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§ 4Das Zuwanderungsgesetz – Zuwanderungs­steuerung und Integration I.Einwanderungsland Bundesrepublik Deutschland?

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53Die von der Bundesregierung im Jahr 2000 eingesetzte Kommission „Zuwanderung“ (Zuwanderungskommission) hat aus der veränderten wirtschaftlichen und demographischen Lage den Schluss gezogen, die politische normative Festlegung „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ sei aus heutiger Sicht als Maxime für eine deutsche Zuwanderungs- und Integrationspolitik unhaltbar geworden:

„Die Kommission stellt fest, dass Deutschland – übrigens nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte – ein Einwanderungsland geworden ist. Damit erkennt sie die historische Tatsache an, dass Wanderungsbewegungen die Entwicklung der deutschen Gesellschaft und ihrer heutigen Zusammensetzung tiefgehend und nachhaltig beeinflusst haben. Sie stellt sich der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Notwendigkeit, die künftige Zuwanderung zu akzeptieren und zum Wohle unseres Landes zu bejahen und aktiv zu gestalten1.“

54Ob das Zuwanderungsgesetz, das am 1.1.2005 in Kraft getreten ist, mit dem Aufenthaltsgesetz diesen Anforderungen Rechnung getragen hat, ist unterschiedlich beurteilt worden. Eine wesentliche Veränderung hat das Gesetz dadurch vorgenommen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit nunmehr nicht mehr als Ausnahmefall angesehen wird, sondern aufgrund einer allgemeinen Klausel über die Aufenthaltsgewährung zum Zweck der Erwerbstätigkeit grundsätzlich ermöglicht wird. Einem Ausländer kann nach § 18 AufenthG a. F. ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Ferner können ausländische Studenten im Gegensatz zur bis dato geltenden Rechtslage nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums zu Erwerbszwecken in Deutschland bleiben und ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Erwerbstätigkeit erhalten. Hochqualifizierten Arbeitskräften kann in besonderen Fällen eine Niederlassungserlaubnis ohne Arbeitsmarktprüfung gewährt werden. Vom Gesetzgeber nicht übernommen wurde dagegen die von der Zuwanderungskommission vorgeschlagene Möglichkeit zur Aufnahme einer begrenzten Zahl besonders geeigneter Zuwanderer aufgrund eines Auswahlverfahrens (Punktesystem). Grundgedanke des Punktesystems war, die hierüber ausgewählten Zuwanderer als Festbestandteil der dauerhaften Wohnbevölkerung heranzuziehen. Daher sollten diese Personen von vornherein einen Daueraufenthaltsstatus erhalten, der im Regelfall nur ein Übergangsstadium zur Einbürgerung sein sollte, um die volle gesellschaftliche und rechtliche Integration baldmöglichst zu gewährleisten. Die Auswahl der Zuwanderer sollte sich nicht am akuten berufsspezifisch angemeldeten Arbeitskräftebedarf orientieren, sondern an den langfristigen allgemeinen Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft sowie an der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes. Maßgeblich sollte daher vor allem die Eignung zur Integration sein2. Demgegenüber setzte sich im Vermittlungsverfahren die Auffassung durch, dass für eine arbeitsplatzunabhängige, durch allgemeine Integrationskriterien bestimmte Zuwanderung zum Zweck der Erhöhung des ausländischen Bevölkerungsanteils kein Raum sei.

55Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie v. 1.6.20123 und der im Jahre 2013 beschlossenen Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Drittstaatsangehörige mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung hat sich der Politikwechsel fortgesetzt. Mit der Blauen Karte ist ein Aufenthaltstitel für Absolventen eines Hochschulstudiums oder einer vergleichbaren qualifizierten Berufsausbildung von Drittstaatsangehörigen geschaffen worden, der auch eine Weiterwanderung in andere EU-Mitgliedstaaten unter den in der Blue Card-Richtlinie niedergelegten Voraussetzungen ermöglichen soll. Entsprechende Aufenthaltstitel stellt das Aufenthaltsgesetz für Forscher in Umsetzung der EU-Forscherrichtlinie 2005/71/EG4 und für Studenten in Umsetzung der EU-Studentenrichtlinie 2004/114/EG5 (mittlerweile abgelöst durch die weitgehend inhaltsgleiche REST RL 2016/801) zur Verfügung. Der Gesetzgeber ist dabei zum Teil erheblich über die Mindeststandards der EU-Richtlinien hinausgegangen und hat insbesondere die Arbeitsmarktprüfung durch die Bundesagentur für Absolventen einer in Deutschland abgeschlossenen Berufsausbildung weitgehend aufgehoben. Für Studenten wurde mit den Nebenerwerbsmöglichkeiten und dem Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt im Anschluss an einen erfolgreichen Studienabschluss der bestehende Rechtszustand weiter liberalisiert. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz v. 15.8.20196 hat die damit begonnene Öffnung des Arbeitsmarkts für Drittstaatsangehörige, die über eine berufliche Ausbildung verfügen oder mit Aussicht auf eine berufliche Qualifizierung nach Deutschland einreisen oder sich in Deutschland aufhalten, fortgesetzt. Mit der Erleichterung der Erlangung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder Ausbildung und der Suspendierung des Vorrangprinzips sollen für Drittstaatsangehörige, die als Fachkräfte über eine Berufsausbildung verfügen oder die Aussicht haben, eine solche im Bundesgebiet zu erlangen, attraktive Bedingungen für einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet geschaffen werden.

