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1. Psychotherapieforschung
1.5 Ist die Überbetonung Allgemeiner Psychotherapie eine Sackgasse?
ОглавлениеGenerell besteht in diesem Forschungsansatz das Risiko eines zu hohen Abstraktionsniveaus, solange nicht viele Einzelfälle mit einem differenzierten Fallkonzept vergleichend im Therapieverlauf betrachtet werden. Zum Zweiten besteht das damit zusammenhängende Risiko, dass allgemeine Interventionen, die sich nicht auf eine spezifische Störung beziehen (zum Beispiel allgemeine «Regeln» für eine «gute» therapeutische Beziehung), als generell wirksam überschätzt werden. Zum Beispiel kann man irrtümlicherweise annehmen, dass Unterstützung (supportive Bestätigung) immer wirkt. Was eine Person jedoch als unterstützend erlebt, kann sich erheblich unterscheiden (so kann sich z. B. ein sehr distanzierter Patient durch emotionale Zuwendung bedroht fühlen), sodass die real erlebte Unterstützung durch ein Gegenüber untrennbar mit dem stimmigen Verständnis des Patienten verbunden ist. Es gibt keine allgemein wirksame Beziehung, sondern sie sollte spezifisch gestaltet werden! In der Diskussion über die therapeutische Beziehung sollte man daher drei Abstraktionsstufen unterscheiden:
1. Ebene der Wirkfaktoren: Allgemeine Bedeutung und Bewertung der Beziehung (Ebene des Verfahrens und der therapeutischen Grundhaltung über die gesamte Therapie bzw. über viele Therapieverläufe)
2. Interaktionelle Makroebene: Differenzielle Analyse verschiedener Beziehungsmuster, in die sowohl die spezifischen Erwartungen des Patienten als auch das Verhalten des Therapeuten einfließen (Beziehungsmuster über mehrere/viele Sitzungen); auf diese Ebene beziehen sich auch die motivationale Beziehungs- und Schemaanalyse nach Grawe, die differenziellen kommunikativen Teufelskreise nach Schultz von Thun und die motivorientierte Beziehungsgestaltung nach Caspar (s. Kap. 2.3/12.2)
3. Interaktionelle Mikroebene: Analyse konkreter kurzer Interaktionssequenzen mit einer Beschreibung der Gesprächsführung (Sekunden bis Minuten) (s. Kap. 6.1/6.2.4/12.1)
In der allgemeinen Prozessforschung wird in der Regel nur die höchste Abstraktionsebene der Beziehung betrachtet, obwohl sie eigentlich erst im Zusammenhang mit der Makro- und der Mikroebene ihre Wirkung entfaltet. Sie müsste daher ergänzt werden durch eine Forschung zu differenziellen Beziehungsmustern und zu narrativen Mikroprozessen förderlicher bzw. weniger förderlicher Interventionen in der Gesprächsführung des Therapeuten.
Das Interaktionsverhalten des Therapeuten (auch diskutiert als Einfluss der Persönlichkeit des Therapeuten) hat erheblichen Einfluss auf den Therapieerfolg: So haben erfolgreiche Therapeuten einen bis zu zehnfach höheren Wirkungsgrad als nicht erfolgreiche Therapeuten (unabhängig von Ausbildung, Verfahren und Geschlecht) (Okiishi et al. 2006). Setzt man die persönlichkeitsbedingten zehnfachen Wirkungsunterschiede in Beziehung zu dem Effektstärkenunterschied verschiedener Psychotherapieverfahren oder zum Wirkungszuwachs, der von der KVT zur Schematherapie erreicht wurde, dann müsste es mit Blick auf den Patientennutzen am sinnvollsten sein, sich professionell mit der Frage von gelingender Interaktion und hilfreichen Persönlichkeitsmerkmalen von Therapeuten zu beschäftigen! Dafür gibt es gegenwärtig jedoch kaum empirische Erkenntnisse, da das technokratische Verständnis von Psychotherapie auch den Therapeuten als Persönlichkeit unsichtbar gemacht hat und ihn nur noch auf seine technische Kompetenz reduziert. Die japanische Studie mit 71 Therapeuten und über 5000 Patienten (Okiishi et al. 2006) ist noch eine große Ausnahme. Von daher erscheint es notwendig, die Frage der Wirksamkeit auch auf der Makro- und der Mikroebene zu beantworten. Ihre Wirkung erhalten allgemeine Faktoren (Beziehungsgestaltung, Problembezogenheit der Therapie, Stimmigkeit zwischen Diagnostik und Therapieplanung) erst dann, wenn sie auf den Patienten abgestimmt werden; und hier geht es nicht um Störungen, sondern um die Ziele und Bedürfnisse des Patienten.
Ein allgemeineres Verständnis von Psychotherapie erfordert auch die Einbeziehung der psychologischen Grundlagenforschung. Es kann nicht zielführend sein, dass für jede Störung ein eigenes Funktionsmodell der Störungsentstehung oder ein Psychotherapieverfahren entwickelt wird ohne Bezugnahme auf Referenzmodelle der Emotionspsychologie, Motivationspsychologie, Persönlichkeitspsychologie und vor allem auch der Entwicklungspsychologie, in denen diese Teilbereiche zusammenfließen, und ohne eine fundierte transdiagnostische Perspektive. Letzteres scheint ein Anliegen der sogenannten dritten Welle in der Verhaltenstherapie zu sein.
Strauss und Wittmann (2011) fordern daher in einer Linie mit Grawe (2005), Caspar et al. (2008) und Fiedler (2012), die Dichotomie aus störungsspezifischen und allgemeinen Faktoren zu überwinden und möglichst noch durch andere Forschungsstrategien zu bereichern (zum Beispiel Einzelfallforschung und Interviewmethoden). Herpertz, Caspar & Mundt (2008) stellen fest, dass das «Pendel in den letzten Jahren von einer zu allgemeinen Orientierung in Richtung auf eine zu störungsspezifische Ausrichtung ausgeschlagen» hat. Insofern muss man den Begriff «Fehlentwicklung» auch relativieren: Diese Entwicklungen haben alle im Ansatz ihre Berechtigung, werden dann nur leider in der Folgezeit verabsolutiert und übertrieben, sodass dies weitere Korrekturen herausfordert (Diskussion zur dritten Welle der VT: Kap. 5.3). Wampold (2011) fordert sogar die effektspezifische Forschungsstrategie ganz aufzugeben und sich stattdessen wieder vermehrt der Erforschung therapeutischer Prozesse und der Optimierung komplexer Behandlungsprozesse zu widmen!