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IV. Begriff und Wirkungen der illegalen Einreise

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Fall 7 a: Die mit einem Touristenvisum nach Deutschland eingereiste indische Staatsangehörige I, die mit dem deutschen Staatsangehörigen D verheiratet ist, beantragt eine Aufenthaltserlaubnis für einen Aufenthalt aus familiären Gründen, da sie auf Dauer bei D in Deutschland wohnen möchte. Die Ausländerbehörde lehnt den Antrag der I ab mit der Begründung, I sei ohne das erforderliche Visum nach Deutschland eingereist. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bedürfe es nämlich einer genauen Überprüfung, die grundsätzlich durch das deutsche Konsulat im Ausland unter Mitwirkung der Ausländerbehörden vorgenommen werden müsse. Zu Recht?

Fall 7 b: Die russische Staatsangehörige R reist Anfang August 2019 mit einem bis Ende September gültigen Schengen-Visum nach Deutschland ein. Im Visumverfahren hat R gegenüber dem Konsulat angegeben, sie wolle in Deutschland eine Freundin besuchen. Am 6. September 2019 heiratet sie während einer Kurzreise nach Dänemark einen deutschen Staatsangehörigen, kehrt anschließend nach Deutschland zurück und beantragt am 18.9.2019 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs. Der Antrag wird mit der Begründung abgelehnt, sie sei nicht mit dem erforderlichen Visum nach Deutschland eingereist.

135Die Qualifizierung der Einreise als (materiell) illegal hat weitreichende Konsequenzen im Hinblick auf die zahlreichen anderen an die Legaldefinition des § 14 Abs. 1 AufenthG anknüpfenden ausländerrechtlichen Vorschriften: So ist ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, von den zuständigen Behörden an der Grenze zurückzuweisen (vgl. § 15 Abs. 1 AufenthG). Wird ein Ausländer in Verbindung mit einer unerlaubten Einreise über eine Außengrenze aufgegriffen, soll er zurückgeschoben werden (§ 57 Abs. 1 AufenthG). Bei unerlaubter Einreise über einen EU-Mitgliedstaat oder die Schweiz kann er (Ermessen) bei Bestehen einer Übernahmepflicht an diesen Staat zurückgeschoben werden (§ 57 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die unerlaubte Einreise ist außerdem nach Maßgabe des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG strafbar.

136Ferner setzt die Erteilung einer Aufenthalts- bzw. Niederlassungserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (§ 5 Abs. 2 Satz 1, 2 AufenthG).

137Die Auslegung dieser Vorschrift ist umstritten. Vom Erfordernis, dass ein Aufenthaltstitel zu einem längerfristigen (d. h. über 3 Monate hinaus gültigen) Aufenthalt auch bei „Positivstaatern“, die nach Unionsrecht von der Visumspflicht für einen Kurzaufenthalt befreit sind, ein vorheriges Visum erfordert, das bei einer deutschen Auslandsvertretung beantragt werden muss, gibt es nach § 39 AufenthV eine Reihe von Ausnahmen. Strittig ist insbesondere, wie die Ausnahme nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 AufenthV zu verstehen ist, wonach vom Visumsverfahren befreit ist, wer sich entweder als Positivstaater rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder als Negativstaater ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte besitzt, „sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind“. Zum Teil wird in der Rechtsprechung angenommen, dass § 39 Nr. 3 AufenthV gerade bei einer Eheschließung nach Einreise im Bundesgebiet Anwendung findet1. Demgegenüber hat das BVerwG entschieden, die Vorschrift des § 39 Nr. 3 AufenthV befreie nur von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG. Ungeachtet dessen verwirkliche aber ein Ausländer, der falsche Angaben im Visumverfahren über den wahren Zweck seines Aufenthalts (z. B. Besuch statt Familienzusammenführung) gemacht habe, einen Ausweisungsgrund. Die Voraussetzungen des § 39 Nr. 3 AufenthV (strikter Rechtsanspruch) seien daher nicht erfüllt, wenn ein Schengen-Visum mit wahrheitswidrigen Angaben zum Zweck des Aufenthalts erlangt worden sei2.

