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3.2.2. Kommentare

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Während der sogenannte Prolog die Gleichzeitigkeit einiger Sagas problematisiert, erwähnen neun Kommentare Auslassungen im Text. Es ist unklar, von wem die Kommentare stammen, vom Schreiber, vom Kompilator, vom Autor oder von den Vorlagen. Der erste ist (von „þviat“ bis „rita“) nicht nur in der Reykjarfjarðarbók, sondern auch im Codex Resenianus (AM 399 4to, 1330–1350), der Handschrift der ältesten Redaktion der Guðmundar saga (vgl. handrit.is, abgerufen am 7. 2. 2017) enthalten, weshalb Kålund ihn in seiner Edition zum Text der Leithandschrift Króksfjarðarbók hinzugefügt hat: a) „Nu er hett fra-savgn um at-hafnir Þorvarz, þviat þar ero meiri efni i, en ek uilia i þessa sogu rita“ (StS1 121f.). ‚Nun endet die Erzählung über Þorvarðs Vorhaben, denn es gibt darin mehr Stoffe, als ich in diese Geschichte schreiben will.‘ (Übers. KM). Das Personalpronomen ek ‚ich‘ ist das Subjekt von rita/ríta, das sich entweder auf den Autor, Kompilator oder Schreiber der Guðmundar saga biskups bezieht. Der Kompilator der Sturlunga saga kann hier ausgeschlossen werden, da der Kommentar aus einer Handschrift der Guðmundar saga biskups stammt. Das Akkusativobjekt ist efni ‚Stoff einer Erzählung‘ (Baetke 2002: 100), also eine Bezeichnung für das Attribut STOFF. Daneben gibt es noch ein Präpositionalobjekt í þessa sǫgu ‚in diese Geschichte‘. Hier ist saga wieder ein Wert für das SKRIPT, d.h. die in der Handschrift vorliegende geschriebene Geschichte, in welcher der Autor, Kompilator oder Schreiber gewisse Teile aus der gesamten Erzählung (frásǫgn) weglässt. Genauso wie oben in der Jóns saga helga (vgl. Kap. II.3.1.2.g.) liegt ein Teil-Ganzes-Verhältnis vor. Dieses Ganze, d.h. der STOFF, ist variabel, denn es können ihm TEILE hinzugefügt oder solche auch weggelassen werden, was sich auch in der handschriftlichen Überlieferung manifestiert.

Fünf weitere Kommentare stammen aus der Íslendinga saga, die alle gleich strukturiert sind. Der erste hat als einziger einen eindeutigen Beleg von ríta:

b) Biskup ferr vm svmarit yfir Vest-fiorþv, enn vm vetrin var hann a Breiðabols-stað i Steingrims-firði með Bergþori Ions syni, oc vrðv þar margir lvtir þeir, er fra-sagnar væri verdir, oc iartegnvm þotti gegna, þott her se æigi ritnir, bæði þat er biskup atti við flagð þat, er þeir colluðu Sel-kollv, oc mart annat. (StS1 290).

Der Bischof reist im Sommer durch die Westfjorde und im Winter war er in Breiðabólstaðr im Steingrímsfjǫrðr bei Bergþórr Jónsson. Und es geschahen viele Dinge, welche einer Erzählung wert wären und Wundern gleich kommen, obwohl sie hier nicht geschrieben sind, dass der Bischof ein Trollweib hatte, welches sie Selkolla nannten und vieles anderes. (Übers. KM).

Das Verb ist im Passiv und hat kein Subjekt. Das Partizip Prätertitum ritnir (m. Pl.) kongruiert mit dem Substantiv hlutir ‚Dinge, Teile (m. Pl.)‘ im Hauptsatz. Diese stehen für das Thema und sind somit ein Wert für das Attribut INHALT. Das deiktische Lokaladverb hér ‚hier‘ ist die einzige Ergänzung und bezieht sich entweder auf das SKRIPT, die Saga, oder den SCHRIFTTRÄGER, den Kodex.

