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1. Psychotherapieforschung
1.11 Bedürfnisse von Patienten
ОглавлениеDer Schritt der Berner Arbeitsgruppe um Klaus Grawe von der (kognitiven) Plananalyse zur (motivationalen) Schemaanalyse war im Wesentlichen durch die Erkenntnis bestimmt, dass die psychische Aktivität durch die Befriedigung von Grundbedürfnissen bestimmt ist; eine Erkenntnis, die durchaus auch von der Psychoanalyse, aber auch von der neurobiologischen Forschung mit inspiriert war. Zentral für die Schemaanalyse, aber auch fundamental für die Sichtweise des psychischen Geschehens ist die Formulierung von positiven motivationalen Zielen und Annäherungsaktivitäten (Bedürfnissen) und der Vermeidungsaktivität zum Schutz vor aversiven Erfahrungen (Vermeidung = negative motivationale Ziele).
Grosse Holtforth & Grawe (2002) haben auf diesem Hintergrund einen Fragebogen entwickelt (FAMOS), der in einer Vorstudie auf der Analyse von Fallkonzepten an 77 Patienten erfolgte und in der Hauptstudie an 96 Patienten, 42 Therapeuten, 75 Psychologiestudenten, 45 Wirtschaftsstudenten sowie 277 nicht klinischen Personen aus allen Gesellschaftsbereichen mit den Mitteln der Hauptkomponentenanalyse erstellt wurde: Hieraus ergeben sich 13 positive Bedürfnisse und 9 Vermeidungsschemata .
Positive Bedürfnisse sind: Intimität, Abwechslung, Geselligkeit, Altruismus, Anerkennung, Selbstvertrauen, sozialer Status, Unterstützung, Kontrolle, Leistung, Autonomie, Verstehen/Wissen, Sinn, Selbstbelohnung.
Vermeidungsschemata sind: Allein sein, Abhängigkeit, andere verletzen, Geringschätzung, Versagen, Erniedrigung, Hilflosigkeit, Schwäche/Kontrollverlust, Vorwürfe/Kritik erfahren.
Die Autoren weisen auch darauf hin, dass die Vermeidungsschemata enge thematische Bezüge aufweisen zum Konzept der «Frühen Maladaptiven Schemata» (später: Schemadomänen) in der Schematherapie von Young (s. dazu auch den Vergleich von Schemadomänen und Vermeidungsschemata nach FAMOS in Tab. 28).
Zu ergänzen wäre noch, dass diese Erfassung von Bedürfnissen an Erwachsenen erhoben wurde und keine Entwicklungsperspektive beinhaltet, wonach sich in verschiedenen Entwicklungsphasen unterschiedliche Bedürfnisstrukturen ergeben. Dieser Entwicklungsgedanke liegt in Ansätzen auch der Bedürfnispyramide von Maslow oder entwicklungspsychologischen Modellen zugrunde (s. Kap. 2.6). Das Konzept der Grundbedürfnisse wurde auch von Grawe (2002) aufgegriffen mit einer Verkürzung der komplexen Bedürfnisstruktur auf die Grundbedürfnisse Bindung/Intimität, Selbstwert, Kontrolle/Orientierung, Lust/Unlustvermeidung. Das übergeordnete motivationspsychologische Ziel einer Psychotherapie ist die Schwächung der Vermeidungstendenz aversiver Erfahrungen und die Stärkung der Annäherungstendenz an die Grundbedürfnisse. Damit wird eine Abschwächung bestehender motivationaler Konflikte erreicht und die Befriedigung der Grundbedürfnisse erleichtert.
Konsequenzen für die Praxis
Eine wirksame Therapie orientiert sich an den zugrunde liegenden Bedürfnissen und Zielen des Patienten. Ziel eines intensiven psychotherapeutischen Prozesses sollte auch der vertiefte Zugang zu den eigenen Bedürfnissen sein, da dieser Zugang für Gesundheit und Lebensqualität von grundlegender Bedeutung ist. Der Weg dahin besteht sowohl in einer Verarbeitung aversiver Erfahrungen (Schwächung der Vermeidungstendenz) als auch in einer Verbesserung der Bedürfnisbefriedigung (Stärkung der Annäherungstendenz).