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Entwicklung der römischen Führungsschicht
ОглавлениеIn unmittelbarem Zusammenhang mit den besprochenen Veränderungen im Bereich der Wirtschaft stehen jene der römischen Führungsschicht und Staatsstruktur. Den Sieg im 2. Punischen Krieg hatte zwar das ganze römische Volk mit seinen Verbündeten errungen. Nutznießer war indessen in erster Linie die römische Nobilität. Ihre Politik hatte sich am Ende als richtig und erfolgreich erwiesen. Die Katastrophen ihrer Gegner — wie des C. Flaminius — in jenem Ringen trugen ebenso zum Ausbau ihrer Stellung bei wie das äußerlich glänzende Prestige der folgenden Jahrzehnte, als aus allen Teilen der Mittelmeerwelt in Rom Gesandtschaften eintrafen, um Entscheidungen oder Gunst des Senates und des römischen Volkes zu erbitten. Das Ansehen der führenden Körperschaft, die auctoritas senatus, war nie größer als zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. Damals war der Senat wirklich, wie treffend gesagt worden ist, „die Quelle aller politischen Initiative und also die soziale und politische Mitte der staatlichen Ordnung“ (J. Bleicken).
Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kreis der tatsächlich regierenden Adelsfamilien damals außerordentlich klein war: Im 2. Jahrhundert v. Chr. besetzten praktisch nur 25 Familien des römischen Hochadels alternierend das Konsulat. Allein das Geschlecht der Cornelier konnte rund ein Zehntel aller Konsulate auf sich vereinigen, neben ihm standen insbesondere die Claudier, Fulvier, Aemilier, Postumier, Fabier und Sempronier im Vordergrund. In umgekehrtem Verhältnis dazu gingen die Chancen der sozialen Aufsteiger entschieden zurück; zwischen 191 und 107 v. Chr. drangen lediglich zwei homines novi bis zum Konsulat vor.
Stellung und Macht der römischen Führungsschicht werden neuerdings häufig etwas pauschal mit ihrem Sozialprestige erklärt. Übernimmt man die Kategorie, so ist in Rechnung zu stellen, daß sie im konkreten Anwendungsbereich durch eine Vielzahl von Elementen konstituiert wird. Konstanten waren die Zugehörigkeit zu einem der alten Adelsgeschlechter, sei es ursprünglich patrizischer oder plebeiischer Provenienz, in jedem Falle der Nobilität und damit der Verfügung über eine entsprechende Klientel, Familienbesitz, die Verbindungen einer einflußreichen Verwandtschaft. Dazu traten jedoch die von Fall zu Fall völlig verschiedenen Variablen: Begabung und Einsatz, politische Aktivität und wirtschaftlicher Erfolg, Heiraten und Verheiratungen der Kinder. Gewiß lassen sich hier in den Epochen der mittleren und der späten Republik kontinuierliche Linien beobachten. Indessen ist die Tatsache wichtiger, daß für einen Angehörigen der Führungsschicht seit den Punischen Kriegen Möglichkeiten zu dynamischer Entfaltung im politischen und wirtschaftlichen Bereich vorhanden waren, die es in ähnlichen Dimensionen früher nie gegeben hatte.
Es kommt hinzu, daß das Sozialprestige der römischen Führungsschicht keine statische, ein für allemal feststehende Größe war. Mit sanktionierten Geblütsrechten hatte es nichts zu tun. Es beruhte auf dem Ansehen, das Leistungen des betreffenden Geschlechts oder der betreffenden Person für die res publica begründet hatten, es beruhte auf der Bekleidung von Magistraturen und der Übernahme von Funktionen, wie der Priesterämter — aber es bedurfte fort und fort neuer Legitimation und Behauptung. Es zwang damit auch zu unaufhörlicher Aktivität für die Interessen der eigenen Familie, der Klientel wie des ganzen Staates.
