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Die Struktur der römischen Bundesgenossenschaft
ОглавлениеKrisensymptome zeigten sich in diesem Augenblick jedoch auch im Verhältnis der Stadt Rom zu ihren alten Bundesgenossen. In diesem Fundament der römischen Herrschaft über die Apenninhalbinsel waren jetzt die ersten Risse zu erkennen. Die einst so fortschrittlich strukturierte Organisation der römischen Bundesgenossenschaft, die in den Kriegen gegen Pyrrhos und Karthago im 3. Jahrhundert v. Chr. ihre große Bewährungsprobe abgelegt hatte, hielt die ihr im Laufe des 2. Jahrhunderts auferlegten Belastungen nicht mehr aus. Um die eingetretenen Spannungen zu ermessen und zu verstehen, ist es freilich notwendig, die Grundzüge der Organisation der römischen Bundesgenossenschaft ins Bewußtsein zu rufen und die sehr verschiedenartigen rechtlichen und administrativen Kategorien zu skizzieren.
Das wichtigste Kriterium für die politische Einstufung war nach wie vor das römische Bürgerrecht. Die römischen Vollbürger lebten in ihrer Masse in geschlossener Ansiedlung, naturgemäß in Rom selbst, daneben aber auch — ebenfalls geschlossen siedelnd — als Bürger der römischen Kolonien. Denn in der Zeit von 335 v. Chr. bis 177 v. Chr. waren insgesamt rund dreißig römische Kolonien angelegt worden. Rückblikkend lassen sich dabei zwei verschiedene Phasen der römischen Kolonisation unterscheiden:
Die römische Kolonisation beginnt mit der Anlage relativ kleiner Kolonien, meist in Küstennähe und zum Küstenschutz — wie zum Beispiel Ostia und Antium — oder mit ganz bestimmten militärischen Sicherungsfunktionen im Landesinnern. In der Regel wurden jeweils nur 300 Bürger in einer solchen Kolonie zusammengefaßt, Bürger, die selbstverständlich ihr politisches Stimmrecht behielten, das sie allerdings nur in Rom selbst ausüben konnten. Erst ganz allmählich bildete sich dann in diesen Kolonien auch eine eigene, lokale Verwaltung aus. In einer zweiten Phase der römischen Kolonisation wurde die besondere Gemeindeverwaltung der römischen Kolonien dann schon von allem Anfang an eingerichtet. Das war vor allem bei den großen Kolonien mit mehreren Tausend Kolonisten unumgänglich, wie sie seit dem Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Norditalien gegründet wurden.
Zahlenmäßig eine weit geringere Rolle als die römischen Bürger, die in Rom oder in den Kolonien in geschlossenen Verbänden lebten, spielten die in Einzel- und Streusiedlungen beheimateten römischen Vollbürger, die sich — wo immer es ging — auch zu kleineren Konventikeln zusammenschlossen, den conciliabula oder fora civium Romanorum. Wie sehr sich nun auch die drei genannten Gruppen römischer Vollbürger durch ihren Siedlungsort und ihre Siedlungsart voneinander unterschieden, so ist ihnen doch gemeinsam, daß sie zu ihrem römischen Bürgerrecht durch Geburt oder Freilassung gekommen waren.
Davon sind nun alle diejenigen Personen zu trennen, die aus Gemeinwesen stammten, denen Rom aus primär politischen Gründen das römische Bürgerrecht en bloc verliehen hatte. Hierzu zählen zunächst die Angehörigen und Bewohner der sog. oppida civium Romanorum (später municipia), das heißt jener Städte und Gemeinden, denen Rom das volle Bürgerrecht übertragen hatte, wie zum Beispiel um 381 v. Chr. Tusculum — Gemeinwesen, die daneben aber immer ihre eigene Verwaltungsautonomie beibehielten.
