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II.Visapolitik und Grenzkontrolle

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36Bestimmungen darüber, welche Drittstaatsangehörigen visumspflichtig sind und wer für Kurzaufenthalte bis zu drei Monaten visumsfrei einreisen kann, gelten einheitlich für alle EU-Mitgliedstaaten aufgrund der EU VO Nr. 2018/18061. Mit der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 über das Visa-Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (VIS VO)2 wurde die Grundlage für ein gemeinsames europäisches Visasystem gelegt. Die VIS-Verordnung ermöglicht die Speicherung und den Abruf von alphanumerischen und biometrischen Daten des Visumantragstellers sowie erteilter, abgelehnter und widerrufener Visa in einer europäischen zentralen Datenbank durch die zuständigen Behörden3. Durch die Speicherung der Visumdaten können zum Beispiel Visum-Mehrfachanträge bei verschiedenen Mitgliedstaaten („Visa-Shopping“) verhindert und Identitätstäuschungen aufgedeckt werden. Der VIS-Zugriffsbeschluss eröffnet zudem den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit zur Abfrage des VIS zum Zwecke der Prävention, Aufdeckung und Untersuchung von terroristischen oder sonstigen schwerwiegenden Straftaten. Durch die Verordnung (EG) Nr. 390/20094 wurden Verfahren zur Erfassung biometrischer Merkmale bei der Visumantragstellung und in Abänderung der bis dahin geltenden „Gemeinsamen Konsularischen Instruktion“ die Modalitäten der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Annahme und der Bearbeitung von Visaanträgen geregelt. Weitere Schritte waren der Erlass unionseinheitlicher Vorschriften über die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Kurzaufenthalte von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen mit dem Visakodex VO (EG) Nr. 810/20095, der mit Gesetz v. 22.11.2011 in deutsches Recht umgesetzt bzw. vollzogen worden ist6. Für alle Mitgliedstaaten gelten damit gemeinsame Regeln über die für die Erteilung eines Visums erforderlichen Voraussetzungen und Formalitäten, für die biometrischen Identifikationsmerkmale und die Prüfung der Einreisevoraussetzungen und eine Risikobewertung, sowie die Verweigerung und Annullierung eines Visums, den Rechtsschutz und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten7. Für die Einzelheiten der bei der Visumbeantragung zu beachtenden Voraussetzungen, die unterschiedlichen Visumarten, die Geltungsdauer und die Gebühren sind die Anweisungen des Visa-Handbuchs von großer praktischer Bedeutung.8 Soweit der Visakodex Auslegungsspielräume lässt, ergeben sich auch aus länderspezifischen Ergänzungen zum Visahandbuch wichtige Hinweis, z. B. zur Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens usw. Auf Vorschlag der EU-Kommission sind im Jahre 2019 Regelungen zur Erleichterung des Visumantragsverfahrens, Verschärfung und Vereinfachung der Kontrollen an den Außengrenzübergangstellen und Vereinfachung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten verabschiedet worden9.

37Die umstrittene Frage, ob sich aus dem Visakodex ein Rechtsanspruch auf Visaerteilung ableiten lässt10 ist mittlerweile vom EuGH dahin beantwortet worden, dass die Mitgliedstaaten ein Visum nur verweigern dürfen, wenn dem Antragsteller einer der im Kodex aufgezählten Verweigerungsgründe entgegengehalten werden kann11. Der Kodex hat die Voraussetzungen und das Verfahren der Visumerteilung abschließend geregelt. Die Mitgliedstaaten verfügen allerdings über einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren weiten Beurteilungsspielraum bei der Risikobewertung. Ob „begründete Zweifel“ im Sinne des Art. 32 Abs. 1 b) des Visakodex vorliegen, kann daher nur in der Situation der über einen Visumantrag entscheidenden Behörde beurteilt werden12.

