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1. Psychotherapieforschung
1.4 Prozessforschung und Allgemeine Psychotherapie
ОглавлениеDie Prozessforschung nimmt die allgemeinen Merkmale in den Blick und richtet sich auf die Zusammenhänge zwischen störungsunspezifischen Prozessmerkmalen und dem Erfolg einer Psychotherapie (generelle Wirkungsweise, Common-Factor-Forschung). Entscheidend am Common-Factor-Forschungsansatz ist, dass hier erstmals empirisch forschende Wissenschaftler unterschiedlichster Therapierichtungen (vor allem humanistisch, psychoanalytisch und verhaltenstherapeutisch orientiert) zu einem gemeinsamen Forschungsansatz finden. Eine groß angelegte Metastudie (eine Auswertung aller empirischen Studien über Psychotherapie zwischen 1959 und 1984) hatte bereits 1986 gezeigt, dass für die Wirkungsweise von Psychotherapie eine Vielfalt von allgemeinen Details ausschlaggebend ist (Orlinsky & Howard 1986). In der Reihenfolge ihrer Bedeutung spielt die «Offenheit» des Patienten die größte Rolle, dicht gefolgt von der «Qualität der therapeutischen Beziehung», dann die durchgeführten «Interventionen». Auf Therapeutenseite war die «soziale Kompetenz und Geschicklichkeit des Therapeuten» die wichtigste Komponente. Und aufseiten des Patienten wurde nicht etwa die Gegenwartsbezogenheit der Intervention als entscheidend herausgefunden, sondern die «emotionale Beteiligung» des Patienten und sein Eindruck, dass an für ihn relevanten Problemen gearbeitet wird. In therapeutischen Beziehungen war die emotionale «Resonanz» und die erlebte «Unterstützung» durch den Therapeuten das entscheidende Element in Verbindung mit der «Glaubwürdigkeit» und «Empathie» des Therapeuten.
Aus diesen Erkenntnissen entwickelten Orlinsky & Howard ein «Generic Model of Psychotherapy», das später auch von Grawe unter der Bezeichnung «Allgemeine Psychotherapie» weiterentwickelt wurde. Grawe (1994) analysierte alle Wirksamkeitsstudien bis ins Jahr 1991 und folgerte faktorenanalytisch vier Wirkfaktoren:
Eine wirksame Therapie
1. setzt an den Stärken des Patienten an (Ressourcenaktivierung),
2. führt zur Aktivierung belastender Probleminhalte (Problemaktualisierung),
3. ist mit einem vertieften Problem- und Selbstverständnis verbunden (Klärung)
4. und ist mit aktuellen Bewältigungserfahrungen verknüpft (Bewältigung).
Diese vier Elemente könnte man auch als sekundäre Wirkfaktoren bezeichnen, da sie alle erst in der Interaktion zwischen Therapeut und Patient zur Wirkung kommen. Entscheidend für das Wirkungsprofil einer Psychotherapie ist, dass alle vier Wirkfaktoren optimal genutzt werden. Grawe (1991) konnte in seinen Wirkprofilen zu unterschiedlichen Therapiemethoden und -verfahren nachweisen, dass in der tiefenpsychologisch fundierten und psychoanalytischen Therapie der Bewältigungsaspekt in zu geringem Ausmaße genutzt wird und in kognitiv-behavioralen Therapien der Klärungsaspekt. Ebenfalls ließ sich ableiten, dass zu starke Problemfokussierung auf Kosten der Ressourcenorientierung ebenso problematisch ist wie eine ausschließliche Ressourcenorientierung ohne Aktivierung und Behandlung der zentralen Probleme im Therapieprozess. Daraus folgend fordert Grawe eine «spezifische Beziehungsanalyse mit Berücksichtigung der Beziehungsgestaltung». Er integriert auch die störungsspezifischen Aspekte in seinen Ansatz einer «Psychologischen Therapie», indem er feststellt, dass Störungen eine «funktionale Autonomie» und «Eigendynamik» haben (als «Störungsattraktor» bezeichnet), die den Blick auf andere Bedingungen vorübergehend verstellen können und die es erfordern, dass man sich u. U. zunächst einmal mit der Störung auseinandersetzt und der Patient hier positive Veränderungen erfährt.
Fiedler (2012 S.7) resümiert den Common-Factor-Forschungsansatz und stellt die Annahme allgemeiner Wirksamkeitsfaktoren ohne spezifische Analyse infrage: Zum Beispiel könne Empathie als allgemein wirksamer Faktor auch negative Auswirkungen im Einzelfall haben (hier spielen die Patientenvariablen eine entscheidende Rolle). Außerdem sei der Umgang mit der therapeutischen Beziehung sehr unterschiedlich: In der Verhaltenstherapie würde man eine allgemein gute «Arbeitsbeziehung» anstreben, während man in der Psychoanalyse Störungen in der Beziehung als normale zu erwartende interaktionelle Phänomene anerkenne, die es aufzulösen gelte. In der Psychoanalyse würden regressive Prozesse für den Heilungsprozess eher toleriert, während in der Verhaltenstherapie möglichst schnell die aktuelle Bewältigung im Vordergrund stehe. Diese Unterschiede würden immer wieder zu einem neuen «Therapieschulengerangel» führen anstatt zu einer differenzierten Integration.
Fazit: Die wichtigste Evidenz dieser Forschungstradition ist – in scharfem Kontrast zu den Ergebnissen der Effektforschung – der Nachweis der fundamentalen Bedeutung der therapeutischen Beziehung, aber auch der Notwendigkeit, den Patienten individuell in den Mittelpunkt zu stellen und sowohl seine Erwartungen wie auch seine aktuelle Lebensrealität in die Therapie einzubeziehen. Der Ansatz der Allgemeinen Psychotherapie erweist sich als grundsätzlich geeignet, die störungsspezifischen Erkenntnisse einzubeziehen und übergeordnete Prioritäten zu setzen. Er bleibt allerdings auf einem hohen Abstraktionsniveau, um nicht zu sagen: «zu allgemein».
Konsequenzen für die Praxis
Eine gelingende Beziehung und die Fokussierung der emotional bedeutsamsten Themen des Patienten sind die wichtigsten Evidenzen der Prozessforschung. Beziehungsanalyse und Beziehungsgestaltung sollten daher immer Teil der Diagnostik und der Therapieplanung sein. Zudem sollten alle vier Wirkfaktoren in ein integriertes allgemeines Verständnis der Wirksamkeit von Psychotherapie einfließen.