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Neuer Wind

Am nächsten Morgen um Punkt acht fegen Pepe und Leon mit Blaulicht Richtung Osten. Autobahn, engste einspurige Nebenstraßen, endlose Serpentinen und 400 Meter Geröllweg. Sie sprechen kein Wort miteinander, bis endlich das Kloster Santa Magdalena auftaucht. Leon hechtet aus dem Auto und streckt sich, froh darüber, dass die wilde Schaukelei ein Ende genommen hat. Nach einer schlaflosen Nacht voller Sekundenträume ist er mental vollkommen erledigt. Der Sprung von der Klippe, das blutende Gesicht Omars, die schweigenden Nonnen. Immer wieder diese Horrorbilder von Kindern an versperrten Grenzzäunen.

Pepe pocht mit dem eisernen Ring gegen das Holztor. Die junge Nonne vom Vortag öffnet ganz langsam. Sie hat einen wesentlich ruhigeren Puls als die beiden aufgeregten Polizisten in Uniform.

„Señores?“, fragt sie, als würde sie nicht verstehen, warum die beiden hier sind. Leon reagiert ungeduldig.

„Schwester Isolde, wir suchen Schwester Isolde.“

Leon will jetzt alles schnell hinter sich bringen und dazu passt diese verlangsamte Nonne gar nicht. Pepe versucht zu vermitteln.

„Monja, Schwester, como te llamas?”

Die junge Nonne errötet, bevor sie ihren Namen sagt.

„Soy Luzdivina. Ich heiße Luzdivina.”

Das klingt für Pepe wie eine warme Sommerbrise.

„Was für ein schöner Name, ich bin Pepe. Also Luzdivina, wir haben eine Verabredung mit Schwester Isolde.”

Pepe ist augenblicklich von Luzdivinas unschuldiger Erscheinung betört, aber er darf nicht einmal daran denken – mit einer Ordensfrau. Nein, das geht gar nicht. Außerdem haben Ordensfrauen doch bekannterweise überhaupt kein Privatleben. Und er, er leidet gerade sehr schwer unter seinem Singledasein.

„Um diese Uhrzeit ist sie in der Kapelle, en la capilla“, antwortet Luzdivina schnell.

„Molts be, gracies“, sagt Pepe auf Mallorquin und hat damit sofort freien Zutritt.

Luzdivina lächelt jetzt sogar und bedeutet ihnen, ihr zu folgen. Die langen Gänge erscheinen Leon diesmal noch unübersichtlicher. In den scharfen Sonnenstrahlen, durch die Luzdivina ab und zu schreitet, kann Pepe die klaren Umrisse ihres Körpers erahnen. Leon merkt das sehr wohl. Er muss lachen als er beobachtet, wie sich Pepe mehrmals selbst ohrfeigt, um seine unanständigen Gedanken zu vertreiben. Sie durchqueren den Kreuzgang und landen endlich vor der Kapelle. Vorsichtig öffnet Luzdivina die ächzende Holztür, während die Sonne langsam an dem dreifarbigen Bleiglasfenster hochkriecht. Reste von Weihrauch formen einen scharfen Strahl, der direkt auf Schwester Isolde trifft. Sie sitzt bewegungslos da und schweigt. Leon flüstert Pepe zu, dass es sich hier um das bei Franziskanerinnen übliche Schweigegelübde handelt.

„Sie dürfen oft stundenlang nicht sprechen, also warten wir besser.“

Pepe rollt ungeduldig mit den Augen.

„Cuánto tiempo se tarda Luzdivina? Wie lange wird das noch dauern?“

„No lo sé, ich weiß nicht. Kann man nie genau sagen.”

Pepe lässt sich stöhnend in die hinterste Kirchenbank fallen, Leon tut es ihm gleich. Nach einigen Minuten wird Pepe ungeduldig. Luzdivina merkt das und will sich nützlich machen.

„Dos cafés por los Caballeros?“ fragt sie.

Ein Wunder scheint zu passieren, ja – natürlich Kaffee, das wäre es jetzt.