Hiervon zu unterscheiden sind die sogenannten municipia civium Romanorum (ursprünglich auch civitates sine suffragio), eine Kategorie, in die als älteste Gemeinde Caere eingegliedert wurde, später unter anderem auch Capua. Den Bürgern dieser Gemeinden waren anfangs nur die zivilrechtlichen Qualitäten des römischen Bürgerrechts zugestanden worden, nicht dagegen die politischen. Wie in der Definition sine suffragio zum Ausdruck kommt, besaßen diese Personen somit kein Stimmrecht und konnten demnach ihren politischen Willen nicht als römische Bürger äußern. Doch ging die Entwicklung dahin, daß auch dieser Gruppe das volle römische Bürgerrecht verliehen wurde, denn die Angehörigen dieser Kategorie dienten gleichfalls in den römischen Legionen. So kam es, daß sich um 133 v. Chr. die ursprünglichen Unterschiede zwischen den oppida civium Romanorum und den civitates sine suffragio schon weithin eingeebnet hatten, so daß beide Kategorien schließlich einfach als municipia bezeichnet wurden.
Skizze Nr.6: Italien im Jahre 133 v. Chr.
Noch wesentlich differenzierter als die verschiedenen Gruppen römischer Bürger und als die Gemeinden mit römischem Bürgerrecht stellen sich die römischen Verbündeten dar. An ihre Spitze gehören die Bundesgenossen mit latinischem Bürgerrecht, die socii nominis Latini, die wiederum in drei verschiedene Gruppen zerfallen: Eine erste bilden die ursprünglich unabhängigen latinischen Städte – wie Tibur und Praeneste —, die zu Rom in ein zweiseitiges Vertragsverhältnis traten, als im Jahre 338 v. Chr. — nach dem großen latinischen Aufstand — der latinische Bund aufgelöst wurde.
In eine zweite Gruppe gehören die alten latinischen Kolonien — wie Signia, Norba und Ardea —, die vor dem großen latinischen Aufstand vom Latinischen Bund und Rom gemeinsam gegründet worden waren, in eine dritte die nach 338 v. Chr. gegründeten latinischen Kolonien. Hierzu zählen die insgesamt über 40 latinischen Kolonien, die zwischen 338 und 180 v. Chr. auf römische Initiative entstanden, Kolonien, die — wie gesagt — schon rein äußerlich größer waren als die römischen Kolonien, im allgemeinen zwischen 3000 und 6000 Kolonisten zählten, wobei allerdings die beteiligten Römer ihr römisches Bürgerrecht verloren.
Die wichtigsten Rechte, welche die Bundesgenossen latinischen Rechtes im einzelnen besaßen, waren erstens das Recht auf conubium und commercium, das heißt Geschäfts- und Eheverträge zwischen Latinern und Römern waren auch nach den Kategorien des römischen Rechts in vollem Umfang rechtsgültig, eine Übereinkunft, die in den Bahnen der zwischenstaatlichen Beziehungen der Antike durchaus keine Selbstverständlichkeit war, sondern einer solchen besonderen Fixierung bedurfte.
Zweitens gehörte dazu das sogenannte ius migrandi. Den Inhabern des latinischen Rechtes wurde damit zugestanden, bei einer dauernden Übersiedlung nach Rom, nach Meldung bei den Censoren und Eintragung in die römischen Bürgerlisten, das volle römische Bürgerrecht zu erlangen. Da sich diese Möglichkeit aber für die latinischen Städte und Kolonien selbst schon sehr bald als nachteilig erwies, wurde sie zunächst eingeschränkt und an die Voraussetzung geknüpft, daß der betreffende Latiner mindestens einen erwachsenen Sohn in der Heimatstadt zurückließ.
In der späten Republik ist dann auch diese Regelung beseitigt und durch das ins adipiscendi civitatem Romanam per magistratum ersetzt worden. Dabei handelte es sich um Folgendes: Das römische Bürgerrecht wurde nun automatisch an die ranghöchsten Magistrate, an die Bürgermeister der latinischen Städte verliehen. Mit dieser Maßnahme ist ein sehr folgenschwerer Schritt vollzogen worden, durch den gleichsam die Weichen für die spätere römische Bürgerrechtspolitik gestellt wurden. Denn diese neuen römischen Bürger blieben in ihren Heimatgemeinden wohnen, im Gegensatz zu den Latinern, die bisher gerade durch eine Veränderung ihres Wohnsitzes erst in den Besitz des vollen römischen Bürgerrechts gelangen konnten. Sodann konnten künftig nicht mehr Latiner aller sozialen Schichten durch den bloßen Umzug römische Bürger werden, sondern die über eine Magistratur in ihren Heimatgemeinden zum römischen Bürgerrecht gekommenen Männer gehörten naturgemäß der Schicht des Großbürgertums an, das heißt jener Schicht, die dann auch in der römischen Kaiserzeit weithin die Zivilisation des Römischen Reiches trug.
