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III.Einwanderungspolitik

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41Art. 79 AEUV sieht die Entwicklung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik vor, die in allen Phasen eine wirksame Steuerung der Migrationsströme, eine angemessene Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, sowie die Verhütung und verstärkte Bekämpfung von illegaler Einwanderung und Menschenhandel gewährleisten soll. Zu diesem Zweck sieht Art. 79 Abs. 2 eine Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen vor, die die Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen, sowie Visavorschriften und Regeln für einen langfristigen Aufenthalt, einschließlich solcher zur Familienzusammenführung erfassen. Hinzu kommen die Festlegung von Rechten der sich in einem Mitgliedstaat rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen, einschließlich der Bedingungen, unter denen sie sich in einem anderen Mitgliedstaat frei bewegen und aufhalten dürfen, sowie die Bekämpfung illegaler Einwanderung, illegalen Aufenthalts und des Menschenhandels. Auf Grund einer politischen Vorgabe des Europäischen Rates, die er auf seiner Tagung in Sevilla am 21./22. Juni 2002 beschlossen hatte, wurden in der Folgezeit im Bereich Migration zahlreiche Richtlinien auf europäischer Ebene vereinbart, die sodann in nationales Recht umzusetzen waren1.

42Für die in der Praxis bedeutsamste Gruppe von Drittstaatsangehörigen, die ein Aufenthaltsrecht in einem EU-Mitgliedstaat beantragen, ist mit der Regelung des Nachzugs von Familienangehörigen im Jahre 2003 ein einheitlicher rechtlicher Rahmen durch die Familiennachzugsrichtlinie2 geschaffen worden. Die Richtlinie, die damals noch innerhalb einer wesentlich kleineren EG von den Regierungen der EG-Mitgliedstaaten mit zahlreichen Kompromissen und Optionen gegen den Widerstand von Menschenrechtsorganisationen verabschiedet wurde3, ist symptomatisch für die Probleme und Schwierigkeiten, mit denen eine EU einheitliche Rechtsetzung für Staaten mit verschiedenen einwanderungspolitischen Konzeptionen konfrontiert ist. Immerhin konnte man sich auf einen Text einigen, der eine Befugnis der Mitgliedstaaten vorsieht, bei dem Nachzug von über 12-jährigen Kindern, die unabhängig vom Rest ihrer Familien nachziehen, zu prüfen, ob sie nach nationalem Recht vorgesehene Integrationskriterien erfüllen und hiervon den Nachzug abhängig zu machen4. Außerdem können die Mitgliedstaaten im Rahmen einer Ausnahmeregelung den Familiennachzug von über 15-jährigen Kindern einschränken. Wegen dieser Bestimmungen hatte das Europäische Parlament letzlich erfolglos eine Klage gegen den Rat eingereicht mit der Argumentation, die Richtlinie verstoße gegen das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Schutz der Privatsphäre und der Familie5. Im Übrigen verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, Ehegatten und minderjährigen Kindern von Drittstaatsangehörigen den Familiennachzug zu gestatten, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Abweichend von den großzügigeren unionsrechtlichen Vorschriften für Unionsbürger ist der Familiennachzug von Verwandten in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird, und den volljährigen unverheirateten Kindern, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt6.

43Mit der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG7 ist die Rechtsstellung solcher Drittstaatsangehöriger, die sich bereits längere Zeit rechtmäßig in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhalten, geregelt worden. Auch Personen mit internationalem Schutzstatus, die ursprünglich nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen, können sich mittlerweile aufgrund der RL 2011/51/EU8 auf die Rechte der RL 2003/109/EG berufen. Die Richtlinie nimmt in einigen Punkten deutlich Abschied von der ursprünglichen Vorstellung einer „soweit-als-möglich-Annäherung“ von Drittstaatsangehörigen an die Rechtsstellung von Unionsbürgern und erlaubt Beschränkungen in Bezug auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen auf „Kernleistungen“. Darunter verstehen die Erwägungsgründe zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, Schwangerschaft, Elternschaft und Langzeitpflege. Nach der Rspr. des EuGH fallen Leistungen, die dazu beitragen, dass der Einzelne seine Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung und Gesundheit zu befriedigen vermag, unter das Gleichbehandlungsgebot. Ausnahmen sind eng auszulegen. Wohngeld fällt daher in den Kernbereich.9 Die Richtlinie erlaubt eine Einschränkung der Gleichbehandlung auf die Fälle, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des langfristig Aufenthaltsberechtigten oder seiner Familienangehörigen, für die er Leistungen beansprucht, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates liegen. Die Verpflichtung zur exterritorialen Gewährung sozialer Leistungen ist damit grundsätzlich ausgeschlossen.

