Читать книгу Drachenkind - იაკობ ცურტაველი - Страница 22
Kapitel 19
ОглавлениеLangsam kamen die Anbauflächen zwischen den Bäumen in Sichtweite und Eric sah sofort das große Getreidefeld mit dem kleinen Krater. Erst jetzt erkannte er bewusst, wie groß die Pflanzen waren. Nun würde er dort wohl kaum landen, er suchte nach dem hellen Glitzern, welches er während ihres Sturzfluges erhascht hatte. Überall zwischen den mehr oder weniger dicht stehenden Bäumen waren Häuser, Hütten und Felder angelegt, wunderbar geschützt im Wald und dennoch gab es genug Sonne dort unten. Je weiter man sich ins Waldesinnere bewegen würde, desto dichter stünden wieder die Bäume und schon bald wäre man von oben nicht mehr zu sehen. Als er etwas höher stieg um den Winkel zu möglichen Sonnenreflektionen zu ändern, blitzte in der Ferne tatsächlich ein heller Punkt auf der riesigen Lichtung im Wald, etwa einen Kilometer entfernt. Eric sah genauer hin, erkannte Gebäude und Bewegungen dazwischen. Menschen. Stumm änderte er die Richtung und näherte sich. Er war zwar auf Luftlinie nicht mehr weit weg, flog aber einige Kilometer hoch und so war es doch noch ein ganzes Stück. Da gerade kaum Wolken im Weg waren, beschloss Eric, vorerst oben zu bleiben. Er wollte nicht gesehen werden.
Nach den Feldern war eine Obstplantage angelegt, alles aneinander angrenzend und von der Plantage, auf der eine Menge großer Bäume und Stauden standen, führte ein langer Weg direkt zur Stadt. Die Häuser, welche eher den Ferienwohnungen aus Skagen ähnelten, waren zum Teil aus Lehm gebaut, andere aus Holz oder Stein. Es gab kaum einen offensichtlich einheitlichen Stil, als wären zig verschiedene Kulturen und Lehren auf einer Lichtung vereint. Genau in der Mitte der Stadt stand ein riesiges Bauwerk, erhoben auf einem großen Hügel. Es sah zu Erics Erstaunen selbst nicht sehr hoch aus, im Vergleich zu seinen sonstigen Ausmaßen. Rund um das Bauwerk führten mehrere breite Treppen den Hügel hinunter, auf jeder der Treppen bewegten sich die Menschen nach oben oder zurück in die Stadt. Auf dem Dach befand sich eine komplexe und gewaltige Spiegelkonstruktion, welche offensichtlich genau das war, was Eric von weitem hatte glitzern sehen. Als er auf seiner langsamen Kreisbahn weiterflog, erkannte er, dass jenes Gebäude von Säulen gestützt wurde, die denen aus Griechenland oder Rom sehr ähnlich waren. Sie schienen im Boden zu versinken. Ein großes Portal wurde sichtbar und langsam erkannte Eric detailliert und scharf einige Menschen, die sich auf den sandigen Wegen der Stadt bewegten. Vielleicht war das der Tempel, an welchen jemand in seinem letzten Traum gedacht hatte. Sofort begann er, die Umgebung nach Merkmalen aus dem Traum abzusuchen. Als die letzte Wolke sich langsam auflöste und er einen riesigen Krater entdeckte, wurde ihm mulmig zumute. Schließlich begann er doch, sich dem Boden zu nähern.