Das dritte Recht, das alle Latiner besaßen, war das ins suffragii ferendi. Alle Latiner, die sich in Rom aufhielten, konnten dort — allerdings in jeweils nur einer Tribus — abstimmen, die vorher durch das Los in den Comitia Tributa festgesetzt worden war. Dieses Recht unterschied sie demnach am stärksten von den Angehörigen der schon erwähnten civitates sine suffragio, die keine derartige Möglichkeit besaßen.
Im übrigen behielten die latinischen Gemeinden ihre volle eigene Verwaltung und Verfassung bei, an ihrer Spitze standen in der Regel duoviri oder praetores, sie besaßen ihren eigenen Rat, ihre eigene Volksversammlung, hatten ihre eigenen Gesetze, ihre eigene Rechtsprechung und Münzprägung. Die Städte und Kolonien latinischen Rechtes wurden von Rom auch nicht mit Steuern oder Tributen belastet, sie hatten aber im Kriegsfall Truppen zu stellen. Schließlich ist noch zu sagen, daß nicht alle Städte dieser Kategorie genau die gleichen Rechte besaßen, sondern in Einzelheiten unterschieden sie sich noch durch weitere Abstufungen. So wissen wir zufällig aus einer Cicero-Stelle, daß lediglich die Einwohner von 12 latinischen Kolonien auch über das Recht verfügten, römische Bürger zu beerben.
Noch wesentlich differenzierter als bei den socii Latini lagen die Dinge bei der zweiten Hauptkategorie der römischen Bundesgenossen, bei den Socii oder Foederati. Sie werden zunächst unterschieden in die beiden Gruppen, welche foedera aequa oder foedera iniqua besaßen, wobei zu bemerken ist, daß die Definition foedus iniquum nicht antik ist, der Sache nach aber selbstverständlich sehr häufig vorkommt. Das foedus aequum, also ein Bündnis zwischen zwei völlig gleichrangigen Mächten, ist von Rom nur äußerst selten eingegangen worden, beispielsweise im Falle von Massilia und im Falle von Bündnissen mit hellenistischen Großmächten.
In Italien war das foedus iniquum die Regel. Das heißt die Bündnispartner behielten zwar ihre Souveränität, de facto galten jedoch die römischen Interessen als übergeordnet. Der Bereich, den wir heute als Außenpolitik ansprechen, wurde vor allem völlig einseitig von Rom bestimmt. Ähnlich wie bei den Gemeinden latinischen Rechtes gab es indessen auch hier keine Steuer- und Tributleistungen an Rom, sondern ebenfalls nur im Kriege die Gestellung von Truppen, die dann immer in eigenen Formationen und unter dem eigenen Kommando der verbündeten Macht dienten. Um diesen Überblick abzurunden, ist schließlich noch darauf hinzuweisen, daß Rom in seinen Beziehungen zu anderen Mächten neben den besprochenen foedera und der amicitia, einem fixierten Freundschaftsverhältnis mit Partnern gleichen Ranges, auch noch eine spezielle Form der amicitia et societas kannte. Dabei handelte es sich um eine einseitige Entscheidung Roms; der betreffende Staat, meist außeritalische Fürsten, Könige oder Gemeinden, wurde in ein besonderes Register eingetragen.
