Ziel unterordneten, während erst hier, bei Roms Eingriff in das kulturell überlegene griechische Mutterland, die Bedenken wuchsen.

Es kommt jedoch darauf an, sich jene Kontinuität der römischen Politik und Expansion zu vergegenwärtigen, die bereits die früheren Entscheidungen bestimmt hatte. In den immer weiteren Radien des römischen Einflußbereichs treten diese Konstanten lediglich in neuen Dimensionen und damit immer klarer hervor. Diese Sicht ist jedoch keineswegs neu, sondern bereits in Johann Gottfried Herders ›Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‹ (1784—1791) entwikkelt und in einer imponierenden Geschlossenheit dargestellt worden.

Die römische Expansion ist so, vom Resultat her gesehen, alles andere als eine „Weltherrschaft wider Willen“. Doch es ist ebenso mißverständlich, die römische Politik als „imperialistisch“ zu bezeichnen, denn alle Versuche, den Römern Motivationen zu unterstellen, die auch nur entfernt im Einklang mit den modernen Imperialismusbegriffen stehen, haben sich als verfehlt erwiesen. Ziel der römischen Kriegführung waren weder Rohstoffbasen noch Absatzmärkte, weder die Menschenjagd noch die Inbesitznahme möglichst großer Territorien, obwohl auch die Römische Republik das Potential der Provinzen für ihre Zwecke auf vielfältige Weise ausgebeutet hat.

Krise und Untergang der römischen Republik

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