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1. Psychotherapieforschung
1.1 Psychiatrie: Forschung und Versorgung

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Für die Psychiatrie und die schwersten psychischen Störungen (Psychosen, schwerste Depressionen, schwere Persönlichkeitsstörungen) ist der Fortschritt für die letzten 30 Jahre (der Generation von 1982 bis heute) nach Aussage von Prof. Priebe eher «ernüchternd». Mit «Fortschritt» meint Priebe «nicht neues Wissen – wie etwa Erkenntnisse über soziale und genetische Bedingungsfaktoren, biologische Korrelate von Störungen oder Wirkmechanismen von Therapien –, sondern allein die Entwicklung von effektiven Behandlungen für die Patienten, also das, was den Patienten in der täglichen Praxis wirklich zugutekommt und ihr Leiden lindert». Priebe resümiert, dass sich zwar die Versorgung der Patienten in den letzten 30 Jahren deutlich gebessert habe («…vor allem massive Investitionen in bessere Einrichtungen und zusätzliches Personal»), sich aber hinsichtlich der Wirksamkeit von Neuroleptika keine Verbesserungen und hinsichtlich Antidepressiva nur kurzfristige Effekte –und diese auch nur bei schweren Störungen – gezeigt hätten: «Es gibt kein einziges neues Medikament, das deutlich wirksamer wäre als die früher zur Verfügung stehenden (in der Generation davor, 1952–1982). Eventuelle Vorteile in Nebenwirkungsprofilen sind sicher wichtig, erhöhen aber nicht die Wirksamkeit.» Es sei über die Zeit «immer schwieriger» geworden, eine «spezifisch behandelte Behandlungsgruppe von einer unspezifisch behandelten Kontrollgruppe zu unterscheiden». Dies habe zunächst zu einer Diskussion des Placeboeffektes geführt, der sich aber nicht habe nachweisen lassen. Fazit aus dieser Diskussion sei, dass die Wirksamkeit der Standardbehandlungen zugenommen habe! Eine wesentliche Bedeutung komme daher den sog. unspezifischen Therapieeffekten zu: «Dazu gehören die Effekte einer guten therapeutischen Beziehung, einer allgemeinen sozialen Unterstützung, unterschiedlicher psychologischer Hilfen auch außerhalb formaler Psychotherapie und eines hilfreichen therapeutischen Milieus.» Er schließt daraus: «Die gezielte Untersuchung von bisher als unspezifisch betrachteten Behandlungsfaktoren könnte dabei ein lohnendes Feld sein.»

Eine alarmierende Entwicklung wird in den Vereinigten Staaten wahrgenommen (Sonderausgabe der Clinical Psychology Review 2013). Dort dürfen Psychopharmaka genauso beworben werden wie Erfrischungsgetränke. Zusammen mit der schlechten Bezahlung für Psychotherapie führt dies dazu, dass immer mehr Psychopharmaka verschrieben werden – auch an nicht beeinträchtigte Personen – und forschungsseitig immer mehr Geld in die Erforschung «biologischer Ursachen» psychischer Erkrankungen investiert wird anstatt in Psychotherapieforschung (Deacon 2013 S. 851). Doch trotz dieser massiven Unterstützung des biomedizinischen Modells hat sich nach 30 Jahren und milliardenschweren Investitionen immer noch kein biologischer Marker mit ausreichender Sensitivität finden lassen, der für irgendeine psychische Störung relevant ist (Gaudiano & Miller 2013 S. 820). Eine Richtungsänderung der Forschung ist jedoch nach wie vor nicht erkennbar. Eine solche Entwicklung lässt sich nur noch im Rückgriff auf ökonomische Interessen verstehen, in deren Kontext der scheinbar informierte Patient nur noch als Konsument ernst genommen wird.

Fazit: Selbst in der stark von Pharmakotherapie bestimmten Psychiatrie hat sich der Placebobegriff und die einfache Übertragung des Paradigmas spezifischer kausaler Medikamentenwirkungen auf psychosoziale Interventionen aufgelöst zugunsten einer differenzierteren Betrachtung störungsunspezifischer bzw. allgemeiner Behandlungseinflüsse auf den Patienten. Die Zukunft liegt hier in der Erforschung dieser allgemeinen Behandlungseinflüsse. Und es wird deutlich, dass für den Patienten spürbare Fortschritte sich manchmal mehr in der Versorgung und in der Gesundheitspolitik abspielen als in der Wissenschaft. Für die USA kann man in der Summe wohl eher von Rückschritten sprechen.

Konsequenzen für die Praxis

Die sog. «unspezifischen Behandlungseinflüsse» sollten in der Psychotherapie mindestens so viel Beachtung finden wie die «störungsspezifischen». Der Glaube daran, dass klinische Forschung immer auf den Nutzen für den Patienten ausgerichtet ist, sollte bei aller Wertschätzung einer differenzierteren Betrachtung weichen.


Verhaltenstherapie emotionaler Schlüsselerfahrungen

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