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3.Räumliche Beschränkungen und Wohnsitzzuweisungen (§ 12a AufenthG)

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146a) Räumliche Beschränkung (Abs. 1). Grundsätzlich unterliegen Ausländer, die im Besitz eines Aufenthaltstitels sind, keinen räumlichen Beschränkungen und können daher in gleicher Weise wie deutsche Staatsangehörige und Unionsbürger Aufenthalt und Wohnsitz im Bundesgebiet frei bestimmen. Als Folge einer bis dahin in ihrer Dimension unbekannten irregulären Massenzuwanderung von Ausländern in den Jahren 2015/2016 hat der Gesetzgeber mit § 12a Abs. 1 eine kraft Gesetzes geltende räumliche Beschränkung für bestimmte Inhaber eines humanitären Aufenthaltsrechts in das Aufenthaltsgesetz eingefügt und eine Rechtsgrundlage für behördliche Wohnsitzbeschränkungen geschaffen. Abs. 1 sieht eine gesetzliche Fortschreibung der Pflicht zur Wohnsitznahme im Land der Erstzuweisung im Asylverfahren nach dem Königsteiner Schlüssel vor und verfestigt damit quasi die bestehende Bindung an das Asylbewerbern zugewiesene Bundesland.

Die Vereinbarkeit der Vorschrift mit Verfassungs-, Unions- und Völkerrecht ist ungeachtet von Einwänden aus der Literatur in der Rechtssprechung weitgehend anerkannt1. Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, Flüchtlingen, die sich rechtmäßig auf ihrem Gebiet befinden, das Recht zu gewähren, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, „vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen“ Anwendung finden. Die Integrationssituation der unter § 12a fallenden Ausländer stellt sich im Regelfall wesentlich anders dar, als für im Wege des Familiennachzugs, zum Zweck des Studiums oder zu Erwerbstätigkeitszwecken regulär eingereiste und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis befindliche Ausländer. Dies stellt einen hinreichenden sachlichen Grund auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 26 GK für eine unterschiedliche Behandlung dar. Die Verstetigung einer anhaltend großen Belastung der Kommunen als Folge einer großen Zuwanderung von Menschen, denen aus humanitären Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt wird, hat eine besondere Situation geschaffen, die für einen nicht von vornherein überschaubaren Zeitraum Wohnsitzbeschränkungen zur Bewältigung von Integrationsproblemen erforderlich macht.

Auch die im Hinblick auf das Unionsrecht strittige Frage der räumlichen Beschränkung subsidiär Schutzberechtiger durch eine Wohsitzauflage ist mit dem EuGH Urteil v. 1.3.20162 geklärt. Der EuGH hat für die Freizügigkeit subsidiär Schutzberechtigter aufgrund von Art. 33 RL 2011/95 die Genfer Flüchtlingskonvention herangezogen, da der Unionsgesetzgeber sich für die grundsätzliche Einführung eines insoweit gleichen Schutzstandards von anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten (die von der Genfer Konvention nicht erfasst werden) entschieden habe. Unzulässig ist danach eine Wohnsitzauflage, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, wenn sie ungleich angewandt wird. Das Gleichbehandlungsgebot verbietet jedoch keine Wohnsitzauflagen mit dem Ziel, die Integration von Drittstaatsangehörigen zu erleichtern. Die Absätze 2 bis 6 unterscheiden im Hinblick auf die Rechtsprechung zur Zulässigkeit fiskalisch motivierter Wohnsitzbeschränkungen nach dem Integrationszweck einer Wohnsitzbeschränkung. Sie ermöglichen es den Länderbehörden, im Falle integrationshemmender Wohnverhältnisse einen anderen oder den bestehenden Wohnort als dauernden zuzuweisen. Abs. 2 hat dabei primär die Sicherstellung einer Versorgung mit Wohnraum bei gegenwärtiger Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen und anderen vorübergehenden Unterkünften zum Ziel.

147Zur Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland ist ein Ausländer, der als Asylberechtigter, Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG oder subsidiär Schutzberechtigter im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG anerkannt worden ist oder dem nach §§ 22, 23 oder 25 Abs. 3 ­AufenthG erstmalig eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, verpflichtet, für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in dem Land seinen gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitz) zu nehmen, dem er zur Durchführung seines Asylverfahrens oder im Rahmen seines Aufnahmeverfahrens zugewiesen worden ist. Gemeinsames Merkmal dieser Personengruppe ist die Begründung eines Aufenthaltsrechts zum humanitären oder internationalen Schutz und die Unmöglichkeit einer Rückkehr in die Herkunftsländer aufgrund der Verhältnisse in ihrem Heimatland auf unabsehbare Zeit.

148Die Verpflichtung ist auf drei Jahre befristet. Die Frist kann um den Zeitraum, für den der Ausländer seiner Verpflichtung nicht nachkommt, verlängert werden. Die Regelung schränkt die Bewegungsfreiheit von Ausländern – anders als die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung von Asylbewerbern auf den Bezirk der Ausländerbehörde (§ 56 AsylG) – nicht ein. Betroffen ist lediglich die Wahl des Wohnsitzes. Wohnsitznahme bedeutet die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die räumlichen Beschränkungen nach den Absätzen 1 bis 4 gelten auch für die Familienmitglieder und nachziehenden Familienangehörigen, soweit die zuständige Behörde nichts anderes angeordnet hat.

