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aa) Garantenstellung durch Behandlungsübernahme
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Die Garantenstellung eines Arztes wird in erster Linie durch die Übernahme der ärztlichen Behandlung[323] begründet, wobei es nicht auf den Abschluss eines bürgerlich-rechtlich wirksamen Vertrages, sondern allein darauf ankommt, ob der Arzt faktisch die Betreuung und Versorgung des Patienten übernommen hat.[324] „Maßgebend für die Begründung einer Garantenstellung ist allein die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises, nicht (auch) das Bestehen einer entsprechenden wirksamen vertraglichen Verpflichtung“.[325] „Dieser Grundsatz gilt auch im Bereich der vertikalen Arbeitsteilung“.[326] Genügen soll z.B. schon, dass ein Patient in einer Arztpraxis im Wartezimmer Platz nehmen durfte und nicht abgewiesen wurde.[327] Der Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung in gleicher Weise für den ärztlichen Bereitschaftsdienst in dringlichen Erkrankungsfällen,[328] gleichgültig, ob es sich um den vertragsärztlichen Notfall-[329] oder den Rettungsdienst (Rettungsarzt oder Rettungsassistent)[330] handelt.
„Der Bereitschaftsdienst hat eine strafrechtlich geschützte Rechtspflicht nicht nur gegenüber der kassenärztlichen Einrichtung, sondern gegenüber der Bevölkerung, in dringenden Erkrankungsfällen einzugreifen. Dies ergibt sich aus dem Wesen des Bereitschaftsdienstes und dem überragenden Interesse der Bevölkerung, nicht zuletzt der Ärzteschaft selbst, an seiner geordneten Durchführung. Wer als Bereitschaftsarzt den Schutz der Bevölkerung gegenüber gesundheitlichen Gefahren übernimmt, muss schon deshalb für pflichtwidriges Unterlassen ebenso einstehen wie für tätiges Handeln, weil die Pflichten anderer Ärzte gegenüber ihren Patienten für die Dauer des Bereitschaftsdienstes mindestens erheblich eingeschränkt werden“.[331]
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Die tatsächliche Übernahme der Schutzfunktion und Verantwortung macht den behandelnden Arzt „zum Garanten dafür, dass in Richtung der Erfolgsabwendung alles nach Lage des Falles Sachgemäße und Erforderliche geschieht“[332] (präzisierend Rn. 155 ff.). D.h., er muss im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren (dazu aber auch schon Rn. 116 ff.) die gebotenen medizinischen Maßnahmen ergreifen, um die dem Kranken drohenden Schädigungen abzuwenden.[333] Konkret: nächtliche Krankenbesuche machen,[334] Diagnosemaßnahmen rasch treffen,[335] Schmerzen eines Patienten lindern,[336] die gebotene bakteriologische Untersuchung durchführen[337] oder z.B. Vorsorge gegen Infektionen anordnen. Wer im Krankenhaus für die Patientenaufnahme zuständig ist, hat eine Garantenstellung gegenüber den „Notfallpatienten“, wer den Ruf- oder Bereitschaftsdienst auf einer Abteilung versieht, gegenüber den Patienten dieser Abteilung,[338] der Schiffs-, Werks- oder Truppenarzt jeweils für den ihm überantworteten Personenkreis. Deshalb hat der zur Versorgung des Neugeborenen herbeigerufene Pädiater, der zum Dienst eingeteilt ist und den Dienst angetreten hat, auch ohne vertragliche Beziehungen zu Mutter und Kind eine Garantenstellung auf Grund der weisungsgemäß übernommenen Behandlungsaufgabe „spätestens ab seinem Erscheinen im Kreißsaal“.[339] „Mit der Fallübernahme erweckt der Arzt bei dem Patienten in der Regel das Vertrauen, dieser werde ihm unter Einsatz seiner ärztlichen Kenntnisse und Fähigkeiten beistehen, ihn weiter behandeln und notfalls weitere Hilfsmaßnahmen, zu denen er selbst nicht in der Lage ist, in die Wege leiten. Der Kranke verlässt sich auf diese Obhut und wird nicht mehr versuchen, anderweitig Hilfe zu erlangen“.[340]
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Die Position des Garanten gebietet dem Arzt, „den Patienten im Rahmen der von ihm gewählten Therapie keinen vermeidbaren Risiken“ auszusetzen. Daher ist der Arzt wegen fahrlässiger Tötung auch dann strafbar, wenn sich ein (drogenabhängiger) Patient im Rahmen einer Entziehungstherapie bewusst über die Einnahmevorschriften des Arztes hinwegsetzt und dadurch wissentlich ein lebensgefährliches Risiko auf sich nimmt, das bei entsprechender sorgfältiger Kontrolle verhinderbar war,[341] soweit das Verhalten des Drogenkonsumenten nicht weiter eigenverantwortlich war bzw. dies nicht auszuschließen ist. Im Übrigen „besteht die Pflicht zur Patientensicherung nur in den Grenzen des Erforderlichen und für das Personal sowie den Patienten selbst Zumutbaren“.[342]