Dieses so stark differenzierte System hatte es den Römern bis ins 2. Jahrhundert v. Chr. erlaubt, ihre eigenen Interessen und ihren politischen Primat in Italien mit den Ansprüchen der Bundesgenossen zu koordinieren. Der Grundzug dieser auch für antike Verhältnisse außerordentlich vielgliedrigen Organisation war zunächst, die direkte Einmischung Roms in die innere Politik und Verwaltung der Partner auf ein Mindestmaß zu beschränken, im Kriegsfalle jedoch die einheitliche militärische und politische Lenkung durch Rom zu sichern. Solange es bei den großen Kriegen des 3. Jahrhunderts v. Chr. darum ging, die Einfälle des Epeiroten Pyrrhos und seiner Söldner oder die Vorstöße der Kelten abzuschlagen und später dann die Angriffe der Punier aufzufangen und zurückzuwerfen, so lange hatte sich die Bündnisgemeinschaft als Wehr- und Interessengemeinschaft auch in jeder Hinsicht bewährt.
Aber im 2. Jahrhundert v. Chr. wurde dieses Verhältnis durchgehend gestört. Dies lag einmal daran, daß sich das allgemeine Kräfteverhältnis inzwischen immer stärker zugunsten Roms verschoben hatte. Nach der Einnahme von Syrakus und Tarent hatte die Stadt am Tiber in Italien keine gleichrangigen Rivalinnen mehr zu fürchten, Rom war längst für das ganze westliche Mittelmeerbecken zur Metropole geworden; die Fiktion eines Bündnisses zwischen Gleichberechtigten ließ sich je länger, desto weniger aufrechterhalten. Eine vielleicht kaum zu vermeidende Folge dieser Entwicklung war, daß die römischen Beamten den Verbündeten gegenüber jetzt einen neuen Ton anschlugen und sich immer häufiger provozierend verhielten. Der Konsul des Jahres 173 v. Chr., L. Postumius, ist der erste römische Magistrat, dem wegen seines herrischen Auftretens in Praeneste der Vorwurf des Amtsmißbrauchs gegenüber Verbündeten gemacht wurde, aber er ist nur einer in einer langen Reihe. Es kam hinzu, daß Rom nun auch, im Gegensatz zu früher, immer häufiger in die inneren Angelegenheiten der Bundesgenossen eingriff, so zum Beispiel in die Rechtsprechung, wie dies für die Bacchanalienprozesse von 186 und auch bei einem Luxusgesetz von 142 v. Chr. belegt ist. In beiden Fällen hat Rom auch von seinen Verbündeten zum eigenen Vorgehen parallele Maßnahmen verlangt.
Umgekehrt schwoll in jenen Jahrzehnten aber nicht nur den römischen Magistraten der Kamm, sondern die römischen Verbündeten reagierten jetzt auch immer empfindlicher. Das rührte vor allem daher, daß sie nach wie vor in beträchtlichem Ausmaß zu militärischen Einsätzen herangezogen wurden, während man sie bei der Verteilung von Kriegsbeute häufig ebenso benachteiligte wie bei den Reformen des römischen Militär- und Disziplinarrechtes. Hier waren besonders die leges Porciae, die porcischen Gesetze aus den 90er Jahren des 2. Jahrhunderts, in den Augen der Bundesgenossen ein besonderer Skandal, weil diese Gesetze wohl den römischen Bürgern im Militärstrafrecht eine humanere Behandlung gebracht hatten, indem sie die bisher ohne Berufungsmöglichkeit gegebene Todes- und Prügelstrafe für Soldaten abschafften und die Auspeitschung römischer Bürger durch die Liktorenruten in Zukunft untersagten, nicht dagegen die entsprechenden Strafen gegen Bundesgenossen abstellten.
Zu den Mißständen, die sich hier häuften, kamen noch die Folgen der schon besprochenen wirtschaftlichen Entwicklungen auf der italischen Halbinsel hinzu, Schwierigkeiten, die in der Sicht der Verbündeten lediglich Ergebnisse der römischen Politik waren. So kam eins zum anderen, um die Bundesgenossen Vor- und Nachteile abwägen zu lassen, die sich für sie aus der Ausweitung des römischen Imperiums ergeben hatten. Sie empfanden den Druck stärker, der auf sie ausgeübt wurde, sahen von ihrem Einsatz einen geringeren Nutzen als früher und wurden sich darüber klar, daß alle weiteren Erfolge ausschließlich Rom zugute kämen.