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Die „Bacchanalienfrevel“ von 186 v. Chr. als Krisensymptom
ОглавлениеDie sogenannten Bacchanalienfrevel des Jahres 186 v. Chr. sind keineswegs nur eine religionsgeschichtliche oder kriminelle Erscheinung, sondern ein Ereignis von denkbar großer gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. Sie stehen in folgendem Zusammenhang: Der Dionysoskult ist in Rom schon für das 3. Jahrhundert v. Chr. bezeugt. Vermutlich wurden dann um die Jahrhundertwende jene neuen Riten der Bacchanalia aus Kampanien und Etrurien eingeführt, die später verdächtigt worden sind. In diesen nächtlichen Festen zu Ehren des Dionysos ließen sich die Teilnehmer durch Musik und Tanz enthusiasmieren, und da die Zirkel auch geheime Erkennungszeichen hatten, konnte ihnen unschwer mancherlei unterstellt werden, obwohl nicht völlig auszuschließen ist, daß sich während der Kultakte verbrecherische Vorfälle ereigneten.
Offensichtlich veränderten sich die Bacchanalia zu Beginn des 2. Jahrhunderts insbesondere in drei Punkten: Ursprünglich hatte es sich um einen reinen Frauenkult gehandelt, jetzt waren auch Männer zugelassen. Ursprünglich fanden die Versammlungen lediglich dreimal im Jahr statt, waren somit kaum bemerkt worden, jetzt wurden sie bereits fünfmal in jedem Monat abgehalten, waren also jede Woche zu beobachten. Ursprünglich wurden die Feiern bei Tag abgehalten, jetzt fanden sie nachts statt.
Auf Grund einer Anzeige beim Prätor ordnete der römische Senat eine Untersuchung an, die Priester wurden verhaftet, jede Kulthandlung verboten, gegen die Eingeweihten ein Verfahren eröffnet. Nach genauerer Untersuchung wurden von den Mitgliedern der Bacchanalienzirkel indessen nur diejenigen zum Tode verurteilt, die Verbrechen begangen hatten und dieser auch überführt waren. Diejenigen Mitglieder, die lediglich den Eid abgelegt, aber sich nicht strafbar gemacht hatten, wurden später straffrei gestellt. Im Gegensatz zu den römischen Verfahren in den Christenprozessen wurden somit lediglich Verbrechen bestraft, die in innerem Zusammenhang mit dem Kult standen, nicht jedoch allein schon die Zugehörigkeit zur Kultgemeinschaft. Der Kult selbst ist wieder auf seine alten Formen zurückgeführt worden.
Die Vorfälle wurden vom römischen Senat sehr ernst genommen. Der inschriftlich erhaltene Senatsbeschluß, der in der Sitzung vom 7. Oktober 186 v. Chr. beim Bellonatempel gefaßt wurde, belegt, daß Rom parallele Maßnahmen auch in allen verbündeten italischen Städten anordnete und offensichtlich entschlossen war, alle Gefährdungen im Keim zu ersticken. Gefährdungen aber sah man nicht nur in den Verstößen gegen Sitte, Moral und alte religiöse Formen, sondern insbesondere auch in der Vermischung der Angehörigen der verschiedenen sozialen Gruppen und der Geschlechter in den nächtlichen Feiern.
Die Entwicklung des Bacchanalienkultes ist so ein weiteres Indiz dafür, daß große Kreise der römischen Bevölkerung von den herkömmlichen Gottheiten und den herkömmlichen religiösen Formen nicht mehr befriedigt wurden, sich vitaleren Kräften auslieferten und die alten Bindungen sprengten. Gleichzeitig drangen nun in Rom jedoch auch mannigfache Elemente der hellenistischen Philosophie ein, der Rationalismus der Stoa, Skepsis und Determinismus, der sich vor allem im zunehmenden Einfluß der Astrologie bemerkbar machte. Einerseits zerfiel damit die alte Glaubenseinheit immer mehr, andererseits wurden auf vielfältigste Weise neue geistige Energien entbunden.