38In der Verordnung (EG) Nr. 2016/399 (Schengener Grenzkodex-SGK13) sind die ursprünglich im Schengener Durchführungsübereinkommen niedergelegten Regeln über die Kontrollen an den Außengrenzen der Gemeinschaft in ein umfassendes Regelwerk niedergelegt. Für die Schengen-Staaten gelten damit einheitliche Regeln für die Einreise von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Europäischen Union, die Grenzkontrollen, die Grenzüberwachung und die Einreiseverweigerung gegenüber Drittstaatsangehörigen. Gegen Entscheidungen, mit denen die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verweigert wird, können Rechtsbehelfe eingelegt werden. Ein darüber hinausgehendes Recht auf Einlegung von Rechtsbehelfen gegen sonstige Rechtsverletzungen, die im Verfahren über den Erlass der Einreiseentscheidung begangen werden, um z. B. einen Schadensersatzanspruch wegen des Verhaltens von Grenzbeamten durchzusetzen, lässt sich daraus nicht ableiten14. Weitere Schritte zur Errichtung eines effektiveren einheitlichen Grenzkontrollsystems sind mit der EU VO 2017/2226 über ein europäisches Einreise/Ausreisesystem (EES) ergriffen worden. Das EES beinhaltet eine Erfassung der Antragsgeschichte von Drittstaatsangehörigen und stellt einen zentralen Baustein einer Interoperabilität zwischen Informationssystemen in den Bereichen Grenzen und Visa dar. U.a. soll dadurch ermöglicht werden, gegen Mehrfachidentitäten und gegen Identitätstäuschung vorzugehen15.

39Die Binnengrenzen innerhalb der EU dürfen grundsätzlich unabhängig von der Staatsangehörigkeit ohne Personenkontrollen überschritten werden. Unter außergewöhnlichen Umständen erlaubt jedoch der Schengener Grenzkodex die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Fällen einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit für einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen oder für die vorhersehbare Dauer der ernsthaften Bedrohung, wenn ihre Dauer den Zeitraum von 30 Tagen überschreitet. Die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen darf in Umfang und Dauer nicht über das Maß hinausgehen, das zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung erforderlich ist16. In Fällen, die aufgrund einer ernsthaften Bedrohung ein sofortiges Handeln erfordern, kann ein Mitgliedstaat in Ausnahmefällen für einen begrenzten Zeitraum von höchstens 10 Tagen mit Verlängerungsmöglichkeit bis 20 Tagen (maximal bis zwei Monate) sofort wieder Kontrollen an den Binnengrenzen einführen17. Kriterien, die im Falle der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen zu beachten sind, werden in Art. 26 SGK aufgeführt. Die Mitgliedstaaten müssen bewerten, in wieweit mit einer derartigen Maßnahme der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit angemessen begegnet werden kann und ob die Verhältnismäßigkeit zwischen der Maßnahme und der Bedrohung gewahrt ist.

40Die Einhaltung dieser Kriterien weist an sich auf einen gerichtlich überprüfbaren Maßstab hin. Tatsächlich obliegt es bei Vorliegen einer Situation, die existentielle Interessen eines Mitgliedstaats betrifft, im Beurteilungsspielraum der letzlich demokratisch allein verantwortlichen Regierung eines Mitgliedstaats, die erforderlichen Maßnahmen zur Behebung eines Notstands zu treffen. Deutschland und andere Mitgliedstaaten haben von den Möglichkeiten des Schengener Grenzkodex in Bezug auf die Einführung von Grenzkontrollen an den Grenzen zu anderen Mitgliedstaaten während der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 Gebrauch gemacht. Die Kommission hat dies in ihrer Entschließung v. 23.10.2015 gebilligt, mit der Begründung, dass die öffentliche Ordnung durch die außergewöhnlich hohe Zahl einreisender Flüchtlinge gefährdet war18. Nahezu sämtliche Mitgliedstaaten haben als Folge der Corona-Virus-Epidemie im März 2020 mit Billigung der EU-Kommision den freien Personenverkehr an den Binnengrenzen für nicht unbedingt notwendige Reisen weitgehend eingeschränkt und damit zugleich bestätigt, dass auch gesundheitliche Gefahren für die Bevölkerung unter den Begriff der öffentlichen Ordnung i. S. von Art. 25 SGK subsumiert werden können19.

Die Rückführung ausreisepflichtiger Drittstaaatsangehöriger liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Dabei ist jedoch ein unionsrechtlicher Rahmen zu beachten, der in der Praxis der Anwendung der Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes erhebliche Bedeutung gewonnen hat.Die Richtlinie 2008/115/EG zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger20, die durch das 2. EU-Richtlinienumsetzungsgesetz v. 22.11.201121 in deutsches Recht umgesetzt worden ist, hat die Vergemeinschaftung der Rückkehrpolitik zum Ziel. Die einheitlich in allen EU-Staaten geltenden Verfahrensregeln sollen ein effektives und zugleich faires Verfahren der Rückführung solcher Drittstaatsangehöriger gewährleisten, die sich illegal, d. h. ohne ein Aufenthaltsrecht entweder aufgrund illegaler Einreise oder aufgrund einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, in einem EU-Mitgliedstaat aufhalten.

Asyl- und Ausländerrecht

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