Beim zweiten Kommentar ist es nicht möglich, zu beurteilen, wer diesen Satz ursprünglich schrieb, denn er ist nur in frühneuzeitlichen Papierabschriften erhalten, sodass ein frühneuzeitlicher Abschreiber, oder ein mittelalterlicher, der Kompilator der Sturlunga saga oder der Autor der Íslendinga saga in Frage kämen: c) „Margt sagði hann annat, þó at hér sé eigi ritat í þessarri sǫgu“ (StS1 489). ‚Er [= Þórðr Sturluson] sagte noch viel anderes, obwohl es nicht in dieser Geschichte geschrieben steht‘ (Übers. KM). Rita ist passiv, so dass das Agens leer bleibt. Das Subjekt bildet ebenfalls eine Leerstelle. Das Partizip Präteritum ritat (n. Sg.) kongruiert mit annat ‚anderes (n. Sg.)‘ aus dem Hauptsatz. Die Leerstelle verweist folglich auf dieses ‚andere‘. Die einzige Ergänzung von rita ist das Präpositionalobjekt í þessarri sǫgu ‚in dieser Geschichte‘. Im Gegensatz zum vorherigen Beleg (b) regiert í hier den Dativ. Die thematische Rolle ist folglich der Ort. Hier unterscheidet sich die Íslendinga saga sprachlich von der Prestssaga Guðmundar Arasonar, in welcher die saga das Ziel ist. Unabhängig von der thematischen Rolle ist saga das dem Leser vorliegende Skript, in dem Teile fehlen. Der Ort steht also für das SKRIPT mit dem Wert saga und das Thema für den INHALT. Das SKRIPT als Ziel in der Guðmundar saga biskups erklärt sich durch das Modalverb vilja ‚wollen‘, welches eine Intention impliziert, und das SKRIPT als Ort in der Íslendinga saga durch das Zustandspassiv. In beiden Kommentaren bildet das Skript einen Raum, in dem gewisse Inhalte vorkommen oder fehlen können.

Auch der dritte Kommentar ist nur in frühneuzeitlichen Abschriften erhalten: d) „Ok margir merkiligir hlutir urðu á þann dag, er biskup var grafinn, þótt hér sé eigi ritaðir“ (StS1 491). ‚Und viele denkwürdige Dinge geschahen an diesem Tag, als der Bischof begraben wurde, obwohl sie hier nicht geschrieben stehen‘ (Übers. KM). Rita ist wieder passiv und in einem Konzessivsatz. Bis auf das deiktische Lokaladverb hér sind alle Stellen leer. Dieses Adverb bezieht sich wie beim ersten Kommentar der Íslendinga saga (b) entweder auf das SKRIPT, wie die oben schon erwähnten Konstituente í þessarri sǫgu oder auf den SCHRIFTTRÄGER, wie etwa in der Jóns saga helga mit einer vergleichbaren Konstituente á þessarri bók ‚in diesem Buch‘. Das Partizip Präteritum ritaðir (m. Pl.) kongruiert mit hlutir ‚Dinge, Teile (m. Pl.)‘, so dass diese das Thema bilden. Die Verteilung der thematischen Rollen Thema und Ort, sowie die entsprechenden Attribute INHALT und SKRIPT stimmen mit dem vorherigen Beleg überein. Wenn hér auf den Kodex referiert, steht der Ort allerdings für den SCHRIFTTRÄGER. Das leere Agens ist gleich obskur wie im vorherigen Beleg (c), da beide nur in Papierabschriften erhalten sind.