Eric war immer noch knapp fünfhundert Meter vom Zentrum entfernt und segelte nun in kaum zwei Kilometern Höhe langsam weiter. Klänge aus der Stadt wurden deutlicher und seine Augen erkannten plötzlich die von Seath, jener Frau, welcher er in seiner Vision gefolgt war. Sie goss gerade die Pflanzen vor einer Hütte, vielleicht ihrer eigenen. Die Sonne, welche schon etwas tiefer stand, warf einen riesigen Schatten, der schnell über den Boden huschte. Sie bemerkte es doch konnte den Urheber gegen das Sonnenlicht nicht sehen. Er kreiste über der dicht bebauten Lichtung, beobachtete Strukturen und die Netzwerke aus verschieden beschaffenen Wegen. Ihm wurde klar, dass jenes riesige Gebäude mit den Spiegeln tatsächlich exakt im Zentrum der Lichtung lag und von großen, freien Grasflächen umgeben war, auf denen sich nur vereinzelt winzige Hütten befanden. Zu klein, um drin zu wohnen. Was wohl darin war? Egal. Sieben breite und helle Wege führten gerade vom Zentrum, dem Tempel, in alle Richtungen und fächerten sich später in kleinere Abzweigungen auf, welche sich schließlich zwischen den unzähligen Gebäuden der Stadt verloren. Wie ein Spinnennetz waren die schmaleren Wege angelegt, von außen nach innen und in großen Ringen, sodass man von überall her schnell überall hingelangen konnte und nie Probleme haben würde, das Zentrum zu finden. Eric prüfte die großen Wiesen. Die perfekte Landemöglichkeit. Er erspähte eine Art Schale, geschätzt zehn Meter im Durchmesser, scheinbar mit Früchten und Getreide gefüllt. Eric wunderte sich, flog weiter Kreise und atmete bei der nächsten Gelegenheit bewusst und großzügig den Wind ein. Ja, es waren Früchte. Süß und frisch, der Geruch war wunderbar und der Zucker ließ seinen Hunger sofort wieder aufkeimen. Auf derselben Fläche, in der Nähe des riesigen Einganges zum Tempel und der Schale, erspähte Eric eine kleine Person, ihm zuwinkend und gen Himmel zeigend. Eric hörte eine bekannte Stimme, durch die Entfernung spitz und leise.
Jack schrie Erics Namen, konnte seinen Bruder in Gedanken nicht erreichen, da der sie noch immer verschlossen hielt. Eric sah eine Schar anderer um ihn herum, alle hielten sich die Hände vor die Stirn, um besser gegen das Licht der Sonne sehen zu können, was da im Anflug war. Dass er sich näherte, schien sich unglaublich schnell zu verbreiten. Mehr und mehr Wesen sammelten sich in Jacks Nähe, blickten nach oben und erkannten die große, tiefschwarz wirkende Gestalt erst, als Eric tiefer sank und nicht mehr scheinbar direkt vor der Sonne schwebte. Sie wichen aus, als er seine Kreise enger zog und sich steil nach unten fallen ließ, ehe er aufsetzte und trabend direkt auf die große Menge zu kam, völlig fasziniert von den Gebäuden und dem ganzen Gefühl der Umgebung. Sie machten ein paar Schritte zurück, aber Eric hielt an, als er Jack vor sich hatte. Er sah ihm in die Augen und Jacks Erleichterung war deutlich. Endlich hatte sein Freund die alte, geduldige Laune wieder. Das ließ auf ein gesünderes Zusammenleben hoffen als er und Mia es am Ende ihrer Reise hatten erleben müssen. Eric neigte den Kopf und schnupperte an seinem Gefährten, der ihm freudig einen Klaps auf die überempfindliche Schnauze gab. Eric zog sie erschrocken zurück und schnaubte, als sich das Kribbeln durch seinen ganzen Kopf bewegte. Er hörte Jacks Gedanken.
»Endlich. Eric, ich wirklich gedacht …«
Jack beendete seinen Satz nicht, die Umstehenden kamen langsam näher und schlossen sie ein. Es wurden stetig mehr, waren bereits jetzt über tausend. Eric hob den Kopf und sah über die gewaltige, schnell wachsende Ansammlung hinweg, er fühlte sich bedrängt. Er und Jack standen nun in der Mitte eines riesigen Ringes wimmelnder Neugier, doch niemand wagte sich wirklich nahe an ihn heran. Eric wurde schnell klar, dass keiner von ihnen jemals einen lebendigen Drachen wie ihn gesehen hatte. Keiner wusste, was zu erwarten war. Doch er spürte, dass es außer Neugier und Faszination auch jede Menge Sorge, sogar Furcht gab. Seine Erscheinung war einschüchternd, die Hitze aus seinem Inneren noch immer gewaltig und seine Reaktion auf jede noch so kleine Regung zeigte deutlich, dass er eine seltsame, hungrige Anspannung verspürte. Langsam wurde es ruhiger, nach Minuten bekam Eric das Gefühl, sie würden ihn schon fast wie eine Art Alien studieren.
