Читать книгу Der Mallorca-Job - Karl Kases - Страница 24
Оглавление„911“
Als Leon seine abendliche Trainingsfahrt antritt, hat sich das Licht über der Bucht von Palma bereits in ein dumpf leuchtendes spätes Orange verfärbt. Wenige Kilometer von seiner Dienstwohnung entfernt und einigermaßen warmgelaufen beginnt für ihn erst der wahre Genuss. Das Rollgeräusch der Reifen und das leise Surren der Kette beruhigen ihn. Die vorangeschrittene Dämmerung verspricht ihm noch eine gute Stunde Fahrvergnügen. An der Stadtausfahrt kreuzen einige Straßenhändler seinen Weg und er muss kurz anhalten. Freundlich grüßen die Männer herüber, ehe sie durch ein Zaunloch schlüpfen und in einer ziemlich heruntergekommenen Fincaruine verschwinden. Neugierig blickt ihnen Leon nach, bevor er wieder stramm lostritt. Nur durch körperliche Anstrengung kann er sich schnell abreagieren und diesen vergangenen Horrortag verarbeiten. Was bringt die Besucher aus einem hoch zivilisierten Land wie Deutschland dazu, sich in der Öffentlichkeit wie die letzten Arschlöcher zu benehmen. Ist es eine Art Inseleffekt? Hier könnt ihr uns mal alle, wenn ihr wollt? Sicher ist es eine Mischung aus Alkohol und Narzissmus, aus mangelnder Bildung, Geltungssucht und Frustration.
Für ihn spielen in diesem Augenblick aber ausschließlich die Farben des Himmels eine Rolle. Eine Mischung, die sich aus dem gesamten Farbspektrum vor ihm ausbreitet. Diese Insel ist so wunderschön, eine schillernde Perle im Mittelmeer. Im Augenblick scheint es, als wäre er ganz allein auf dieser Welt.
Leon hat jetzt schon eine gute Strecke hinter sich gelassen. Leicht ansteigendes Gelände liegt ihm sehr. Er hat seine Lieblingsstrecke gefunden, und die wird er ab jetzt allabendlich nach Dienstschluss absolvieren. Seine Gedanken kreisen immer wieder um die verlotterte Finca an der Stadtausfahrt. Was wäre, wenn Omar da versteckt worden ist. Naheliegend genug. Beunruhigt kehrt er spontan um und bremst schon bald wieder direkt vor der verwahrlosten Fincaruine. Er schaltet die helle Xenonlampe aus, versteckt das Rad hinter einem undurchdringlichen Macchiagebüsch und stellt sein Handy auf lautlos. Er klettert durch das Loch im Zaun. Im Schutz der Dunkelheit robbt er zu dem spärlich, nur von einem rötlich glosenden Blechfass erleuchteten Gebäude. Es stinkt nach verbranntem Gummi und Tierkadavern, wahrscheinlich toten Ratten, die von Wildkatzen erlegt worden sind. Durch eine kleine Fensterluke erkennt er die Männer von vorhin. In einem notdürftig eingerichteten Raum kauern sie rund um einen Fernseher, der an eine Autobatterie angeschlossen ist und schauen eine Soap auf Al Jazeera. Eine Frau stellt ihnen gerade einen Blechtopf mit Suppe hin. Sie bedanken sich in arabischem Dialekt und beginnen gierig zu schlürfen. Leon kriecht im Schleichgang weiter. Er kann jetzt deutlich das Scharren von Hufen und das Schnauben eines Pferdes hören. Oder war das doch menschliches Wimmern? Die helltönende Glocke einer Ziege und das eingespielte Lachen der Soap machen ihn unsicher. Die Umrisse der Stallungen zeichnen sich jetzt deutlich im vorbei wischenden Licht des nahen Verkehrs ab. Dennoch übersieht er einen Haufen Pferdeäpfel und tappt mit beiden Händen voll hinein.
„Scheiße“, flucht er, als noch dazu gleichzeitig sein Handy vibriert. Er zieht das leuchtende Telefon aus der Tasche. Es zeigt Sonja im Bikini, gewagt und sehr schön.
“911 - Puro-on-the-Beachclub”.
Sein Stresspegel steigt immens. Ohne zu zögern entscheidet er sich fürs Umkehren. Sonja in Gefahr, da sieht er rot. Der dichte, in der Dunkelheit unsichtbare Dornendschungel sowie der Stacheldraht bedeuten für ihn keinerlei Hindernis mehr. Er prescht einfach durch ohne zu bemerken, dass er sich starke Kratzer im Gesicht und am Oberkörper zuzieht. Sein T-Shirt hängt nur noch in Fetzen an ihm. Er reißt sein Mountainbike aus dem Gebüsch auf die Straße und gibt Stoff. Im Fahren programmiert er sein Navi, hat im Nu den Passeig Maritimo erreicht, biegt links ab, fühlt rechts neben sich die salzige Meeresluft und schon bald sieht er auf zwölf Uhr in geschätzten sieben Kilometern Entfernung den noblen Schuppen leuchten. Er wirft das Rad direkt vor dem Eingang zwischen einem Bentley und einem Aston Martin hin und sprintet in die Lobby, als ihn der feste Griff eines Gorillas stoppt.
„Moment, das geht so gar nicht.”
Der 120 Kilo schwere Bodyguard blickt drein, als gäbe es nur ihn und sein Laptop auf der Welt. Leon holt tief Luft und japst:
„Ich bin mit Frau Möllemann verabredet, es ist ein Notfall!”
Der Zwei-Meter-Mann hebt kurz kopfschüttelnd die Augenbrauen.
„Was denn für ein Notfall? Sie ist unten am Pool, aber vorher”, er winkt Leon zu sich zurück,
„ …waschen Sie sich vorher das Gesicht, bitte.”
Leon eilt quer durch eine Ansammlung von Mallorcas Reichen und Schönen. An der Treppe zum Strand wird es auf einmal ruhiger. Säuselnder Elektro-Pop mischt sich mit dem Takt der Wellen. Leon traut seinen Augen nicht - da treibt Sonja schwerelos auf dem Rücken, nixenhaft in einem strahlend blau erleuchteten Pool in einem rosafarbenern Bikini, dahinter das tosende dunkle Meer, welches nur die funkelnden Glanzlichter der Bucht von Palma reflektiert. Sie lächelt ihn mehr als verführerisch an.
„Howdy Cowboy, spring rein, so wie Du aussiehst, hast Du gerade eine Stampede überlebt und brauchst dringend ‘ne Abkühlung!”
Ein langer Moment vergeht, doch dann wird Leon so richtig sauer auf Sonja, will aber andererseits die freche Einladung nicht wirklich ablehnen. Langsam entledigt er sich seiner Baggy Shorts, legt sie gewissenhaft an den Poolrand, reißt sich die letzten Überreste des zerfetzten T-Shirts vom Leib und macht eine riesige Arschbombe ins Wasser, welche Sonja nur knapp verfehlt. Im Auftauchen schnappt er sie sich, um sie sofort wieder unterzutauchen.
„Jetzt erkläre ich Dir mal , was 911 bedeutet”, prustet er sie an.
Sonja schreit und stöhnt, während seine Versuche sie zu ertränken immer sanfter werden und schließlich in einen leidenschaftlichen Kuss enden.