Während das AuslG 1990 Integration nur indirekt als Voraussetzung für die Gewährung unbefristeter Aufenthaltsrechte und der Einbürgerung vorschrieb, ist im AufenthG selbst eine Rechtsgrundlage für konkrete Maßnahmen zur Eingliederung von Ausländern geschaffen worden. Integration wird als Teil eines gesellschaftlichen Prozesses verstanden, bei dem sowohl den in dem Land Lebenden, wie auch den Zuwanderern Anstrengungen abverlangt werden. Auf der anderen Seite fördert der Staat die Integration der Ausländer gemäß dem Prinzip des „Förderns und Forderns“ vor allem durch Sprachkurse. Insoweit kann man die Aufnahme von Integrationsnormen als Bestandteil einer Gesamtregelung verstehen, die die Einwanderung von Ausländern aktiv fördert. Die Förderung von Integration ist mittlerweile zu einer der wichtigsten politischen Querschnittsaufgaben von Bund und Ländern geworden7.

56Ob die Gesamtheit der Vorschriften des AufenthG den Schluss zulässt, die Bundesrepublik Deutschland habe den Schritt von der faktischen Zuwanderung zum „Einwanderungsland“ vollzogen, ist eher eine theoretische Frage. Faktisch ist die Bundesrepublik Deutschland eines der größten Einwanderungsländer weltweit, auch wenn die große Zuwanderung des vergangenen Jahrzehnts im Wesentlichen nicht auf eine Einwanderung beruflich qualifizierter Fachkräfte, sondern im Wesentlichen auf eine (ungesteuerte) humanitär begründete Migration durch Asylbewerber und Familiennachzug oder schlichte Duldung eines an sich illegalen Aufenthalts ausreisepflichtiger Ausländer zurückzuführen ist. Das unterscheidet die Einwanderungssituation in der Bundesrepublik Deutschland von der einiger klassischer Einwanderungsländer, die vielfach als Vorbild für die Bundesrepublik angepriesen werden.

57Vergleicht man das Regelungssystem des AufenthG mit demjenigen klassischer Einwanderungsländer, wie z. B. der USA, Australiens oder Kanadas8, so ist offenkundig, dass das AufenthG keinen vergleichbaren Übergang zu einem System der generellen Öffnung für Einwanderer nach Maßgabe von Quoten oder eines Punktesystems, wobei diese Systeme bei näherer Betrachtung eine deutliche Präferenz für beruflich qualifizierte Ausländer gewähren und dem Bestehen eines Arbeitsvertrages und dem Nachweis guter Sprachkenntnisse des Aufnahmelandes ein hohes Gewicht einräumen, vorsieht. Auch nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2019 bleibt die Einreise von Drittstaatsangehörigen grundsätzlich vom Nachweis eines Arbeitsvertrags und entsprechender beruflicher Ausbildung abhängig. Das Einwanderungsgeschehen in der Bundesrepublik ist ungeachtet der Öffnung des Arbeitsmarktes für qualifizierte Drittstaaatsangehörige nach wie vor erheblich stärker durch Integration der in das Bundesgebiet irregulär eingewanderter Ausländer als durch gezielte Anwerbung fachlich qualifizierter Einwanderer geprägt. Andererseits sind aber auch erfolglose Zuwandererer grundsätzlich in die sozialen Leistungssysteme integriert, was bei den traditionellen Einwanderungsstaaten regelmäßig nicht oder jedenfalls nicht in vergleichbarer Weise der Fall ist.

58§ 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, der auch durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz unverändert beibehalten worden ist, bringt die migratonspolitische Leitlinie des deutschen Ausländerrechts dadurch zum Ausdruck, dass er als Zweck des Gesetzes die Ermöglichung und Gestaltung von Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland definiert. Damit wird deutlich gemacht, dass von einer allgemeinen Öffnung Deutschlands für Zuwanderung ohne Rücksicht auf Arbeitsmarkterwägungen im Sinne eines traditionellen Einwanderungslandes keine Rede sein kann. Die Berücksichtigung der „Aufnahme- und Integrationsfähigkeit“ der Bundesrepublik Deutschland ist eine obligatorische Leitlinie, die für die Auslegung des Gesetzes zu beachten ist, auch wenn dieser Begriff ein weites politisches Beurteilungsermessen eröffnet.

Asyl- und Ausländerrecht

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