Читать книгу Drachenkind - იაკობ ცურტაველი - Страница 16

Kapitel 13

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Unendliche Weiten. Es war kein Ende zu erkennen, nicht einmal in Gedanken. Unten rasten gigantische Eisplatten vorbei, bläulich schimmernd und doch leuchteten sie an manchen Stellen tiefrot im Sonnenlicht. Die Winde strichen unbarmherzig wie fliegende Messer aus reiner Kälte über dieses ewige Eis, in dessen Schönheit und Weite man sich vollkommen verlieren konnte.

Sein Schatten fegte lautlos wie ein Geist über zwei hohe Bergspitzen hinweg, glitt scheinbar über die Eisschollen dahin und hinterließ nichts. Er flog sehr schnell, verlor an Höhe. Als er sich leicht nach rechts neigte, um seinen Flügeln mehr Sonne zu bieten, spürte er brennende Schmerzen im gesamten Körper. Jeder zum Fliegen notwendige Muskel war beschädigt. Er begann, zu frieren und mit jedem Meter, den er an Höhe verlor, wurde ihm bewusster, wie wahnsinnig schnell er sich bewegte. Es wurde zunehmend dunkler, er war unterwegs zur Schattenseite. Der Horizont blieb schwarz, kein Sonnenlicht gelangte mehr dorthin. Genau in jenen Schatten würde er abstürzen. In der eisigen Dunkelheit. Niemand könnte ihn hier finden, er wäre sicher. Als sein Feuer schließlich erlosch, wurde alles finster und still.

Er blinzelte, erwachte kurz aus seinem todesnahen Schlaf. Die letzten Meter freier Sicht über den eisigen Stürmen verstrichen und er tauchte ein in den beißend kalten, dunklen Dunst aus rasenden Schneeflocken und scharfkantigen Eiskristallen, versank im Blizzard wie in Stein im Meer. Bis zum Boden konnte es nicht mehr weit sein. Die dichtere Luft im Sturm schlug ihm so hart entgegen, dass er dachte, er hätte eine Wand durchbrochen. Er konnte seine Flügel nicht mehr bewegen, starr ließen sie ihn nur noch segeln. Deutlich langsamer als vorher, aber noch immer viel zu schnell für sicheres Landen. Egal. Er würde sowieso sterben, die Finsternis hatte sein Inneres völlig zerfetzt. Wichtig war nur, dass ihn vorher niemand entdecken würde.

Sein Tastsinn machte ihm klar, dass es gleich soweit wäre. Er neigte sich nach vorn, ließ sich fast senkrecht einfach fallen. Wie ein Meteorit durchschlug er nach einer Minute den Boden, die Kollision sprengte einen riesigen Krater ins ewige Eis und erschütterte es so heftig, dass sogar der Sturm sich kurz veränderte. In der finsteren Dämmerung sah er seine verdrehten Flügel und die gebrochenen Knochen, spürte, wie sein Kern all das zu verzehren begann. Alles war zerstört und der Hals gebrochen, trotzdem versuchte er instinktiv, aufzustehen. Vergeblich. Aber er würde zurückkommen. Stärker als vorher.

Seine Schritte hallten durch den endlos langen Korridor aus dunklem Marmor. Unzählige, große Steinplatten in schwarzen Rahmen schienen an ihm vorbei zu fliegen. Sie waren wie Türen, doch ohne Klinken, Nummern oder Schilder. Als ein tiefschwarzer Gedanke der sehr nahen Verfolger an ihm vorbeischoss, durchbrach er gedankenlos gewaltig eine der Pforten. An jener Stelle, wo er durch den massiven Stein gekracht war, verzerrten ringförmige Wellen Raum und Licht und brachen nach einer Weile am Türrahmen, der sie reflektierte. Als wäre etwas durch eine starre Wasseroberfläche gefallen. Er stolperte und rutschte auf dem glatten Boden noch einige Meter weit, ehe er zum Stehen kam. Betäubt lauschte er dem Lärm der zu Boden fallenden Bruchstücke. Noch immer dröhnten die Gedanken und Schritte der Jäger in seinem Kopf:

»Ein Ende. Das Ende. Dein Ende …«

Er brach keuchend zusammen und versuchte, so viel wie möglich seines überhitzten Körpers auf dem kalten Steinboden zu kühlen. Es dauerte eine Weile, bis er überhaupt bemerkte, dass er sich in völliger Dunkelheit befand. Nur wenige Lichtstrahlen drangen gerade durch die letzten Risse, während die herausgebrochenen Splitter und Staubkörner zurück an ihren Platz sprangen und sich die fein kribbelnden Wellen glätteten, bis die zerstörte Tür wieder unversehrt massiv zurückblieb. Keine Geräusche mehr, bis auf das Pfeifen seiner Atmung. Er schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand er plötzlich am Rand der riesigen Schale aus schwarzem Gestein, aus welcher sanft nächtliches Licht hervorkam. Wie war er dorthin gekommen? Er schaute sich um, erkannte einige Meter hinter sich die Tür. Es war noch derselbe Ort, er hatte nur etwas Zeit übersprungen. Jetzt erhellte das Licht aus der Schale die Umgebung und er begriff den gigantischen, kuppelförmigen Raum, dessen Wände aus hunderttausenden sechseckigen, kleinen Fächern bestanden. Regale über Regale, an einer Seite der monströse Schrank, verschlossen von einem riesigen Granitportal. Er kannte diesen Ort. Hier würde alles enden …

