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1. Psychotherapieforschung
1.3 Ist die störungsspezifische Effektforschung eine Sackgasse?
ОглавлениеMit jedem Forschungsparadigma ist das Risiko einer Artefaktbildung verbunden: In der störungsspezifischen Forschung wird angesichts hoch ausgelesener Stichproben und ausschließlicher Fokussierung auf spezifische Behandlungsaspekte die Wirksamkeit technischer Aspekte überschätzt und die Wirksamkeit anderer störungsunspezifischer Interventionen und vor allem die Bedeutung der therapeutischen Interaktion unterschätzt. Damit wird der Illusion einer isolierten Wirksamkeit standardisierter Methoden/Techniken Vorschub geleistet. Diese Vorstellung der spezifischen Anwendung einer wirksamen Technik bedient sehr das Alltagsverständnis vieler Menschen («Reparaturmodell») und auch der Kostenträger («Schnell und wirksam = billig und gut»). Mit dieser Einengung von Psychotherapieforschung auf die vergleichende Effektforschung analog zur Pharmaforschung wiederholt sich ein zentrales Dilemma der Medizin: nämlich die Aufspaltung des Menschen in viele spezialisierte Organ- bzw. Störungsbereiche zuungunsten einer – seit Langem erfolglos geforderten – Aufwertung einer psychosomatisch orientierten Allgemeinmedizin bzw. sprechenden Medizin; eine Forderung, die zumindest bei chronischen Krankheitsverläufen essenziell ist. Analog dazu werden immer mehr Spezialsprechstunden und Spezialeinrichtungen für bestimmte psychische Krankheitsbilder eingerichtet und vorschnell der Rahmen einer Analyse der sozial-emotionalen Ätiologie, Diagnostik und Therapie verlassen zugunsten einer Spezialpsychotherapie, die nur noch im engen Bereich einer spezifischen Störung eine Expertise vorweisen kann. Bereits 1996 gab es mit dem Aufkommen der Managed-Care-Organisationen (MCO) eine kritische Debatte über den Einfluss der Effektforschung auf die Praxis: Goldfried wie auch Seligman kritisierten die Liaison zwischen MCOs und Effektforschung. Sie drückten die Sorge aus, dass methodologische und konzeptuelle Verengungen der Forschungsrealität durch die MCOs in klinische Einschränkungen für praktisch tätige Therapeuten umgesetzt werden (Goldfried & Wolfe 1996 S. 1007). Dann könnten die Grenzen eines Forschungsparadigmas die künftige Entwicklung der Psychotherapie diktieren. Patienten würden routinemäßig mangelhafte Behandlungen erfahren; Erfahrung, Geschick und Ausbildung von Psychotherapeuten würden sich als Handicap erweisen. Nicht zuletzt würden einschneidende Behandlungsleitlinien für verschiedene Störungen veröffentlicht, deren Nichtbefolgung mit dem Risiko von Kunstfehler-Prozessen bedroht sei (Seligman 1996 S. 1012). Im Rückblick haben sich alle diese Vorhersagen als zutreffend erwiesen.
Das Modell der störungsspezifischen Evidenz scheint trotz (oder gerade wegen) seines Reduktionismus sehr attraktiv auch für viele Ausbildungskandidaten zu sein. Diese Attraktivität wird durch Begriffe wie «Der Goldstandard in der Behandlung von …» oder «State of the Art»-Seminare gesteigert. Diese Konzepte versprechen eine schnelle Sicherheit in der Behandlung von Patienten, wenn man sich nur genau an die standardisierte Interventionsbeschreibung hält. In diese Haltung passt auch das Ergebnis von Schulte (2001), wonach unerfahrene Therapeuten umso wirksamer sind, je mehr sie sich an ein Manual halten. Viele Therapeuten interpretierten dieses Ergebnis so, als ob generell in der Psychotherapie die «Manualtreue» der Garant für Wirksamkeit sei. Dabei ging es lediglich um die Sicherstellung der treatment integrity; also einer exakt gleichartigen Durchführung der Behandlung durch mehrere unerfahrene Therapeuten im Rahmen differenzieller Effektstudien: Das Ergebnis war somit ein typisches Artefakt bzw. von rein methodischer Bedeutung. Dass sich im Kontext täglicher Versorgung auf diesem Wege keine Wirksamkeit oder Sicherheit erreichen lässt, bemerken Ausbildungskandidaten in der Regel schon am Anfang oder spätestens in der Mitte ihrer Behandlungstätigkeit, wenn das Anwenden einer Technik trotz intensiver Schulung beim – nicht vorselegierten monosymptomatischen – Patienten nur teilweise oder gar nicht funktioniert oder sich der Patient gar verweigert oder damit droht, die Behandlung abzubrechen.
