Читать книгу Asyl- und Ausländerrecht - Kay Hailbronner - Страница 24

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47Den Beginn der gesetzgeberischen Aktivitäten im Asyl- und Flüchtlingsrecht markiert die bereits im Jahre 2001 verabschiedete sog. Massenzustromrichtlinie4. Diese Richtlinie sieht ein gemeinschaftliches Verfahren für mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Gewährung temporären Schutzes im Falle von Massenfluchtbewegungen vor. Voraussetzung für die Aufnahme nach dieser Richtlinie ist ein entsprechender Beschluss des Rates, der allerdings keine Aufnahmepflicht der Mitgliedstaaten beinhaltet, sondern lediglich die Befugnis der Mitgliedstaaten auslöst, Flüchtlingen aufgrund der Richtlinie temporären Schutz mit dem in der Richtlinie niedergelegten Inhalt zu gewähren. Die Richtlinie hat keinerlei praktische Bedeutung entfaltet. Auch die Bundesregierung hat im Jahre 2015 keinen Anlass gesehen, die spezifisch für einen Massenzustrom von Flüchtlingen konzipierte Richtlinie durch Befassung der europäischen Organe in Anspruch zu nehmen. Soweit globale Aufnahmen von Kriegsflüchtlingen erfolgten, geschah dies aufgrund von nationalen Aufnahmeprogrammen.

48In der Richtlinie über die Aufnahme von Asylbewerbern5 werden einheitliche Mindeststandards für die sozialen Rechte von Asylbewerbern festgelegt. Die Richtlinie enthält Regelungen zur Vereinheitlichung der allgemeinen Lebensbedingungen für Asylbewerber, wie Unterkunft, Verpflegung, Zugang zum Arbeitsmarkt, medizinische Versorgung und schulische Betreuung Minderjähriger.

49Ein Kernbereich des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist die Schaffung einer Zuständigkeitsordnung mit einer ausschließlichen Zuständigkeitsbestimmung, die bereits im Dubliner Übereinkommen von 1990 vorgesehen ist. Ungeachtet der anhaltenden Kritik6 an dem Dubliner System, das eine ausschließliche Zuständigkeit für die Durchführung eines Asylverfahrens festlegt, hat der Rat an dem durch das Dubliner Übereinkommen von 19907 begründeten Grundkonzept festgehalten8. Das Dubliner System beruht darauf, dass jeder in der Europäischen Union9 und in assoziierten Staaten gestellte Asylantrag nur durch einen Mitgliedstaat nach bestimmten Zuständigkeitskriterien, wie z. B. der Erteilung eines Aufenthaltstitels, eines Visums oder in Ermangelung eines Aufenthaltstitels des Landes der illegalen Einreise, materiell geprüft werden soll. Reist ein Asylsuchender in einen anderen Mitgliedstaat weiter, so kann er aufgrund des Dubliner Systems in den zuständigen Mitgliedstaat unter der Voraussetzung zurückgeführt werden, dass der Voraufenthalt in diesem Mitgliedstaat, der dessen primäre Zuständigkeit begründet, nachgewiesen werden kann. Dieses im Kern richtige Prinzip, dass ein Asylbewerber sich seinen Mitgliedstaat, in dem er um Asyl nachsucht, nicht innerhalb der Europäischen Union frei wählen kann, sondern dass das Asylrecht in seiner Substanz lediglich beinhaltet, Schutz vor Verfolgung i. S. der Genfer Flüchtlingskonvention oder vor ernsthaftem Schaden im Sinne des Unionsrechts (subsidiärer Schutz) in einem der EU-Mitgliedstaaten zu erhalten, wird dadurch desavouiert, dass der weitaus überwiegende Teil derjenigen Asylbewerber, die über die Aussengrenzen der EU einreisen, irregulär in andere EU-Mitgliedstaaten als die für die Prüfung des Asylantrags unionsrechtlich zuständigen Mitgliedstaaten weiterreisen, um dort im Hinblick auf die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Mangels eines effektiven Lastenverteilungs- und Zuständigkeitsverteilungssystems und eines überkomplexen und unpraktikablen Überstellungsverfahrens in den zuständigen Mitgliedstaat ist die ausschließliche Durchführung eines Asylverfahrens im zuständigen EU-Mitgliedstaat zur Ausnahme, die irreguläre Weiterreise und der Verbleib von Asylantragstellern, ohne Rücksicht auf das Bestehen eines Schutzanspruchs zur Regel geworden. In Deutschland sind im Jahre 2019 (nur) 48.748 Ersuchen an andere Mitgliedstaaten zur Wiederaufnahme von Asylbewerbern gestellt worden10. Von 29.794 bewilligten Überstellungen sind tatsächlich 8.423 Überstellungen durchgeführt worden.11 Die unzureichenden Vorkehrungen des EU-Rechts gegen die irreguläre Weiterwanderung, die ihre Ursache in der Dublin-Verordnung und dem europäischen Asylverfahrensrecht haben sind auf diese Weise zu einem der wichtigsten Pull-Faktoren für eine mißbräuchliche Nutzung des Asylrechts zum Zweck einer illegalen Einwanderung in den EU-Mitgliedsstaat der Wahl geworden.

50Das materielle Asylrecht wird in den EU-Mitgliedstaaten durch die Anerkennungsrichtlinie 2011/9512 bestimmt, die auf die Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge (Qualifikationsrichtlinie)13 zurückgeht. Wesentlicher Bestandteil der Richtlinie ist die Ausdehnung des internationalen Schutzes über den Flüchtlingsbegriff hinaus auf die subsidiäre Schutzberechtigung.

51Die Richtlinie über Standards für Asylverfahren14 (Verfahrensrichtlinie) regelt die Grundprinzipien und Garantien des Asylverfahrens wie den Zugang zum Verfahren, das Bleiberecht des Asylbewerbers während der Antragsprüfung, Anforderungen sowohl an die Prüfung eines Asylantrags als auch an die Entscheidung der Asylbehörde, die Modalitäten der persönlichen Anhörung sowie Rechtsberatung und -vertretung. Die Asylverfahrensrichtlinie ist am 26.6.2013 als wesentlicher Bestandteil eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems präzisiert und unter Einschränkung der zahlreichen Optionsmöglichkeiten, die die Richtlinie derzeit den EU-Mitgliedstaaten eröffnet, als Richtlinie 2013/32 neu gefasst worden15.

52Die Verfahrensrichtlinie regelt das Asylverfahren vor den Verwaltungsbehörden und in Grundzügen auch vor den Gerichten. Umfassend werden die Rechte der Asylbewerber in zahlreichen unterschiedlichen Verfahrensarten geregelt, die der unterschiedlichen Praxis und Interessenlage bei der Behandlung von unzulässigen und offensichtlich unbegründeten Asylanträgen Rechnung tragen sollen. Für verschiedene Fallkategorien (sichere Herkunftsstaaten, sichere Drittstaaten, Anträge auf Flughäfen, Folgeanträge) sieht die Richtlinie z. T. nicht leicht durchschaubare Regelungsmodelle mit Optionen für die Mitgliedstaaten vor, die es diesen erlauben sollen, ihre bisher praktizierten Verfahrensweisen und Regelungen weitgehend beizubehalten. Die verschiedenen Optionen für die Mitgliedstaaten und der häufig kompromissartige Charakter der Bestimmungen werfen eine Reihe von Auslegungsfragen bei der Umsetzung der Richtlinie auf.

Asyl- und Ausländerrecht

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