Читать книгу Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg - Kurt F. Neubert - Страница 13

Der Gruppenführer

Оглавление

Am Abend legte sich Karl nach dem Abendessen auf sein Bett. Die Lider sanken wie von selbst herab. Die Reise und die Hitze des Tages forderte ihren Tribut. Karl war eingenickt. Plötzlich wurde er wachgerüttelt. Verschlafen öffnete er die Augen. Vor dem lichtdurchfluteten Fenster stand ein mittelgroßer, schlanker und wie es schien, vor Energie strotzender Gefreiter. Neben ihm stand ein Oberschütze von kleinerer Statur, aber mit einem kräftigen Körperbau. Unter dem schief sitzenden Käppi lugte fuchsrotes Haar hervor.

Karl wälzte sich aus dem Bett, glitt geschmeidig auf die Dielen und stellte fest, dass die sechs Rekruten aus der Nachbarstube gleichfalls anwesend waren.

Respektvoll grüßte er.

Der Gefreite stemmte die Hände in die Hüften. Seine blauen Augen wanderten neugierig über die erwartungsvollen Gesichter. Wollte er die Gedanken der Rekruten ergründen? Um seine Lippen spielte ein unverbindliches Lächeln, als er sich vorstellte. „Ich bin Gruppenführer Windmüller und durch Regimentsbefehl beauftragt, Ihnen eine kriegsgemäße Ausbildung zu verpassen.”

Plötzlich trat Leidenschaft in sein Gesicht und er sagte: „Ich verlange bedingungslosen Gehorsam und eiserne Disziplin, Rekruten. Ohne Widerrede muss jeder Befehl, auch wenn er nicht verstanden wird, ausgeführt werden. Ansonsten wäre die Wehrmacht ein Räuberhaufen, der schon beim ersten Schuss des Feindes wie eine Hammelherde auseinander laufen würde.”

Voller Eifer, die Stirn runzelnd, fuhr er fort: „Rechnen Sie nie damit, dass Ihnen während der Ausbildung etwas geschenkt wird. Ohne Nachsicht werden Sie bis zur Erschöpfung gedrillt. Ich sage es ganz offen: An der Front, Rekruten, lauert an jeder Ecke der Tod, und nur der wird bestehen, der mit unerbittlicher Härte auf den Kampf mit dem Feind vorbereitet wurde, physisch wie psychisch. Auf deutsch gesagt: Ohne brutale, unmenschlich erscheinende militärische Ausbildung ist kein Sieg an die Fahnen zu heften, hat der Soldat an der Front wenig Überlebenschancen.”

Mit steigender Aufmerksamkeit hatte Karl die Rede des Gefreiten verfolgt. Da kamen ihm die Sätze des Dresdners vor der Kaserne in den Sinn. Und er fragte sich: sollte das kalte Entsetzen einer unmenschlichen Ausbildung tatsächlich auf uns Rekruten zurollen? Er wollte es nicht glauben und dachte an das Sprichwort: ,Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird’.

Der Gefreite ergänzte, dabei seine Stimme hebend: „Ich hoffe, angehende Panzerschützen, Sie geben in den nächsten acht Wochen alles her, was in Ihnen steckt. Es geht um beste Ausbildungsnoten. Bescheiden möchte ich ergänzen, es geht auch um meine persönliche Interessen, denn nach Abschluss der Grundausbildung ist vorgesehen, mich zum Unteroffizier zu befördern.”

,Aha’, dachte Karl, ,wir sollen ihm den Unteroffiziersdienstgrad verdienen!’

Nun stellte der Gruppenführer seinen Stellvertreter, den Oberschützen Rothmann vor. Ihm sei derselbe Respekt wie ihm selbst entgegenzubringen. Oberschütze Rothmann, ergänzte er, sei im Frankreichfeldzug für besondere Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet worden, weil er nach dem Abschuss seines Panzers das Maschinengewehr (MG) ausgebaut und damit fast einen ganzen Zug französischer Soldaten niedergemäht habe.

„An ihm können Sie sich ein Beispiel nehmen!”

Er hob den Blick und erklärte: „So wie ein Schiff einen Kapitän benötigt, so braucht die Kompanie einen Kompaniechef. Der unsrige ist Rittmeister von Motzendorf, ein älterer, schon graumelierter Offizier, dessen Kühnheit im Weltkrieg 1914/18 zu Ruhm und Ansehen führte. Ihm heftete der große Heerführer General Ludendorff das Eiserne Kreuz I. Klasse persönlich an die Brust. Dagegen ist unser Zugführer, Leutnant von Neckenstein, noch ein Jüngling, der sein Offizierspatent gerade erst an der Offiziersschule erworben hat. Sein Eifer, seine untergebenen Soldaten wie Stahl zu härten, ist unvergleichlich groß.”

Nach Sekunden des Überlegens setzte er hinzu: „Gleichwohl werden Sie die Offiziere während der Ausbildung nur selten zu Gesicht bekommen. Diese Männer gehören den blaublütigen Geschlechtern an. Alle Offiziere müssen sich ständig in der Beherrschung der Grundelemente von Strategie und Taktik weiter bilden. Daher liegt die tägliche Ausbildung der Rekruten in den Händen des Unteroffizierskorps. Kopf unserer Kompanie ist Hauptfeldwebel Ladenschmeisser, ein äußerst zackiger Mann von siebenundzwanzig Jahren. Er wird auch Spieß genannt. Unseren Zug führt Feldwebel Hintersinn. Dieser dreiundzwanzigjährige Feldwebel glüht förmlich vor Verlangen, Ihnen das Einmaleins des Exerzierens und seiner Elemente beizubringen. Als Unteroffizier hat er sich die Sporen im Polenfeldzug verdient.”

