Читать книгу Der Mallorca-Job - Karl Kases - Страница 20
ОглавлениеLuzdivina
Der Tag scheint wie gemacht für Touristen. Die Landschaft flirrt vor Hitze. Die Sicht ist unendlich weit, die Insel spielt sämtliche Reize aus. Der Polizei-SUV schneidet in rasendem Tempo durch die engen, nicht enden wollenden Haarnadelkurven hinauf zum Kloster Santa Magdalena. Pepe und Leon sitzen stumm nebeneinander und fixieren die Fahrbahn. Leon betet, dass ihnen bei der Geschwindigkeit auf den engen Straßen weder Mensch noch Tier oder Fahrzeug begegnen. Mal ganz abgesehen von den dahin schleichenden Traktoren oder kurvenschneidenden Rennradlern. Pepe aber scheint seine Insel zu kennen.
„Sag mal, das war doch die Schwiegertochter vom Boss oder irre ich mich?” fragt Pepe neugierig. Leon will dringend das Thema wechseln.
„Schau auf die Straße und beide Hände aufs Lenkrad.“
Pepe lässt sich so einfach nicht abwimmeln.
„Also nochmal, Schwiegertochter vom Boss? Oder irre ich mich?“
„Du irrst dich, Sie ist die Ex-Schwiegertochter.”
„Sehr gute Wahl.”
Wenn Blicke töten könnten, wäre Pepe jetzt tot. Er nervt Leon.
„Und Du willst um eine Ordensfrau rumschwänzeln. Das nenne ich keine sehr gute Wahl.” Er hofft, dass er ihn damit schwer getroffen hat.
Schwester Luzdivina zupft im Gemüsegarten herum, als der Polizeiwagen vor ihr zum Stehen kommt. Leon hat sich geistig schon auf ein kriminalistisches Verhör vorbereitet, aber Pepes Testosteron schießt ein und er beginnt unaufhörlich auf sie einzuquasseln. Leon will den Aperol Spritz Pegel noch ein wenig abbauen und schenkt Pepe etwas Zeit. Der merkt das und nutzt es schamlos aus.
„Was für ein wundervoller Tag, Schwester Luzdivina. So wunderbar duftende Kräuter haben Sie in ihrem Garten. Salbei wohl und Minze. Werden Sie damit heute ihre Suppe zubereiten?”
Leon verdreht genervt die Augen. Er setzt sich auf eine alte Holzbank und wartet, bis Pepe endlich eine Atempause einlegt, doch Pepe hört nicht auf. Er muss ihn schließlich unterbrechen und bringt ihn wieder in die Realität zurück.
„Pepe, sei jetzt endlich ruhig und lass uns unseren Job tun.“
Pepe hält sich widerwillig zurück. Leon stellt die unvermeidliche Frage.
„Schwester Luzdivina, was genau geschah am letzten Montag um 6: 30 h morgens?”
Luzdivina schneidet gerade eine rote Rose ab und ordnet sie in einen hübschen Strauß ein. Sie erschrickt derartig über die Frage, dass sie sich in den Finger sticht. Einige kleine Blutstropfen verteilen sich auf ihrer weißen Kluft.
„Oh, ich blute”, kreischt sie und läuft schnurstracks ins Kloster.
In ihrer Kemenate versorgt sie sich mit Jodtinktur und Pflaster, alles geht sehr schnell und effizient. Die beiden Männer warten geduldig vor der halboffenen Tür. Pepe hat schon längst für Luzdivina Partei ergriffen, Leons harscher Polizeiton beleidigt ihn persönlich bis tief in die Magengrube. Leon klopft vorsichtig.
„Schwester Luzdivina, ich muss Sie das nochmals fragen. Montag, 6: 30 h, wo waren sie da?“
Doch die Klosterglocke ruft ausgerechnet jetzt durch mehrmaliges Schlagen zum Gebet.
„Entschuldigen Sie mich, jetzt ich muss zum Vormittagsgebet.”
Und wieder ist sie weg. Luzdivinas Verhalten ist Leon nicht geheuer. Die beiden Männer folgen ihr in die Kapelle, doch diese ist leer. Klappernde Geräusche von Holzpantoffeln lassen die beiden Polizisten herumfahren als die Oberin Schwester Apolonia die Kapelle zügig durchquert. Leon und Pepe stehen von ihr unbemerkt im Schatten einer hohen Säule. Sie scheint vollkommen mit sich beschäftigt zu sein. Ihr Blick ist starr nach vorne gerichtet, als sie sich direkt vor dem Altar hinstellt und sich mehrmals bekreuzigt, um sich endlich krachend in der ersten Reihe niederzulassen. Sofort verfällt die Oberin in ein stilles Gebet. Luzdivina schiebt Schwester Kasimira in einem Rollstuhl herein. Als die beiden an den Polizisten vorbeikommen, nicken sie ihnen freundlich zu. Kasimira ist wesentlich älter als Apolonia und wird von einer nervösen Schüttellähmung in ständiger Bewegung gehalten. Dabei macht sie eigenartige Gurrlaute. Die beiden Polizisten verlassen aus Respekt andächtig die Kapelle. Pepe bekreuzigt sich unentwegt. Draußen vor der Tür flüstert Leon ihm etwas zu.