Zudem besteht bei Vorliegen mehrerer Störungen (was die Regel ist!) das Problem, in einen technischen Eklektizismus zu geraten, weil unterschiedlichste störungsspezifische Interventionen ohne ein Rahmenkonzept sequenziell miteinander verknüpft werden (Kap. 5.4 zur «Mainstream VT»). Damit entwickelt sich die störungsspezifische Psychotherapie zunehmend in die Sackgasse von Spezialistentum (mit Zertifikat) zuungunsten einer allgemeinen psychotherapeutischen Kompetenz (mit Approbation). Goldfried (2013) lehnt daher die in Analogie zur Pharmaforschung entwickelten RCT-Designs (Randomized Controlled Trials) ab und präferiert eine breite Berücksichtigung empirischer Befunde über den störungsspezifischen Rahmen hinaus (EBP evidence based practice).
Bastine (2012) folgert aus dem Komorbiditätsproblem der störungsspezifischen Forschung, dass die Vielfalt der unspezifischen ätiologischen und pathogenetischen Einflüsse, die eben nicht zu einer spezifischen Störung führen, in die Analyse und den Behandlungsplan einbezogen werden müssen. Er regt an: 1. die Einbeziehung der außertherapeutischen Lebensrealität der Patienten, 2. die Entwicklung störungsübergreifender Handlungsstrategien, 3. die Formulierung konkreter Vorstellungen für die Gestaltung der therapeutischen Beziehung, 4. die Einbeziehung störungsunspezifischer Problemaspekte wie Selbstwert, Identität, Emotionsregulation, Ressourcen bzw. positiver Erfahrungen, Verarbeitung unverarbeiteter Lebensereignisse, übergeordneter Lebensthemen. Er führt weiter aus: Trotz der daraus resultierenden Komplexität könne ein zielorientierter Prozess aus dem Umgang mit diesen Themen resultieren, der die Berücksichtigung der therapeutischen Beziehung einschließe (S. 24). Diesen Forderungen ist der vorliegende Band verpflichtet.
Fazit: Der Vorteil der Effektforschung besteht im systematischen Nachweis der Effektivität psychologischer Interventionen bei einzelnen Störungen und in der exemplarisch präzisen Beschreibung einzelner Interventionen. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber: Verlust einer übergeordneten Behandlungsstrategie, Eklektizismus bei Komorbidität (unsystematisches Kombinieren von Interventionen), Vernachlässigung allgemeiner Ätiologiemodelle, der Persönlichkeit des Patienten und der entsprechenden Grundlagenforschung, Vernachlässigung der Bedeutung der therapeutischen Beziehung.
Konsequenzen für die Praxis
Die Effektforschung sichert den Nachweis der Effektüberlegenheit der psychologischen Behandlung gegenüber biomedizinischen Behandlungen innerhalb eines pharmaforschungsäquivalenten Vergleichsansatzes. Er ist reduziert, von geringer externer Validität, aber in dieser Hinsicht unverzichtbar. Er ist somit eine wichtige Evidenzgrundlage im übergeordneten medizinischen und gesundheitspolitischen Kontext und kann nachgeordnet in einem transdiagnostischen Therapieverständnis Hinweise geben auf zu priorisierende Methoden bei spezifischen Störungen. Überbewertet man jedoch die Effektforschung zu einem umfassenden Psychotherapieverständnis, so muss man zu dem Schluss kommen, dass sie in dieser Hinsicht mit nur 17 % erklärter Erfolgsvarianz unbrauchbare Konzepte liefert. Eine gleichartige Betrachtung von Psychotherapie und Medikamenten ist im Hinblick auf die Komplexität der Wirkunsgsweise unangemessen.