149Von der Wohnsitzpflicht sieht § 12a Abs. 1 Satz 2 eine Reihe von Ausnahmetatbeständen vor,

1. wenn der Ausländer, sein Ehegatte, eingetragener Lebenspartner oder ein minderjähriges Kind, mit dem er verwandt ist und in familiärer Lebensgemeinschaft lebt,

2. wenn der Ausländer, sein Ehegatte, Lebenspartner oder ein minderjähriges Kind eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnimmt oder aufgenommen hat, und damit ein gesetzlich definiertes Mindesteinkommen erzielt,

3. wenn er, sein Ehegatte, Lebenspartner oder ein minderjähriges Kind eine Berufsausbildung aufnimmt oder aufgenommen hat oder in einem Studien- oder Ausbildungsverhältnis steht. Als ausreichend anzusehen sind auch berufsorientierende oder berufsvorbereitende Maßnahmen und Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen.

150Bei Wegfall eines Grundes innerhalb eines Dreimonatszeitraums gilt die Wohnsitzverpflichtung des Ausländers und seiner Familienmitglieder in dem Land weiter, in das der Ausländer seinen Wohnsitz verlegt hat. Satz 4 regelt insbesondere das in der Praxis aufgetretene Problem von nur kurzfristigen Arbeitsverhältnissen, die keine dauerhafte integrationsfördernde Wirkung entfalten, bisher aber gleichwohl eine dauerhafte Befreiung von der Wohnsitzverpflichtung begründen. In diesem Fall wirkt die Wohnsitzverpflichtung künftig im Land des neuen Wohnsitzes fort.

151b) Zuweisung eines bestimmten Ortes (§ 12a Abs. 2 bis 3). Ausländer, die der Wohnsitzverpflichtung nach Abs. 1 unterliegen, können über die räumliche Beschränkung auf ein Land hinaus zum Zweck der Versorgung mit angemessenem Wohnraum nach Abs. 2 durch besondere Anordnung verpflichtet werden, den Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen (Verteilung innerhalb des Landes), wenn dies der Förderung der nachhaltigen Integration des Ausländers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegensteht. Der Wortlaut von § 12a Abs. 2 gibt keinen Aufschluss darüber, ob die Anordnung der Behörde sich lediglich auf eine bestimmte Region1 beziehen oder ob sie den Betroffenen auch zur Wohnsitznahme an einer bestimmten Adresse oder sogar in einer bestimmten Unterkunft verpflichten darf. In der Praxis wird von Wohnsitzauflagen in bestimmten Regionen häufig im Hinblick darauf Gebrauch gemacht, dass Integrationskapazitäten vor allem in ländlichen Gebieten nicht ungenutzt bleiben und Segregationsrisiken in Ballungsräumen minimiert werden sollten.

152Für die Ermessensentscheidung (kann) ist Voraussetzung, dass die Zuweisung der Förderung der nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegensteht. Die Formulierung macht deutlich, dass neben der Versorgung mit Wohnraum die Ausländerbehörde andere integrationspolitisch wichtige Gesichtspunkte, wie die Aussichten des Ausländers auf Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt oder die Möglichkeit des Erwerbs von deutschen Sprachkenntnissen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen muss.

153Zur Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland kann ein Ausländer, der der Verpflichtung nach Absatz 1 unterliegt, ferner innerhalb von sechs Monaten nach Anerkennung oder erstmaliger Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verpflichtet werden, längstens bis zum Ablauf der Dreijahresfrist seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dadurch

1. seine Versorgung mit angemessenem Wohnraum,

2. sein Erwerb hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und

3. unter Berücksichtigung der örtlichen Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit

erleichtert werden kann. Bei der Entscheidung nach Satz 1 können zudem besondere örtliche, die Integration fördernde Umstände berücksichtigt werden, insbesondere die Verfügbarkeit von Bildungs- und Betreuungsangeboten für minderjährige Kinder und Jugendliche. Alle drei Kriterien in ihrer Gesamtheit konkretisieren das Ziel der nachhaltigen Integration als Voraussetzung einer Entscheidung nach Abs. 3. Die Förderung der so definierten nachhaltigen Integration muss durch die Zuweisung eines Wohnorts erleichtert werden. Eine Verpflichtung der Behörden zu einer „vergleichenden Betrachtung der integrationsrelevanten Infrastruktur am beabsichtigten Zuweisungsort und an anderen möglichen Aufenthaltsorten im jeweiligen Bundesland“2 lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der Vorschrift ableiten. Maßgeblich ist die Förderung der nachhaltigen Integration. Nicht erforderlich ist danach, dass in der Person des Ausländers jeder einzelne Belang, der in Abs. 3 aufgeführt wird, eine Wohnraumbeschränkung notwendig macht.