Überwältigt von dieser Menge sah sich Eric langsam um. So viele Menschen … Ihre Gesichter wirkten ausnahmslos so, als würden sie fast ihr ganzes Leben draußen unter freiem Himmel verbringen. Alle wirkten wachsam und im Grunde offen, irgendwie müde. Der Anschlag vom Morgen hatte Spuren hinterlassen und doch spürte Eric genau, dass niemand auch nur ansatzweise etwas empfand, was nach dem gewaltsamen Verlust von tausenden jungen Leben zu erwarten war. Wie war das möglich? Niemand zeigte tiefe Trauer, keiner scherte sich besonders um den Rauch. Im Gegenteil, hinter ihrer Müdigkeit verbarg sich eine fast trotzige, erleichterte Widerstandskraft. Etwas ließ sie hoffen. Sie wirkten dankbar. Wofür? Und an wen richtete sich ihr Dank? Als Eric einen kleinen Jungen entdeckte, welcher von fast allen anderen getrennt neben ihm stand, drehte er sich zu ihm um und machte unbedacht einen Schritt auf ihn zu. Ein Raunen ging durch die Menge, eine hochgewachsene Frau ging zu dem Kind und nahm es an die Hand, schaute Eric nur vorsichtig an. Eric blieb stehen. Behutsam brach er in die Gedanken des Kindes ein, sah klar und deutlich das Feuer und die Explosion darin, spürte Angst und die starke Erschütterung im Boden. Doch offenbar war der Kleine in sicherer Entfernung gewesen. Plötzlich fühlte Eric eine Art Druck in den Zähnen und war sofort wieder hellwach, ließ von den Erinnerungen des kleinen Jungen ab. Gefahr.
Eric richtete sich auf und sah sich um. Die Hitze in seinem Inneren wurde Stärker, seine Krallen gruben sich tief in die Erde und sein langer Schwanz zuckte kurz. Einer der Attentäter aus seinem Traum war hier, irgendwo. Er spürte es so deutlich, als würde ihn der unbekannte Mann laut und aus direkter Nähe ansprechen. Innerhalb weniger Sekunden hatte Eric die Angst vor einem erneuten Aussetzer inmitten tausender Menschen verdrängt. Der Drache war scharf, hungrig und absolut präzise. Er würde definitiv niemanden beachten, der nicht direkt eine Bedrohung darstellte. Sein drohend grollendes Knurren erschreckte die Umstehenden und als er sich zielstrebig in Bewegung setzte, drängten sie sich, um ihm nicht im Weg zu stehen. Eric schritt suchend durch die Menge, breitete seine Schwingen aus um einen Schatten zu werfen und zu schauen, wer sich absichtlich darin verstecken würde. Sofort erhaschte er einen recht großen, kräftigen Menschen, gekleidet in grobe Stoffe und offensichtlich sehr darauf bedacht, nicht gesehen zu werden. Der Mann blieb im Schatten und bemühte sich, näher an Eric heranzukommen. Erst, als er am Rande jenes inneren, mittlerweile aufgebrochenen Kreises von Beobachtern ankam, blieb er stehen. Weiter konnte er nicht gehen, ohne sich völlig offensichtlich zu zeigen.
Eric schloss seine Flügel wieder, stützte sich mit ihnen am Boden ab, als wären sie ein zusätzliches Paar starker Arme. Seine Flügelhäute begannen vor Erregung zu vibrieren. Ein kurzer, tiefer Ton, den jeder im Gesicht spüren konnte. Eric spürte die Spannung in sich. Dieser Mann war einer von Manous Gehilfen. Zweifellos. Eine reale und greifbare Chance, etwas über Manou herauszufinden. Die Menschen blieben wie angewurzelt stehen, als der Drache in ihrer Mitte seine gewaltigen Muskeln anspannte und sich dem Schmied weiter näherte. Was hatte er vor? Als ihnen klarwurde, dass das fremde Wesen in dem Schmied einen Feind sah, nahmen sie doch eilig Abstand von dem Mann, der mit gesenktem Blick bis jetzt glaubte, er könne sich weiter verstecken. Er wollte sich wohl sehr auf etwas konzentrieren. Die glühenden Augen des schwarzblauen Drachen suchten flüchtig die Umgebung nach weiteren Gefahren ab, schließlich verweilte sein bösartiger Blick auf dem Handwerker, der nun allein dastand und plötzlich die Arme hob. Weit hinter ihm bewegte sich etwas in der Menge. Ein riesiger metallischer Speer, locker fünf Meter lang und weit über einhundert Kilogramm schwer, brach aus der Erde durch die Wiese an die Oberfläche und erhob sich lautlos aus der Menge, drehte sich langsam in Erics Richtung und schoss mit einem erstickten Ton wie eine Kanonenkugel auf ihn zu.