„Si, con mucho gusto, sehr gern”, nickt Pepe begeistert und Luzdivina macht sich sogleich auf den Weg in die Küche.

„Sie bringt uns gleich zwei Kaffee, Du willst doch sicher auch einen, oder?“

Pepe haucht seine Frage aus, um Isoldes Andacht nicht zu stören, will sich aber auch gleichzeitig bei Leon rehabilitieren. Die Unstimmigkeit des letzten Abends steckt ihm immer noch in den Knochen. Gerade will er dazu etwas sagen, als ihm Leon ebenfalls flüsternd dazwischen grätscht.

„Pass mal auf, gestern in der Bar warst Du ein absoluter Arsch, aber das ist jetzt vergessen, claro? Du musst dich nicht mehr bei mir einschleimen. Es ist vergessen und vorbei.”

Worte, die Pepe versteht. Leon streckt ihm versöhnlich die Hand hin und Pepe schlägt zufrieden ein.

„Si Señor. Claro.”

Hier sitzen sie nun und warten, bis das Schweigegelübde ein Ende nimmt. Ein Windstoß weht durch die karge romanische Kapelle. Mit lautem Krach fällt die Tür hinter ihnen ins Schloss und lässt die brennenden Kerzen am Altar zunächst erzittern und dann endgültig erlöschen. Leon erstarrt. Er kann nicht glauben, was er da sieht. Langsam wie in Zeitlupe, wahrscheinlich ausgelöst von der heftigen Böe, kippt Schwester Isolde nach vorne um und schlägt mit dem Kopf auf der Kirchenbank vor ihr auf, driftet nach links weg, sackt in sich zusammen und kommt auf den Steinplatten wie hingegossen auf dem Rücken zum Liegen. In ihrem Herzen steckt ein langes Fleischermesser. Sie ist tot. Pepe sprintet sofort zu ihr hin, ohne sie zu berühren winkt er ab. Er blickt in matte, starr aufgerissene Augen.

„Keine Chance”, ruft er in Richtung Leon und schließt der Toten die Augen. Mit einem lauten Knall lässt Leon einen Plastiksack aufspringen, zieht seine Gummihandschuhe an und geht an den Tatort. Mit dem I-Phone sind schnell ein paar Fotos gemacht, bevor er das lange Pata Negra Messer vorsichtig aus Isoldes Körper zieht.

„Alte Gewohnheit, bevor ein anderer auf schlechte Gedanken kommt.“

Das ist sein Job und den führt er jetzt mit großer Präzision aus.

Scheppern und Klirren tönt vom Eingang her. Luzdivina sieht die Tote und lässt vor Schreck die vollen Kaffeetassen fallen, stößt einen gellenden Schrei aus. Leon packt sie am Arm und wird jetzt lauter.

„Omar! Wo ist Omar? Luzdivina, wo hat Omar die Nacht zugebracht? Sein Zimmer? Wo?”

Luzdivina beginnt verwirrt mit bloßen Händen die Scherben aufzuklauben, starrt dann orientierungslos umher.

„Omar wurde heute früh schon abgeholt, er ist nicht mehr hier.”

Vor dem Kloster stehen wenig später etliche Guardia Civil-Autos. Die Beamten rennen eifrig hin und her, Leon übergibt dem Chef der Spurensicherung die Tatwaffe. Pepe ist am Telefon damit beschäftigt, immer wieder diese seltsame Geschichte zu erklären.

„Vale, Colonel, ein Mann mittleren Alters hat Omar, den jungen, wahrscheinlich minderjährigen Flüchtling sehr früh heute Morgen aus dem Kloster abgeholt. Nein, eigentlich wollten wir beide, Comisario Leon Hebler und ich den Jungen abholen, aber da war es schon zu spät. Ja, er wurde bereits von jemandem abgeholt, der sich als Polizist ausgab. Ja, nein ich weiß, das ist nicht gut, Colonel. Vale, venga.“

Leon checkt sein Handy, 10 Uhr 20. Er wird nervös.

„Wir müssen, komm Pepe. Entschuldigt uns, Kollegen. Aus unserer Sicht ist alles getan.“

Der Mallorca-Job

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