Er konnte nicht in die Schale hineinblicken, also stieg er langsam und vorsichtig die Stufen des Altares nach oben, auf welchem sie sich befand. Wie ein Schatten schlich er völlig lautlos voran, näherte sich angespannt dem Rand. Doch in dem Moment spürte er eine erneute Verzerrung der Zeit und blickte zur anderen Seite der monströsen Schale, fast achtzig Meter entfernt. Bizarre, ringförmige Wellen tauchten in der Luft auf, sie krümmten was er sah, breiteten sich aus wie Tinte in Wasser. Ferne Schritte und Stimmen hallten durch das kolossale Gewölbe, merkwürdig hohl und verzerrt. Eine andere Zeitebene näherte sich, würde gleich mit dieser verbunden. Hineinsehen oder fliehen? Plötzlich voller Angst zögerte er. Gleich wären sie hier und könnten ihn sehen. Das durfte nicht passieren. Verstecken. Wo? Er schaute sich um, warf dem enormen Granitportal einen Blick zu und rannte los, so schnell er konnte.

Ein heftiger Gedanke öffnete die eindeutig hunderte Tonnen schweren, riesigen Tore schnell und leicht einen kleinen Spalt breit, als wäre ihre Masse unbedeutend. Der gewaltige Lufthauch stürmte bebend durch den Raum und ließ die schier unendlich zahlreichen Regale an den Wänden klirrend und raschelnd erzittern. Eilig und mit Angst in den Knochen rannte er auf den finsteren, tiefschwarzen Spalt zu, ohne zu wissen, was dahinter war. Einen Schritt später war alles dunkel, übergangslos waren abermals viele Sekunden übersprungen. Er spürte den Rest des verhallenden Bebens, welches von der übernatürlichen Bewegung der Tore verursacht worden war. Selbst durch den meterdicken Stein fühlte er ihre Anwesenheit. Zehn, zwanzig, fünfzig … Es wurden so schnell mehr, dass er nicht mehr zählen wollte. Es waren zu viele.

Der Rat versammelte sich. Niemand würde den Kopf heben oder ein Gesicht offenbaren, wie immer. Wie jedes Mal stellten sie sich auf dem Altar in Ringen um die Schale herum auf, in welcher man von oben nur dunkle Wolken erkennen konnte. In Gedanken sah er, was sie sahen. Hier und da ein paar winzig erscheinende, finstere Wirbelstürme, die aussahen, als würden sie sich drehen. Auf der anderen, deutlich kleineren Hälfte, konnte man geradewegs durch den Himmel hindurch auf die Oberfläche des Planeten sehen, auf ein Gebirge und das angrenzende Meer. Jemand legte eine Hand auf den Rand der Schale, die Ansicht änderte sich. Wie durch die Augen eines über das Land fliegenden Drachen sahen sie Ländereien vorbei rasen, schließlich einen unendlich erscheinenden und völlig unübersichtlich großen Wald. Sie zeigten auf einen verhältnismäßig kleinen Fleck Land, umringt von den tiefschwarzen und kreisenden Stürmen. Der Wald wirkte wie ein in die Enge getriebenes Tier und war offensichtlich deutlich kleiner geworden, seitdem sie das letzte Mal hier gewesen waren.

Plötzlich, durch das merkwürdig verzerrte Stimmengewirr der Gestalten kaum zu hören, vernahm er ein doch deutliches Ächzen und bemerkte, dass sich die zwei monströsen Türen jenes Raumes öffneten, in den er gerade noch geflohen war. Einige derer, welche direkt vor diesem riesigen Schrank standen, hatten es ebenfalls bemerkt. Trotzdem sprach niemand ein Wort, nur ihre Gedanken wurden laut, sie riefen und brüllten, machten einander darauf aufmerksam, versiegelten ihre Geister. Niemand durfte Zeuge dessen werden, was hier vor sich ging. Wer auch immer sich hinter diesen Türen versteckte, musste sterben. Unaufhaltsam bewegten sich die vielen hundert Tonnen uralten Gesteins, würden den Feind gleich offenbaren. Einige breiteten die Arme aus, als wollten sie eine Mauer bilden. Sie formten wolkengleiche Unmengen schwarzer Gedanken über ihren Köpfen, mit welchen sie gleich versuchen würden, den Spion zu lähmen und zu töten. Er würde sterben, spürte diese Gewissheit tief im Inneren. Warum war er hier? Wie war er überhaupt in dem langen Gang gelandet? Wieso wusste er überhaupt, wo er war? In genau dem Moment, als sich ein Spalt zwischen den beiden Torflügeln öffnete, zuckte ein heftiges, blaues Leuchten durch die Schale. Einige drehten sich um, konnten sich nicht entscheiden, wem oder was sie ihre Aufmerksamkeit widmen sollten. Das grelle Phänomen wiederholte sich, die Schale bekam Risse. Einige lösten sich auf und verschwanden, als sie begriffen, dass etwas Gefährliches im Anmarsch war. Andere blieben verwirrt im Raum, stürmten auf ihn zu oder warfen einen Blick in die Schale, aus welcher plötzlich heftige Blitze und Lichtbögen aus grellstem Blau hervorschossen und die gesamte Umgebung zerschmetterten. Was nicht aus Stein oder fest verbaut war, wurde von den unberechenbar umhertanzenden Entladungen zu Asche verbrannt. Alles wurde betäubend hell, nur der dunkle Spalt zwischen den riesigen Torflügeln blieb übrig, ehe der Traum sich auflöste.

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