Eric sah das Geschoss auf sich zu zischen und wusste genau, wo es ihn am Hals treffen würde. Doch der Drache blieb ruhig. Er wusste auch, dass das Objekt seinen Panzer nicht durchdringen konnte, er hatte das magnetische Metall längst erfasst und geprüft und war sich sicher, es wäre zu spröde, um ernsthaften Schaden anzurichten. Der Aufprall war dennoch extrem hart, die gesamte Energie konzentrierte sich auf den winzigen Punkt, auf welchen die scharfe Spitze des Speeres gerichtet war. Eric spürte einen kurzen Druck und einen stechenden Schmerz in den Muskeln am Hals. Der Speer zersplitterte mit einem lauten Knall und Lichtblitz unter der Gewalt des eigenen Aufpralls, seine scharfkantigen Einzelteile fielen schwer auf den Boden und blieben glühend im kurzen Gras liegen, ein paar Splitter verfehlten nur um Haaresbreite die ersten Reihen der Menge.
Die erschrockenen Aufschreie einiger Menschen waren längst verstummt, da stand der Attentäter noch immer wie angewurzelt einfach nur da und bewegte sich nicht. Er wusste genau, das war sein Ende. Warum hatte die Waffe den Drachen nicht getötet oder wenigstens verletzt? Wie war das möglich? Die Spannung und Siegessicherheit in seinem Körper ließ augenblicklich nach, er hob den Kopf und starrte direkt in das Paar feuriger Augen. Die Hitze des Drachen wurde plötzlich so enorm, dass einige der Menschen die Augen zusammenkniffen. Ein kurzes, erregtes Aufleuchten zuckte durch den gesamten Körper des Drachen, im hellen Sonnenlicht nur dank der tief blauschwarzen Schuppen überhaupt sichtbar. Als ob er nachdenken würde legte er den Kopf schief und wirkte fast so, als wollte er lachen.
Erics Gedanken waren wie ausgelöscht, langsam drehte er den Kopf ein wenig und prüfte seinen Hals. Keine Verletzung, der Schmerz ließ bereits nach. Er stand einige Sekunden stumm da, dann machte er ein paar lange Schritte auf den erstarrten Angreifer zu, holte aus und fegte ihn mit aller Kraft vom Boden wie ein Glas Wasser vom Tisch. Ein hässliches Geräusch erklang, als die Rippen des Mannes zersplitterten, die Luft aus den Lungen des Schmieds herausgepresst wurde und sie durch die Wucht des Schlages zerplatzten. Eine feine, rötliche Wolke fauchte wie Sprühnebel aus seinem Mund und der Nase, der Körper segelte durch die Luft und krachte einige Meter weiter wie eine Abrissbirne durch die Wand einer kleinen Lehmhütte. Die Splitter und der blutige Staub stoben in alle Richtungen, ehe es wieder ruhig wurde. Während sich Eric abermals prüfend umsah, leckte er das Blut von seinen Krallen. Ein leises, heißes Schnauben machte klar, es schmeckte ihm. Als seine Fänge sauber waren, hielt er kurz inne. Es war totenstill. Mit einem Mal verneigten sich die Menschen, wie eine Welle ging die Regung durch die Massen. Sie ließen ihn kaum aus den Augen, doch die Geste war eindeutig.
Der Drache stieß einen kurzen und lauten Ton aus, dann machte er sich auf den Weg zu jener großen Schale mit Früchten und Getreide, welche etwa fünfzig Meter entfernt stand. Kaum jemand regte sich, niemand sah ihm in die Augen. Gierig begann er, aus dem riesigen Napf zu fressen, ließ sich nicht stören, beobachtete über den Rand der Schale hinweg die Menschen um sich herum. Jack kam zu ihm, stellte sich direkt an den gegenüberliegenden Rand des steinernen Gefäßes, wo Eric ihn sehen konnte. Jack sah ihn sprachlos an, mit einem befremdlichen Ausdruck im Gesicht. Eric spürte Gleichgültigkeit in sich, es war ihm völlig egal, so stark trieb ihn der Hunger. Er sog den letzten Rest Saft und Brei der erstaunlich sättigenden Mahlzeit auf, leckte mit der langen Zunge genüsslich den rauen Stein ab, ließ keinen Tropfen übrig. Der erhitzte Boden der Schale dampfte, die süßlichen Gerüche verteilten sich überall. Erics Hitze ließ nach, zufrieden beruhigte er sich langsam und traute sich wieder, die Menschen anzusehen, verlor die Angst davor, einfach dem Hunger nachzugeben und um sich zu schnappen. Er kam langsam zu sich.