Man kann sich darüber streiten, wie brauchbar solche in frühneuzeitlichen Handschriften überlieferte Belege für eine Untersuchung eines mittelalterlichen Wortschatzes sind, weil die Abschriften nicht immer zuverlässig sind. Dass sie ein mittelalterliches Vorbild haben, zeigen aber die beiden letzten Kommentare der Íslendinga saga aus der Króksfjarðarbók: e) „Margir voro adrir draumar sagðir i þenna tima, þo at her se eigi ritaðir, þeir er tiþinnda-vǽnir þóttu vera, sva ok aðrir fyrir-burðir“ (StS1 514). ‚Viele andere Träume wurden in dieser Zeit erzählt, obwohl sie hier nicht geschrieben stehen, welche voller Vorbedeutung waren, sowie andere Visionen‘ (Übers. KM). Bis auf das Adverb hér, das wohl auch bei diesem Beleg entweder auf das SKRIPT oder den SCHRIFTTRÄGER verweist, sind die Stellen in diesem Passivsatz leer. Das Partizip ritaðir (m. Pl.) kongruiert mit draumar ‚Träume (m. Pl.)‘. Die Saga enthält also Träume und, wie aus der Apposition zu entnehmen ist, andere Visionen (aðrir fyrirburðir). Das Agens ist weniger obskur als in den obigen beiden Belegen, weil ein frühneuzeitlicher Abschreiber sicher ausgeschlossen werden kann, jedoch bleibt offen, ob der Kommentar vom Autor der Íslendinga saga, dem Kompilator der Sturlunga saga oder einem ihrer mittelalterlichen Abschreiber stammt.

Im letzten Kommentar der Íslendinga saga kongruieren das Partizip ritaðir (m. Pl.) und das Subjekt fáir ‚wenige (m. Pl.)‘ mit dem Substantiv fyrirburðir (m. Pl.): f) „[F]yrir tiþinndum þessum, er her fara eptir, urðu margir fyrir-burðir, þo at her sé faáir ritaðir“ (StS1 517). ‚Vor den Begebenheiten, die hier nachfolgen, ereigneten sich viele Visionen, obwohl sie hier nicht geschrieben stehen‘ (Übers. KM). Neben dem Adverb hér für das SKRIPT oder den SCHRIFTTRÄGER und dem Subjekt fáir [fyrirburðir] für den INHALT gibt es keine weiteren Ergänzungen zum Verb.

Die fünf Belege aus der Íslendinga saga sind alle gleich strukturiert. Das Verb rita/ríta ist im Passiv, das Subjekt fehlt in vier Fällen, kann aber über die Kongruenz mit dem Partizip aus dem Kontext erschlossen werden. Es handelt sich um Träume, Visionen, denkwürdige Dinge und die Aussage einer Person, also alles Inhalte, die im Skript oder Schriftträger fehlen, auf die mit dem Adverb hér oder in einem Beleg expliziter mit der Konstituente í þessarri sǫgu verwiesen wird. Es ergibt sich ein Frame aus drei Attributen: 1. dem SCHREIBER, das immer leer ist, 2. dem INHALT mit den Werten draumar, fyrirburðir sowie hlutir und 3. dem SKRIPT mit dem Wert saga oder eventuell dem SCHRIFTTRÄGER. Dieser Frame ähnelt der Konstruktion rita e-t á e-u aus der Jóns saga helga, wobei dort der Ort für den Schriftträger steht, während er in der Íslendinga saga auch für das Skript stehen kann, wie die Kollokation rita e-t í sǫgu zeigt. Das Skript nimmt in der Guðmundar saga hingegen die thematische Rolle Ziel ein.

Drei weitere Kommentare stammen aus der Þorgils saga skarða, welche nur in Abschriften aus dem 17. Jh. erhalten sind und sich von jenen der Íslendinga saga unterscheiden. Der Erste unterscheidet sich von den übrigen beiden: g) „Biskup varð þá reiðr mjǫk ok mælti mǫrg óþægilig orð við Þorgils, þau sem eigi hæfir at rita“ (StS2 277). ‚Der Bischof wurde dann sehr wütend und richtete viele unangemessene Worte gegen Þorgils, für die es nicht angemessen ist, aufgeschrieben zu werden‘ (Übers. KM). Rita/ríta ist hier ein Infinitiv zu einer unpersönlichen Konstruktion, so dass das Agens eine Leerstelle bildet. Das Agens ist auch hier gleich obskur wie in den frühneuzeitlichen Belegen der Íslendinga saga. Die Position des Akkusativobjektes ist durch die Relativpartikel sem besetzt, welche sich auf das Substantiv orð ‚Wort‘ im Hauptsatz bezieht, das sowohl dem Attribut INHALT zugeordnet werden kann, da es gesprochene Worte sind, als auch dem Attribut SKRIPT, weil sie dazu hätten werden können, wenn die Worte angemessen gewesen wären.