Lösung Fall 7 a: Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt grundsätzlich voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ­AufenthG). I war als Inderin von der Visumpflicht nicht befreit (vgl. § 15 AufenthV i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Anhang I EU-Visumsverordnung). Sie ist zwar mit einem Schengen-Visum eingereist, bedurfte aber für den Zweck des Aufenthalts in Deutschland eines nationalen Visums zum Zweck des Familiennachzugs. Eine solche Absicht ist jedenfalls solange zu vermuten, solange I keine glaubhaften Gründe dafür vorbringen kann, dass erst nach der Einreise ins Bundesgebiet die Absicht eines längerfristigen Aufenthalts entstanden ist. Die Ausländerbehörde kann von der Erteilungsvoraussetzung eines nationalen Visums zum Zweck des Familiennachzugs jedoch absehen, wenn I die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels erfüllt (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 ­AufenthG) oder die Nachholung eines Visumverfahrens unzumutbar ist. Nicht ausreichend ist ein Ermessenanspruch. I hat zwar als Ehefrau eines Deutschen einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, wenn D seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ­AufenthG) und alle übrigen Voraussetzungen für den Familiennachzug, wie z. B. grundlegende deutsche Sprachkenntnisse zweifelsfrei erfüllt sind. Es ist aber grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Ausländerbehörde zur Prüfung der Voraussetzungen eines Ehegattennachzugs und insbes. der Sprachkenntnisse auf das Visumverfahren verweist und nur beim Vorliegen besonderer Umstände eine Ausnahme zulässt3.

Hier liegen die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zweifelsfrei vor. Daran ändert auch die Behauptung, dass I nach der Einreise im Bundesgebiet die notwendigen deutschen Sprachkenntnisse erworben habe, nichts. Ein Ausnahmetatbestand nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 liegt nur vor, wenn erst nach der rechtmäßigen Einreise für einen Kurzaufenthalt sich die objektiven Umstände derart geändert haben, dass ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltsstitels entstanden ist. In der Person des Ausländers liegende Umstände, mit denen erst im Bundesgebiet die Erfüllung von Anspruchsvoraussetzungen nachgewiesen werden sollen, reichen nicht aus. I kann abgesehen hiervon keine triftigen Gründe dafür vorbringen, dass erst nach der Einreise ins Bundesgebiet die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs entstanden sind und die Rückreise nach Indien zum Zweck der Durchführung eines Visumverfahrens unzumutbar ist. Eine solche Unzumutbarkeit ließe sich allenfalls mit verfassungsrechtichen Erwägungen (Trennung von kleinem Kind) begründen. Eine kurzfristige Trennung ist grundsätzlich zumutbar.

Lösung Fall 7 b: Falls R falsche Angaben vor dem deutschen Konsulat zum Zwecke des Visums gemacht hat, scheidet ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs aus, sofern sie nicht glaubhaft darlegen kann, dass zum Zeitpunkt der Einreise noch keine Absicht von Heirat und Daueraufenthalt in Deutschland bestand. Eine Besonderheit ergibt sich aus der Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen. Falls sie EU-Freizügigkeit genießen sollte, wäre die Nichteinhaltung des Visumerfordernisses kein ausreichender Grund, ihr den Aufenthalt im Bundesgebiet zu verweigern4. Das BVerwG geht allerdings davon aus, dass für die Anwendung des EU-Freizügigkeitsrechts erforderlich ist, dass ein deutscher Staatsangehöriger von seinem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht „nachhaltig“ Gebrauch gemacht hat. Dafür reicht ein Kurzaufenthalt mit dem Zweck der Eheschließung mit R in Dänemark nicht aus5. Die Aufenthaltserlaubnis ist daher zu Recht versagt worden.

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