Jack beobachtete Eric bei dessen Mahlzeit und hatte noch immer damit zu kämpfen, dass es keine zehn Minuten bis zum ersten Anschlag auf seinen Bruder gedauert hatte. Als der magische Speer sich erhoben und wie eine Kompassnadel auf Eric ausgerichtet hatte, war Jack wie versteinert einfach stehengeblieben und hatte geglaubt, Eric würde sterben. Niemand hatte das Ergebnis erwartet, sie alle sahen zum ersten Mal einen Drachen. Es gab keine Erfahrungswerte, keine Lehre, keine Sicherheit. Und Eric? Der verhielt sich wie ein wildes Tier, hatte den Attentäter offenbar sofort gespürt, ihn in der Menge gefunden und keine Anstalten gemacht, ihn nach dem misslungenen Angriff näher zu untersuchen. Er hatte ihn, geradezu reflexartig, äußerst gewaltsam ausgelöscht und sich das Blut von den Klauen geleckt. War er sich im Klaren darüber, wie das auf die ohnehin schon eingeschüchterten Menschen wirkte? Was ein solches Verhalten für ein Bild hinterließ? Jetzt stand Eric da und wirkte fast so, als wäre ihm alles außer seinem Futter völlig egal. Tatsächlich war es für ihn. Die Menschen hatten die Schale nur für den Drachen gefüllt, als Geschenk. Fast hoffte Jack, dass Eric dies irgendwie erfahren hatte und nicht einfach rein impulsgesteuert alles nahm, wonach ihm gerade der Sinn stand. Erics zufriedenes Knurren riss Jack aus seinen besorgten Gedanken. Er schien sich beruhigt zu haben. Jack war erleichtert, doch der bittere Nachgeschmack der Gesamtsituation blieb.
Eric kam sich vor wie jemand, der er nicht sein wollte. Was sollte er jetzt tun? Er drehte sich um und sein grimmiger Blick erschreckte noch immer einige. Er betrachtete all die bestürzten Gesichter und Schrecken, erkannte Eltern, welche ihre Kinder fest an sich gedrückt hielten oder eher kühl und vorsichtig beobachteten. Sie überlegten, ob sie bleiben oder ihn lieber alleinlassen sollten. Er faltete seine Flügel ganz zusammen und legte sich hin, eine instinktive Geste. Entspannt senkte er leicht den Kopf und wirkte direkt kleiner. Schließlich öffnete Eric seine Gedanken ein wenig, löste die schwere Einwirkung seines Blickes. Sofort machte sich Erleichterung breit, es war spürbar, wie die Menge aufatmete. Er zeigte ihnen seine Dankbarkeit für das Essen, schaute sich interessiert um und offenbarte nur einen einzigen Gedanken:
»Danke, das war wirklich gut. Ihr müsst keine Angst vor mir haben, solange ihr mich nicht bedroht.«
Eric war sich zunächst nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt verstehen konnten. Er hatte bisher keinen von ihnen wirklich sprechen gehört und wusste nicht, ob sie eine fremde Sprache verwendeten. Offensichtlich war dies jedoch der Fall. Wer ihn verstanden hatte, verbreitete die Gedanken weiter. Ein Gewirr vielsprachiger Gedanken entwickelte sich, breitete sich aus wie Feuer in einem Raum voller luftiger Papierfetzen. Deutsch, englisch, Unmengen anderer. Die Menschen hier kamen alle von der Erde. Wer hier geboren wurde, sprach die Sprache seiner Familie. Erleichtert stellte Eric nach ein paar Minuten fest, dass seine Nachricht angekommen war. Jetzt näherten sie sich vorsichtig, ohne Angst.