Die weitgehende Geschlossenheit der römischen Führungsschicht entspringt nicht zum wenigsten der Identität ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen und der Identifizierung dieser Interessen mit jenen der Republik insgesamt. Allein die Stellung der einzelnen Familien und Geschlechter innerhalb der führenden Schicht zwang zur Selbstdarstellung in einer für moderne Maßstäbe oft als penetrant erscheinenden Form. Zu den alten Ehrenzeichen der Tunika mit dem breiten Purpurstreifen, dem latus clavus, den eigentümlichen Sandalen und dem goldenen Ehrenring kamen jetzt neue demonstrative Sonderrechte, wie Ehrensitze bei den Spielen. Am eindrucksvollsten aber war die immer wieder neue, öffentliche Demonstration der Bilder der Verstorbenen, die Polybios geschildert hat: „Jedesmal, wenn ein Verwandter in hervorragender Stellung stirbt, führen sie alle diese Masken bei der Leichenfeier mit, und zwar legen sie sie Leuten an, die jenen nach Größe und Körpergestalt möglichst ähnlich sehen. Wenn die Verstorbenen Konsuln oder Prätoren waren, so tragen diese die Tunika mit dem Purpurstreifen, war einer Censor, die ganzpurpurne. Hatte er einen Triumph gefeiert oder eine entsprechende Tat vollbracht, so legen sie goldgestickte Gewänder an. Sie fahren auf Wagen; Rutenbündel, Beile und die anderen herkömmlichen Abzeichen der verschiedenen Ämter werden entsprechend dem einstigen Rang und der Staatsstellung der Verstorbenen vorausgetragen. Sobald sie zu den Rostra gelangt sind, lassen sich alle der Reihe nach auf elfenbeinernen Stühlen nieder. Wenn dann der Redner die Taten des soeben Verstorbenen gerühmt hat, so beginnt er von jenen Vorfahren zu sprechen, die hier in ihren Abbildern gegenwärtig sind, und zwar von Glück und Erfolg eines jeden, beim Ältesten beginnend. Indem man so stets die Erinnerung an Ehre und Ansehen tüchtiger Männer lebendig erhält, wird der Ruhm solcher bedeutender Taten unsterblich.“ (VI, 53f.)
So wurde die römische Innenpolitik in jener Zeit weitgehend von den politischen Formationen der sogenannten Adelsparteien beherrscht. Einem ungeschriebenen Solidaritätsgesetz ihres Standes folgend, haben dabei die einzelnen Faktionen die Existenz rivalisierender Gruppen hingenommen. Sie schlossen sich indessen stets zusammen und leisteten erbitterten Widerstand, wenn ein Angehöriger ihres Standes den Rahmen verlassen, wenn sich eine Einzelpersönlichkeit an der Spitze des Staates sehen wollte.
Die Nobilität begnügte sich dabei nicht mit dem Kupieren der Auswüchse, sondern sie ging durch eine Umgestaltung des Verfassungsrechtes auch präventiv vor. Im Jahre 180 v. Chr. legte die lex Villia annalis die Ordnung für den Ablauf der römischen Ämterkarriere und die jeweiligen Voraussetzungen eindeutig fest. Voraussetzung für den Eintritt in die magistratische Laufbahn war nun, daß sich der Kandidat 10 Jahre lang für den Militärdienst zur Verfügung gestellt hatte, daß er die einzelnen Magistraturen der Reihe nach bekleidete und das jeweilige Mindestalter aufwies, das für die Ädilität 37, für die Prätur 40 und für das Konsulat 43 Jahre betrug. Der Norm der Annuität eines Amtes verschaffte man gerade für die mit dem Imperium ausgestatteten Obermagistraturen dadurch Geltung, daß man den Grundsatz fixierte, daß niemals 2 Ämter unmittelbar hintereinander bekleidet werden konnten, sondern stets durch das sog. biennium, eine ämterlose Caesur von 2 Jahren, getrennt sein mußten. Der besondere Argwohn galt schließlich den wiederholten Übernahmen des Konsulates. Hier beließ man es nicht bei den alten Vorschriften aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., die vor eine Wiederholung eine zehnjährige Frist gesetzt hatten, sondern man versuchte im Jahre 151 v. Chr. sogar die Iteration überhaupt zu unterbinden, was jedoch scheiterte.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die römische Nobilität selbst alles andere als ein statischer, starr konservativer Faktor war. Auch sie selbst durchlief eine Entwicklung, deren Grundzüge zu verdeutlichen sind, weil gerade diese Entwicklung der römischen Nobilität die Veränderung der gesellschaftlichen, politischen und geistigen Struktur Roms am klarsten zum Ausdruck bringt. Das politische und menschliche Wertsystem der alten Aristokratie ist für uns heute noch am deutlichsten in den Grabinschriften der Nobilität greifbar, in den bekannten Scipioneninschriften des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. und daneben in einer laudatio für L. Metellus aus dem Jahre 221 v. Chr. In dieser bei Plinius überlieferten Rede werden als „die zehn größten und schönsten Dinge, nach denen verständige Männer ihr Leben lang strebten“, folgende aufgeführt: „Im Kampfe der erste, bester Redner, tapferster Feldherr zu sein, unter seinen Auspizien die größten Taten vollbringen zu lassen, den größten honos zu erben, von höchster sapientia zu sein, als der angesehenste Senator zu gelten, zu viel Geld auf anständige Weise zu gelangen, viele Kinder zu hinterlassen und der Ruhmvollste im Staate zu sein.“