154Bei der Eignung einer Wohnsitzbeschränkung für die Förderung der nachhaltigen Integration steht der Behörde ein Beurteilungsspielraum zu. Für die Berücksichtigung der Wohnsituation ist als Maßstab ein „angemessener Wohnraum“ zugrunde zu legen. Dies erfordert eine Unterkunft, die den Belangen von anerkannten Flüchtlingen, die nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert werden sollen, gerecht wird3.

155c) Zuzugssperre (§ 12a Abs. 4). Abs. 4 sieht eine Zuzugsperre zur Verhinderung sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung vor. Ein Ausländer kann bis zum Ablauf der Dreijahresfrist auch verpflichtet werden, seinen Wohnsitz nicht an einem bestimmten Ort zu nehmen, insbesondere wenn zu erwarten ist, dass der Ausländer Deutsch dort nicht als wesentliche Verkehrssprache nutzen wird. Die Situation des dortigen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes ist bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Die Auswahl bleibt den Länderbehörden überlassen, da hierfür die konkreten örtlichen und regionalen Bedingungen maßgeblich sind. Dabei sind die bundesrechtlichen Vorgaben bezüglich der sachgerechten, generell integrationsfördernden Kriterien Verfügbarkeit von Wohnraum, Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und die Möglichkeit des Erwerbs deutscher Sprachkenntnisse zu beachten. Dass in bestimmen Gebieten überwiegend kein Deutsch als Verkehrssprache benutzt wird, ist ein wesentliches, aber nicht das allein maßgebende Kriterium für die Annahme eines Risikos sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Abs. 4 setzt eine Einzelfallprüfung voraus, die eine Prognose beinhalten muss, dass der Zuzug des Ausländers in seinem speziellen Fall eine soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung bewirken könnte und dass die Zuzugsuntersagung zur Verhinderung einer derartigen Ausgrenzung beitragen kann. Dass die Situation des Ausländers nicht nachhaltig verbessert wird, reicht nach dem Gesetzeswortlaut nicht aus. Vielmehr muss die Ausländerbehörde ein besonderes Ausgrenzungsrisiko im beabsichtigten Wohngebiet darlegen. Dies kann nur mit einer allgemeinen Analyse der Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation am beabsichtigten Wohnort erfolgen.

156d) Aufhebung der Beschränkungen nach Abs. 1 bis 4 (§ 12a Abs. 5). Eine Verpflichtung oder Zuweisung nach den Absätzen 1 bis 4 ist auf Antrag des Ausländers aufzuheben. Die Aufhebung steht nicht im Ermessen der Behörde, sondern ist ein rechtlich gebundener Verwaltungsakt, auf den ein Rechtsanspruch besteht1,

1. wenn der Ausländer nachweist, dass in den Fällen einer Verpflichtung oder Zuweisung nach den Absätzen 1 bis 3 an einem anderen Ort, oder im Falle einer Verpflichtung nach Abs. 4 an dem Ort, an dem er seinen Wohnsitz nicht nehmen darf,

a) ihm oder seinem Ehegatten, eingetragenen Lebenspartner oder einem minderjährigen ledigen Kind, mit dem er verwandt ist und in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, nicht nur vorübergehend angemessener Wohnraum oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne von Abs. 1 Satz 2, ein den Lebensunterhalt sicherndes Einkommen oder ein Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung stehen oder

b) der Ehegatte, eingetragene Lebenspartner oder ein minderjähriges lediges Kind, mit dem er verwandt ist und mit dem er zuvor in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hat, an einem anderen Wohnort leben. Erfasst sind nicht nur Minderjährige, die mit ihren Eltern zusammenleben, sondern jedes Zusammenleben eines Familienangehörigen mit einem minderjährigen ledigen Kind, sofern der Familienangehörige nur mit dem Kind „verwandt“ ist und mit diesem in einer familiären Lebensgemeinschaft zusammen lebt.

2. zur Vermeidung einer Härte; eine Härte liegt insbesondere vor, wenn

a) nach Einschätzung des zuständigen Jugendamtes Leistungen und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch mit Ortsbezug beeinträchtigt würden,

b) aus anderen dringenden persönlichen Gründen die Übernahme durch ein anderes Land zugesagt wurde oder

c) für den Betroffenen aus sonstigen Gründen vergleichbare unzumutbare Einschränkungen entstehen.

157Die Härte ist im Gesetz beispielhaft definiert. Eine Härte ist daher nach der gesetzlichen Systematik gegeben, wenn berechtigte Interessen des Ausländers, die in ihrem Gewicht mit denen in Abs. 5 Nr. 2a bis c besonders aufgeführten vergleichbar sind, durch die Aufrechterhaltung der Wohnverpflichtung, Zuweisung oder Zuzugssperre beeinträchtigt würden2. Eine Erkrankung begründet nicht per se eine Härte im Sinne des Gesetzes. Insbesondere kann eine Verpflichtung zur Wohnsitznahme aufzuheben sein, wenn dies dem Wohl, der sozialen Entwicklung, Erwägungen der Sicherheit und der Gefahrenabwehr oder den besonderen Bedürfnissen insbesondere von Kindern und Jugendlichen dient3.

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