Jack kam zu Eric, der hörte jene so tief verinnerlichten Schritte und drehte den Kopf. Er öffnete ihm seine Gedanken und Jack meinte sofort:
»Mia warten, sie dich jemand vorstellen wollen. Komm mit.«
Eric stand vorsichtig auf und verwandelte sich. Geblendet von dem kurzen, heißen und blauen Lichtstoß konnten die Menschen kaum glauben, was sie sahen, als sie Eric in menschlicher Form erblickten. Nur ein Teenager, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Ein heißes Glühen erlosch in seinen Augen, er sah sich um. Alles wirkte auf einmal so unglaublich groß und einschüchternd. Er wandte sich Jack zu und folgte ihm, der führte ihn durch die wieder ziemlich lebendige Menge von der Wiese herunter. Auf ihrem Weg sah Eric hunderte Gesichter, alle starrten ihn an, sprachen miteinander, doch niemand berührte ihn oder kam zu nahe. Es war eigenartig. Beängstigend und rätselhaft.
Sie gingen einen der vielen Sandwege entlang, Eric sah das große Gebäude auf dem Hügel, welches er aus der Luft hatte sehen können. Jack wirkte munter, aber erschrocken. Eric ärgerte sich. Das hatte er nicht gewollt, gleich bei der Ankunft. Er bemerkte wieder die Schuldgefühle. Dieses Mal befreite er sich jedoch von ihnen. Hätte er sich früher verwandelt, wäre er tot. Der Speer hätte ihn geradewegs durchbohrt. Er zeigte Jack seine Gedanken, der schwieg erst und meinte dann:
»Ich bin froh, dass du so gehandelt. Man hat ihn immer nur Schmied genannt, er keinen Namen. Böse Menschen verlieren ihren Namen. Niemand sie mehr beachten, nur überwachen. Sie wussten nicht, ob er zu uns gehören, aber … Er immer so finster gedacht und er ein Kind geschlagen und verletzt. Eigentlich er sollten gestern ausgeschlossen werden, aber dann heute Morgen Anschlag und keine Zeit und jetzt er versuchen, dich zu killen!«
Jack blieb plötzlich stehen. Eric war sich zunächst nicht sicher, ob Jack wütend oder traurig war. Doch dann offensichtlich, war es beides. Mit Tränen in den Augen sah Jack ihn an, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er Eric schlagen oder umarmen wollte. Der nahm ihn hilflos in den Arm und hielt ihn fest. Jack heulte wie ein Schlosshund. Eric las die Sorgen, die sich Jack um seinen besten Freund gemacht hatte. Mia hatte ihm von dem Traum erzählt und sie wussten nicht, was Eric tun würde. Jack hatte am Ende wirklich geglaubt, dass Eric sich umbringen würde, weil dessen Gefühle so verzweifelt und völlig außer Kontrolle gewesen waren. Und gerade, als er Eric wieder zurückbekommen hatte, war der nur durch Zufall nicht getötet worden. Tatsächlich eher, weil Eric immer mehr seiner Menschlichkeit zu verlieren schien, was für Jack alles nur noch schwerer machte. Jetzt hatte er Eric wieder bei sich und er würde ihn nicht mehr allein lassen, niemals. Seine Erleichterung konnte Jack kaum ausdrücken, heulte sich einfach wortlos aus. Nach ein paar Minuten beruhigte er sich wieder und machte einen Schritt von Eric weg. Er war tatsächlich gewachsen.
»Ich versprechen, ich werden immer bei dir sein, immer! Du werden gleich sehen, wir befinden in Krieg, und ich könnte nicht leben ohne dich … Du bist alles, was ich noch haben! Gehen nie wieder weg, ohne zu sagen, wohin! Bitte! Niemals allein, hörst du?«
Eric war gerührt. Er hatte von einem Typen wie Jack keinen derartigen Ausbruch erwartet. Der Vierzehnjährige war immer lässig, zeigte fast nie Verwundbarkeit und war die Person mit dem größten Selbstbewusstsein, das Eric kannte. Seine Sorgen hatte man immer nur lesen müssen oder es bedurfte schwerer Ereignisse, damit Jack seinen Kummer offen zeigte. Jetzt wurde Eric erst absolut bewusst, wie wertvoll ihre Verbindung wirklich war. Mehr noch als sie beide es ohnehin schon vermuteten und zu begreifen glaubten. Ein Leben ohne den jeweils anderen war nicht mehr vorstellbar. Bisher nur in Worten beschrieben, wurde diese Idee jetzt schmerzhaft real für sie beide. Eric wusste nicht, ob er etwas sagen sollte und ihm fehlten ohnehin die Worte. Er nickte einfach nur, schickte Jack in Gedanken sein Versprechen. Der hatte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht gewischt und Erics Gedanken verfolgt. Jetzt lächelte er. Eric war glücklich, legte seinen Arm um Jack und sie gingen den Weg entlang zu dem großen Gebäude auf dem Hügel, durchquerten ein Meer unzähliger, neugieriger Blicke. Sie marschierten gemeinsam darauf zu, arbeiteten sich eine der langen Treppe hinauf. Sie war aus grob gehauenen Granitquadern gebaut, fast jeder schimmerte in seiner eigenen Farbe. Keine Form von Prunk oder prahlenden Hinweisen auf Reichtum. Eine einfache Treppe, die das tat, was hier notwendig war: Sie half denen, die sie betraten, nach oben. Dazu war kein Gold oder extravagantes Gestein nötig. War dies wirklich ein Tempel im üblichen Sinne?