44Eine Reihe weiterer Richtlinien wurden im Bereich des Einwanderungsrechts zum Zweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und zum Zweck des Studiums und der Ausbildung erlassen. Mit der REST-Richtlinie 2016/80110 sind die Rechte von Drittstaatsangehörigen, die einen Aufenthaltstitel zu Forschungs- und Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair Tätigkeit geregelt worden. Weitere Richtlinien betreffen die Erteilung einer Blue Card (Blaue Karte), Richtlinie 2009/50/EG über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hoch qualifizierten Beschäftigung11. Die Richtlinie 2011/98/EU v. 13.12.201112 schreibt ein einheitliches Verfahren zu einer kombinierten Erlaubnis für den Arbeitsmarktzugang und das Aufenthaltsrecht sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten von Drittstaatsangehörigen vor, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten. Mit den Richtlinien über die Einreise und den Aufenthalt von Saisonarbeitnehmern v. 26.2.201413 und die Richtlinie über konzernintern entsandte Arbeitskräfte14 ist das Regelungsprogramm zum europäischen Einwanderungsrecht vorläufig abgeschlossen worden.

45Ein Problem der Rechtsharmonisierung bei der Einwanderungspolitik dürfte darin liegen, dass die Einwanderungskonzepte und Politiken, die sich in den Mitgliedstaaten entwickelt haben, eng verflochten sind mit unterschiedlichen historischen, geografischen und sozialen Gegebenheiten. Auch die Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten sind trotz des europäischen Binnenmarktes noch überwiegend nationalstaatlich geprägt. Die Regelung der Arbeitskräftewanderung kann daher nicht vollständig einheitlich erfolgen, sondern muss sich an den unterschiedlichen Arbeitsmarktstrukturen der jeweiligen Mitgliedstaaten orientieren. Dementsprechend sieht der Vertrag von Lissabon vor, dass die Kompetenz der Union, eine gemeinsame Einwanderungspolitik zu entwickeln, nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, festzulegen, wie viele Drittstaatsangehörige in ihr Hoheitsgebiet einreisen dürfen, um dort als Arbeitnehmer oder Selbständige Arbeit zu suchen (Art. 79 Abs. 5 AEUV)15. Dies spricht für Spielräume der Mitgliedstaaten, ein hohes Maß an Flexibilität und Zurückhaltung gegenüber einer allzu weitreichenden Rechtsharmonisierung. Anstatt sich auf eine begrenzte Anzahl eindeutig formulierter und auch dem Adressaten begreiflicher „harter Grundsätze“ zu beschränken, hat der europäische Gesetzgeber die Konzeption allumfassender Regelungswerke mit bürokratischem Eifer verfolgt. Durch eine übertriebene Detailliertheit der unionsrechtlichen Vorgaben, gekoppelt mit einer Fülle von nationalen Regelungsoptionen ist ein intransparentes und vielfach unklares Regelungswerk entstanden, in das unterschiedliche Regelungswünsche und Interessen der Mitgliedstaaten, zahlreicher interessierter Verbände und des Europäischen Parlaments kumulativ in teilweise unsystematischer und widersprüchlicher Weise eingeflossen sind, ohne dass eine europäische Gesetzgebungskonzeption und innovative europäische Regelungsansätze sichtbar geworden sind.

Asyl- und Ausländerrecht

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