Sodann zückte er sein Notizbuch und informierte über die umfangreichen Aufgaben des nächsten Tages.

Windmüller blieb am Fenster stehen. Seine schlanke Gestalt stand vor dem verschwimmenden Abendhimmel. Ein Lächeln überzog sein junges Antlitz. Mit gespreizten Fingern, und den Händen vor die Brust, sprach mit ansteigender Stimme, wobei ein träumerisches Nachdenken auf seinem Gesicht erschien, von der heiligen Sache, der alle Soldaten zu dienen hätten, um als Patrioten an den Kriegsfronten mit glühendem Herzen und kühlem Verstand für Deutschlands Größe zu kämpfen. Er sprach auch von den geschlagenen Armeen, die vom Staub der Geschichte bedeckt sind, vom Nationalsozialismus und seinen Ideen, die durch jeden Soldaten würdevoll weitergetragen werden müssten. Er zögerte einen Augenblick, überlegte und sagte beherrscht: „Denken Sie immer daran, Kameraden, in den langen Jahren nach dem jüdisch-bolschewistischen Dolchstoß in den Rücken unserer tapferen und unbesiegbaren Soldaten im November 1918 war das Verantwortungsgefühl des deutschen Volkes, für die Heimat zu streiten, verloren gegangen. Erst Adolf Hitler vermochte das Pflichtgefühl, das tief im Volk schlummerte, wachzurütteln. Seine Ankündigung, nur eine starke Volksgemeinschaft verfüge über die notwendigen titanischen Kräfte, diese verrottete Welt umzugestalten, wirkte wie ein Donnerschlag auf das untätige Volk. So wurde die Ziellosigkeit der Weimarer Republik beendet und der Weg in die Zukunft freigegeben. Für uns Soldaten gibt es deshalb kein größeres Glück, als die Lebensaufgabe Deutschlands zu erfüllen, die uns zur Zerschlagung aller feindlichen Heere übertragen wurde.” Seine Augen glühten förmlich, als er mit einer stahlharten Stimme rief: „Führer befiehl, wir folgen dir!”

Ein irrer Schauer rann Karl über den Rücken. Der Gruppenführer hatte ausgedrückt, was auch er im Herzen empfand.

Windmüller hatte instinktmäßig gefühlt, wie gespannt die Rekruten an seinen Lippen hingen und er nutzte daher den Augenblick, um anzufügen: „Kameraden, jeder von Ihnen muss nach Abschluss der Ausbildung bereit und davon beseelt sein, für unseren Führer und obersten Befehlshaber, Adolf Hitler, In der Fronthölle das Siegesfeuer vom Himmel zu holen!”

Ohne auf die Wirkung seiner flammenden Worte zu warten, verließ der Gefreite mit einem „Gute Nacht!” die Stube. Der Rotschopf folgte ihm. Minutenlang herrschte Stille. Alle blickten versonnen vor sich hin, da richtete sich plötzlich der Drogist Werner auf und sagte gähnend: „Gut gebrüllt, Windmacher.” Gleich danach ergänzte er mit näselnder, ironischer Stimme: „Es braust sein Ruf wie Donnerhall …”

Jäh wurde er unterbrochen. Eine Hand legte sich unsanft auf seine Schulter. Er fuhr jäh herum. Beppo blickte ihn hasserfüllt an. Langsam schob er sich ganz nahe an Werner heran. Aus seinem Munde zischte es wie bei einer Natter: „Hör zu, du Schleimscheisser, hier wird nicht abfällig und hinterhältig über gute Propaganda hergezogen! Verstehste! Jetzt bist du bei der Wehrmacht und nicht in deinem Stinkeladen, du miese Ratte, du. Und hier hast du keine dich beschützenden Weiber, du …”

„Aufhören!” Otto Krüger mengte sich erneut ein. „Wollt ihr endlich Ruhe geben! Ich weiß nicht, welche Hahnenkämpfe zwischen euch in Berlin ausgetragen wurden. Aber das alles sollte jetzt endlich vergessen sein. Wenn euch schon die Ironie des Schicksals auf unserer Stube zusammengeführt hat, dann darf man wohl auf ein zivilisiertes Miteinander hoffen. Ist das klar?”

Die beiden Kampfhähne schnauften. Werner hatte sich schnell gefangen und sagte mit gewinnender Höflichkeit, „Entschuldige, Beppo! Glaub mir, wieder einmal ist mit mir das Temperament durchgegangen. Du kennst mich doch besser als die Kameraden und weißt, ich stehe immer für ein bisschen Ulk und Theaterspielen.”

Wortlos zog sich Beppo zu seinem Bett zurück. In seinen Augen züngelte ein böses Funkeln. Lange grübelte Karl, welches Geheimnis wohl die beiden umgab.

Indes bereitete sich Karl auf die Nachtruhe vor. Ihn hatte Werners Bemerkung auch gestört. Horst, der aus dem Waschraum kam, blickte Karl verschmitzt an und flüsterte: „Hoffentlich geht in Erfüllung, was wir heute Nacht träumen.”

„Bist du abergläubisch?”

„Kein Stück, aber es ist ganz nett, darüber zu philosophieren.”

Karl hievte sich in sein Bett und rief leise: „Schlaf wohl, Kumpel! Und denke daran: ,Man muss immer das Beste erhoffen, das Böse kommt von allein’, sagte mir einst ein Geselle.”

Karl löschte das Licht.

Auf der linken Körperseite liegend, wanderte sein Blick zu den offenen Fenstern. Die hereinbrechende Nacht schickte ein weiches, mildes Licht durch die beiden Fenstervierecke. Karl schloss beruhigt die Augen. Ein Käuzchenruf schwebte durch die Nacht. Dann nahm ihn und seine Kameraden der Schlaf in die Arme.

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg

Подняться наверх