Als sie vor dem großen, offenen Portal ankamen und hindurch schritten, blieb Eric der Mund offen stehen. Vor ihnen tat sich eine Art Balkon auf, von dem zu beiden Seiten breite Steintreppen an den Wänden entlang nach unten führten, ihr Ende konnte Eric nicht sehen. Jack stupste ihn an, beobachtete zufrieden Erics Reaktion.
»Los, weiter! Glotzen du können später!«
Eric ließ sich von ihm mitzerren und sie gingen die rechte Treppe hinunter. Als er an ihrem Rand hinunterblickte, staunte er gleich noch mehr. Fast zwanzig Meter unter ihnen sah es aus, als hätte man eine riesige und meterdicke Platte eingebaut, die als Fußboden diente, der mitten in der Luft zu schweben schien und auf dem sich viele Bänke und Tische befanden. Der massive Boden grenzte an die linke Wand des Gebäudes, dort führte auch die linke Treppe hin. Die Platte war so breit, dass gerade ein Meter Platz zwischen ihr und der Treppe blieb, auf der Eric und Jack jetzt nach unten gingen und die einfach unter jene Platte führte, wo sie dann an der nächsten Ecke des Gebäudes nach links abbog. In regelmäßigen Abständen gab es große, runde Hohlräume oder Löcher in den Wänden, von denen manche mit einer Art milchigem Glas verschlossen waren, andere mit etwas, das wie Pergament aussah. Hell und intensiv leuchtete das Sonnenlicht durch diese unglaublichen Lampen. Eric ahnte es eher, als dass er es wusste. Es musste Kanäle geben, durch welche gebündeltes Licht verteilt wurde. Das würde das riesige und hochkomplexe Spiegelsystem auf dem Dach des Tempels erklären.
»Wo sind wir hier?«, fragte Eric beeindruckt.
»Das ist Tempel, wie du richtig erraten. Er beinhalten Schulen, Sport drinnen und viel Werkstatt und Arbeitsräume und unglaublich viel mehr. Viele Wohnräume und größte Halle. Und natürlich auch Etage, wo beten. Wahnsinn, nicht? Als ich erstes Mal sah, es mich fast umhauen! Mia mich grade noch festhalten. Da, schau. Überall noch mehr Abzweigungen. Es noch gehen viel tiefer runter. Wir gehen jetzt in Halle, wo immer alle Essen. Noch ein paar Treppen.«
Eric betrachtete die Etage mit den Bänken. Da standen auch Blumentöpfe mit Palmen drin, es sah wunderbar aus und war unglaublich geräumig. In jeder Wand befanden sich auf fast jeder Etage mindestens zwei große, runde Löcher, welche die Eingänge zu ebenfalls ziemlich weiten Tunneln waren, die ihrerseits zu weiteren Räumen führten. Alle Wände und festen Elemente, wohl der gesamte Bau musste aus Granit bestehen, für die Möbel wurde Holz verwendet. Hinter der Biegung nach links, welche die Treppe tat, blickten sie auf eine neue Etage, etwas höher als die erste. Sie war mit weißen Matten ausgelegt und an der hinteren Wand stand ein Ständer mit Waffen. Schwerter und Stäbe aller Art sowie Dinge, die Eric noch nie gesehen hatte. Daneben stand eine rabenschwarze Kommode und ein kleines Zitronenbäumchen mit zwei gelben Früchten. Ansonsten war eine gesamte Hälfte des Raumes weiß, die andere tiefschwarz.