„Luzdivina weicht uns ständig aus. Hat sie oder hat sie nicht - Dreck am Stecken?”
Pepe schüttelt energisch den Kopf.
„Bist Du verrückt? Nein, sie ist bloß schüchtern.“
„Das habe ich aber deutlich anders verstanden, mein Lieber.“
Pepes Blauäugigkeit fällt Leon sehr auf die Nerven.
„Weißt Du, ich mag so etwas, Schüchternheit. Und außerdem ist sie sehr, sehr, sehrsehr hübsch”, flüstert Pepe.
Leon muss an sein eigenes Verhalten denken, noch vor wenigen Stunden in der Bar. Er muss sich eingestehen, dass die Situation mit Sonja fast aus dem Ruder gelaufen wäre, auf jeden Fall hat er sich höchst unprofessionell verhalten.
„Sie regt meine Fantasie an“, seufzt Pepe.
„Pepe, es reicht! Hör endlich auf, den tanzenden Gockel zu spielen! Wir brauchen eine neutrale Zeugin und keine die sich in Dich verknallt”.
Die immer noch halb offenstehende Tür von Luzdivinas Kemenate erweckt Leons Neugierde. Er blickt sich mehrmals um, ob noch andere Nonnen herumschwirren, aber die Luft scheint rein zu sein. Sie treten ein. Die frisch gepflückten Rosen stecken in einer Vase.
„Einen Klosterdurchsuchungsbefehl kann nur der liebe Gott erteilen” scherzt Pepe.
Auf dem Bett liegt die Soutane mit frischen Blutstropfen, daneben ein Papiertaschentuch mit eingetrocknetem Blut. Leon trennt ein Stück ab und steckt es vorsichtig in einen Plastiksack.
„Alte Gewohnheit, ich kann es einfach nicht lassen.”
Pepe steht Schmiere, während Leon vorsichtig die Schublade des Nachtkästchens öffnet. Er zieht ein paar Zwanziger und fünf hundert Euro Scheine aus der Lade, wedelt damit vor Pepes Gesicht rum.
„Das wird sie uns irgendwann erklären müssen.”
Pepe kontert sofort mit einer Schutzbehauptung.
„Das sind sicher irgendwelche Spenden, ist doch claro.”
Die gurrenden Laute von Schwester Kasimira werden lauter, das Gebet scheint zu Ende gegangen zu sein.
„Leon, rapido, abhauen.”
Leon legt rasch alles zurück auf seinen Platz und sie eilen davon.
Entlang des historischen Wandelganges sind Skulpturen alter Mönche und sonstiger wichtiger Mallorquiner in Reih und Glied aufgestellt. Pepe spielt angesichts der herannahenden Nonnen den Fremdenführer für Leon.
„Dies hier ist Juniper Serra aus Petra, ein Missionar aus den 1770er Jahren, er hat den Bau etlicher Missionen Kaliforniens geleitet, hat aber die Ureinwohner wie Sklaven behandelt, gar nicht gut. Das hier ist der alte Ramon Llull, geboren 1232, der große Denker und wahrscheinlich der neue Namensgeber des Flughafens von Palma.”
Leon muss sein Lachen unterdrücken.
„Lull-International, kurz Llulli, das kommt in Alemaña sicher gut an.“
Luzdivina schiebt Kasimira vor sich her, Apolonia ist nicht mehr dabei. Pepe ergreift die Gelegenheit beim Schopfe, Luzdivina kann ihm nicht mehr ausweichen.
„Schwester, wir warten vor dem Kloster auf Sie, sagen wir in fünf Minuten, geht das? Wir würden Sie sehr darum bitten.“
Pepe ist außerordentlich höflich und sie ist davon beeindruckt, nickt ihm sogar lächelnd zu.
Die beiden Polizisten warten geduldig vor dem überdimensionierten Portal von Santa Magdalena. Was für ein Kraftakt muss das gewesen sein, diese monumentalen Bögen, Säulen und Steinquader hier heraufzuschaffen, ohne Maschinen, bloß Eselskarren und Manneskraft.
Als Luzdivina endlich erscheint, setzt sie sich zu ihnen auf die Holzbank. Leon ergreift sofort das Wort, bevor Pepe es tun kann.
„Erzählen Sie uns nochmal, wer den jungen Omar abgeholt hat. Wie sah der Mann aus? Waren Sie nicht verwundert, dass er sich als Polizist ausgab? Jede kleinste Beobachtung könnte uns helfen.”