Der zweite und dritte Kommentar sind sehr ähnlich aufgebaut: h) „Lét Þorgils því ǫllu á dreif drepa ok þeim øngum uppi haldit, ok því ritum vér þar ekki af“ (StS2 294). ‚Þorgils hielt das alles geheim und ihnen wurde keine Beachtung geschenkt, und deshalb schreiben wir nichts davon‘ (Übers. KM). Hier ist das Verb rita/ríta aktiv und hat das Subjekt vér ‚wir‘, das wiederum gleich obskur wie in den obigen Belegen ist. Der Plural kann einerseits als Pluralis Majestatis interpretiert werden oder vielleicht für das ganze Team mit Schreiber, Autor und Kompilator (vgl. Lönnroth 1964: 85f.), was sich bei diesem Beleg nicht sicher entscheiden lässt. Das Verb ist zweitens durch das Akkusativobjekt ekki ‚nichts‘ ergänzt, welches durch das Proadverb þar af ‚davon‘ umklammert ist. Die Präposition af bedeutet u.a. ‚von (Teil eines Ganzen bezeichnend)‘ (vgl. Baetke 2002: 4). Dieses Ganze bezieht sich auf die Visionen (fyrirburðir), welche Þorgils geheimhält (vgl. StS2 294), die folglich den Wert des Attributs INHALT darstellen. Das negative Indefinitpronomen ekki ist hingegen entweder ein Wert des SKRIPTS, der in der vorliegenden Handschrift fehlt, oder wiederum einer des INHALTS. Ganz ähnlich ist der dritte Kommentar: i) „Gekk þá skattr yfir land, sem mǫrgum mǫnnum er kunnigt orðit, ok ritum vér þar eigi fleira af, en þó eru þar mikil sǫguefni“ (StS2 306). ‚Dann gab es Steuern im Land, wie vielen Leuten bekannt geworden ist, und wir schreiben nicht mehr darüber, aber doch gibt es viel Erzählstoff‘ (Übers. KM). Rita/ríta hat ebenfalls das Subjekt vér und das Akkusativobjekt fleira ‚mehr‘ ist auch vom Proadverb þar […] af ‚davon‘ umklammert. Das Ganze ist bei diesem Kommentar wohl das durch den Satz Gekk þá skattr yfir land ‚dem Land wurde eine Abgabe auferlegt‘ beschriebene Ereignis, welches viel Erzählstoff (sǫguefni) geboten hätte. In beiden Fällen referiert das Proadverb þar […] af auf das Attribut STOFF (efni), was das im Kontext belegte Kompositum sǫguefni, bestehend aus dem Kopf efni und dem Modifikator saga, bestätigt. Das Adjektiv fleira ist wie ekki ein Wert für das SKRIPT, das in diesem Fall mehr hätte enthalten können, oder wieder für den INHALT.

Die Kommentare als Gesamtes betrachtet ergeben wieder einen neuen Frame mit neuen Attributen. Bekannt sind bereits SCHREIBER, SKRIPT mit dem Wert saga und INHALT mit den Werten draumr ‚Traum‘, fyrirburðr ‚Vision‘, hlutr ‚Teil, Ding‘ und orð ‚Wort‘. Das Lexem efni ‚Stoff‘ hat sich bereits als Bezeichnung für das Attribut STOFF erwiesen. Gleiches gilt für das Lexem hlutr, welches keinen Wert für den Inhalt darstellt, sondern ein Attribut TEIL bezeichnet, wie das oben diskutierte Teil-Ganzes-Verhältnis es demonstriert. Der STOFF ist hingegen als Ganzes zu betrachten, aus dem der Schreiber, Kompilator oder Autor Teile entnimmt. Die übrigen Werte für den INHALT gehören zu beiden Attributen, zumal sie immer im Plural stehen. Sie bilden eine Menge, aus der Teile geschöpft werden können. Der STOFF entstammt einer QUELLE, welche in den obigen Kommentaren jedoch nicht erwähnt wird.

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