»Was ist das hier?«
»Übungsraum. Hier du lernen von Meisterin und von Mia. Hier nur lernen Kämpfen und du meditieren. Mehr nicht. Komm, gleich da.«
Eric konnte den Blick nicht von dem sehr kontrastreichen Raum abwenden, der da groß und leer neben ihnen war. Hier würde er das Kämpfen lernen. Musste er denn? Vielleicht besser so. Er konnte ja nicht immer als Drache herumlaufen, obwohl ihm das die höchstmögliche Sicherheit bot. Es roch nach Zitrone. Erneut bogen sie um die Ecke und dieses Mal blieb Eric vor Verblüffung stehen. Der Bau weitete sich hinter dieser Biegung nach allen Seiten und wurde rund. Die Treppe wurde zu einer Wendeltreppe, die sich wie ein langes, aufgehängtes Band an der Wand entlang nach unten schlängelte. Hier waren die Wände glatt und matt glänzend, verschiedene Gesteinsschichten wurden sichtbar, blaugrauer Marmor mit weißem Muster mischte sich unter funkelnde Granitplatten und Sandstein oder etwas sehr Ähnliches. Wie passte all das überhaupt zusammen? Es gab keine Säulen, keine sichtbar tragenden Strukturen. Und direkt in der Mitte der riesigen Halle, zu welcher sich der Bau ausdehnte, befand sich ein Loch im Boden, vom übrigen Boden abgegrenzt durch einen wenige Zentimeter hohen Steinring. Das Loch war wie ein Fenster in den Himmel. Es zeigte die weißen Wolken draußen und der Himmel sah nach gutem Wetter aus. Eric durchfuhr ein Kribbeln, er dachte an die Träume, in denen er diese riesige Schale gesehen hatte. Doch dies hier war nicht das Gleiche, es wirkte weder so bedrohlich noch sah man die Welt von oben.
Rund um das Loch, welches vielleicht drei oder vier Meter im Durchmesser war, spiegelte sich die Umgebung in dem blanken, glatten und dunkelgrauen Marmorboden. Je weiter sie die Treppe hinunterstiegen, desto mehr wurde von der sich weitenden Halle sichtbar. Auch sechs kleine, kreisrunde Becken, in denen etwa eine Hand breit hoch das Wasser stand. Sie waren nicht wie das Loch in der Mitte abgegrenzt, das Wasser war bis an die Kante aufgefüllt. Und in der Mitte jedes Beckens stand ein kleiner, kugelförmig geschnittener Buchsbaumbusch. Die sechs Becken umgaben das Loch in der Mitte wie die Planeten die Sonne. Es war ein so verblüffender Stil, dass Eric hingerissen vor sich hin flüsterte. Ein halbes Fußballfeld hätte hier locker Platz gehabt. Jack zerrte ihn weiter, nach ein paar kurzen Minuten waren sie am Fuß der Treppe angekommen und standen am Rande des Raumes. Auf der anderen Seite waren drei Türen. Die in der Mitte öffnete sich gerade, als Jack ihn darauf zu zog.
Eine Frau erschien, mit langen, tiefschwarzen Haaren, die sie zu einem Knoten gebunden hatte, in welchem zwei lange Nadeln steckten. Ihr Gesicht ähnelte dem von Mia erstaunlich stark. Sie hatte einen weinroten Anzug an, der aussah wie aus einem Karatefilm. Nur, dass er eben weinrot war und der Stoff einen dünnen und leichten Eindruck machte. Er war mehrmals um sie herumgewickelt und ein himmelblauer, langer Seidenstreifen diente als Gürtel für die Hose, welche so weit geschnitten war, dass sie fast wie ein Rock aussah. Eric gefiel dieses Outfit, obwohl es sehr ungewöhnlich wirkte. Es hatte etwas Ruhiges, Provokantes und Schönes an sich. Außerdem sah es nach sehr viel Bewegungsfreiheit aus. Hinter der Frau kam eine zweite, nur ein unbedeutendes Stück kleiner. Sie war genauso angezogen, bloß war ihr Gürtel weiß. Es war Mia, die sich dahinstellte, sie anlächelte und winkte. Seath stand neben ihr, die Erleichterung war ihr wie mit einem dicken Pinsel ins Gesicht geschrieben. Sie sahen aus wie Schwestern.