„Es kommen so wenige Menschen hier vorbei, wir Nonnen sind nicht geübt im Umgang mit Männern, äh, mit Menschen.”
Luzdivina scheint mit ihren Gedanken sehr weit weg zu sein.
„Wissen sie, Schwester Isolde war so ein lieber, aufopfernder, ehrlicher Mensch.”
Die beiden Polizisten erkennen, dass im Augenblick nicht viel aus ihr herauszuholen ist. Ihre Trauer ist echt.
„Beschreiben Sie uns doch bitte den Mann, der sich als Polizist ausgegeben hat, Schwester Luzdivina“, hakt Leon noch einmal nach.
Sie setzt sich auf die Steinmauer, hinter der eine Felswand senkrecht in die Tiefe abfällt. Pepe ist sofort neben ihr und hält sie am Arm fest, es scheint als würde sie es darauf angelegt haben, dann reißt sie sich aber sogleich von ihm los. Offensichtlich befindet sie sich in einem ständigen Kampf gegen sich selbst. Leon versucht das Gespräch zumindest auf Sparflamme weiter zu führen.
„Wie ist die finanzielle Situation im Kloster? Wer regelt das mit dem Geld?“
Sie wird unruhig.
„Luzdivina, haben Sie Bargeld im Kloster?”
Luzdivina antwortet vorsichtig.
„Wir leben sehr enthaltsam und sind besitzlos. Wir bekommen Spenden auf unser Konto, davon hole ich regelmäßig Geld aus dem cajero automatico, dem Geldautomaten, um die Gärtner zu bezahlen und kleine Einkäufe zu machen. Die Gärtner bekommen pro Monat 500 Euro und der Lohn ist morgen fällig.”
Pepe atmet auf, ein Verdachtsmoment weniger. Aber immer noch sitzt sie auf der Mauer, die hinter ihr steil abfällt.
„Wenn Sie wollen, kann ich ihnen die Kontonummer geben und Sie können uns auch unterstützen. Auch kleine Beträge helfen uns.”
Sie zieht einen Zettel hervor, Pepe nimmt ihn an sich.
„Danke schön, wir werden es uns überlegen, aber vorher kommen Sie bitte runter von der Mauer, das ist sehr, sehr peligroso – gefährlich.”
Luzdivina gefällt es ganz offensichtlich, dass man sich um sie sorgt, sich um sie kümmert. Pepe merkt, wie gut ihr seine Zuneigung tut. Als er sie von der Mauer nehmen will, hält sie sich mit beiden Armen an ihm fest. Er tut dies ebenfalls, er packt sie und lässt sie länger nicht los. Das ist mehr als eine bloße Rettungsaktion.
„Macht es Ihnen etwas aus, uns noch ein wenig durch die heiligen Hallen zu führen?”, fragt Leon und beendet damit diese kurze Romanze zwischen Luzdivina und Pepe. Während sie ein paar Schritte auf das Gebäude zugehen merkt er, dass sich kalter Schweiß auf Luzdivinas Stirn bildet. Dann sprudelt es plötzlich aus ihr heraus.
„Ja, Ich habe mich schuldig gemacht.“ Mit einem Geständnis hat Leon zwar noch nicht gerechnet, aber es könnte interessant werden.
„Ich habe dem Mann zunächst vertraut. Ich stand vor der Puerta und habe versucht, ihn nicht hereinzulassen, aber er hat mich mit Gewalt weggeschoben und ist einfach hineingegangen. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Es ist meine Schuld, dass Isolde tot ist.”
„Sind sie ihm gefolgt?”
Luzdivina schüttelt sofort energisch den Kopf.
„Ich habe es nicht gewagt. Er hat böse ausgesehen. Keine Haare, dick, klein, Schnauzbart. Entschuldigen Sie, ich muss jetzt gehen, ich muss für den Jungen beten. Bitte sorgen Sie dafür, dass ihm nichts zustößt.”
Und schon ist sie wieder im Kloster verschwunden. Hinter ihr fällt dumpf die Tür ins Schloss, mehrere Riegel rasten von innen ein.
„Raubmord können wir ausschließen, sonst wäre die Kohle weg“, sagt Leon beim Einsteigen.
„Die Nonnen können wir auch ausschließen“, sagt Pepe und fährt los.
Schwester Luzdivinas Verhalten stimmt Leon einerseits nachdenklich, aber feststeht, dass er selbst auch eine Mitschuld am Verschwinden des Bootsflüchtlings trägt. Wofür wird Omar benutzt und wer hat die junge Nonne erstochen und warum? Es sieht für ihn entweder nach Affekthandlung aus oder es tut sich noch ein Gehimtürchen auf mit dem bis jetzt keiner gerechnet hat. Leon kennt das aus seinen vergangenen Fällen als Ermittler.