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Nachexerzieren

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Der rote Schein der aufgehenden Sonne verkündete für den Sonntag einen dramatisch heißen Tag.

Pünktlich acht Uhr stand die Gruppe zum „Nachstrahlen” bereit, wie das Nachexerzieren im Soldatenjargon genannt wurde. Über ihnen ein makellos blauer Himmel. Dämonitzki, in bester Laune, begrüßte die Gruppe recht freundlich. Langsam schritt er die Front ab. Er prüfte den Sitz der Uniform, kontrollierte, ob alles „Zubehör” am Mann war und stellte sich danach in Positur. Gedämpft und wie es schien, noch zornlos, sagte er: „Männer, ich will es Ihnen heute leicht machen, und wenn Sie meine Befehle exakt einhalten, dann ist der Zauber des Nachexerzierens in zwei Stunden vergessen. Ich hoffe, Sie haben’s begriffen. Das war’s.”

Diese Ankündigung war der blanke Hohn!

Schon brüllte er: „Gruppe – stillstandn! Gasmaske auf! Rechts um, im Laufschritt, marsch, marsch!”

Alles, was danach kam, übertraf jede pessimistische Voraussage über das berüchtigte „Nachstrahlen”. Die Rekruten trabten röchelnd durch den Staub holpriger und zerfurchter Panzerwege, hetzten über Gräben, durch Schneisen und Gestrüpp. Dämonitzki ließ sie Bäume erklettern, an Ästen hangeln und Gruben überspringen. Jeden Augenblick ersann er neue Einlagen wie: Granatwerfer von vorn! Panzer von links! Hinlegen! Sprung auf, marsch, marsch! Und immer so weiter. Schon nach einer halben Stunde glaubte Karl am Ende seiner Kräfte zu sein. Er hechelte unter der Gasmaske wie ein kranker Köter. Über den ganzen Körper perlte der Schweiß. Er lief ihm in Strömen über den Rücken, den Bauch und vom Gesicht. In den Augen brannte es wie Feuer und der Schweiß schmeckte wie Salz auf der Zunge. Die Sichtgläser der Gasmaske, vom Schweißwasser beschlagen, ließen das Gelände wie im Nebel verschwimmen. Oftmals stolperten die Rekruten über Wurzeln, stürzten in Vertiefungen, rappelten sich hoch, hetzten weiter. Wie aus weiter Ferne vernahm Karl das Keuchen und Schnaufen der Kameraden. Plötzlich glaubte er zu ersticken. Seine linke Hand fuhr zum Kinn, zog den Maskenkörper nach unten. Für Augenblicke konnte er frei durchatmen.

Endlich, nach gut einer Stunde – sie hatten einen Waldsaum erreicht, wo ein Stück Sandwüste lag – kläffte Dämonitzki: „Gruppe, halt! Gasmasken ab! Pause!”

Karl riss sich den Stahlhelm und die Gasmaske vom dampfenden Schädel, sog gierig die warme Luft ein und warf sich nieder. Neben ihm hechelte Gotthilf Wenzel: „Ich …, ich bin fix und fertig. Das Ekelpaket Dämonitzki könnte ich erwürgen.”

„Sei still!” zischte Krüger, der mitgehört hatte, „wenn Dämon das hört, bist du erledigt.”

Während ein Lüftchen wie Balsam die Wangen und die Stirn der Jungs streichelte, empfand Karl: Dämon, das ist die richtige Bezeichnung für diesen Schinder! Die Kameraden streckten alle viere von sich. Karl blickte in die himmlische Bläue, wo ein Milan, vom Aufwind getragen, seine Kreise zog. ,Sich lang ausstrecken und schlafen’, dachte Karl. ,Und, von allen Übeln erlöst, nur noch von der schönen Unbekannten in der Heimat träumen’.

Da erscholl die schreckliche Stimme des Herrn Ausbilders in voller Lautstärke: „In Linie zu einem Glied angetreten, marsch, marsch!”

Etwas schwerfällig, wie die Kameraden auch, erhob sich Karl, ordnete Koppel und Patronentaschen und hängte den Karabiner über die Schulter. Während er ins Glied trat, setzte er noch den Stahlhelm auf.

„Die jungen Spunte”, spottete Dämon, „sind wohl schon malade, oder? Aber das wird sich gleich ändern.”

Da sie noch im Schatten der Bäume standen, befahl er: „Zehn Schritte vorwärts, marsch!” Karl zählte in Gedanken mit.

Nun stand die Gruppe im strahlenden Sonnenlicht. Dämonitzki blieb im Schatten. Er ließ eine Kehrtwendung machen. Jetzt hatte er die Gruppe voll im Blick. Feixend befahl er den Karabiner mit der rechten Hand am Schwerpunkt zu fassen und dann mit ausgestrecktem Arm bis zur Augenhöhe anzuheben. Danach rief er lächelnd: „Und nun – Panzerschützen – ausruhen!”

Welch ein Martyrium das werden würde, hatte sich keiner der Rekruten bis dahin vorstellen können. Aber dieser Höllenhund von Ausbilder wusste, von Sekunde zu Sekunde verdoppelt und verdreifacht sich das Gewicht des Karabiners. Nur für kurze Zeit reichte die Kraft eines untrainierten Armes, die Waffe ausgestreckt vor den Körper zu halten. Dann erlahmt die Muskulatur und die Finger verkrampfen.

Der Karabiner an Karls Arm wurde schwerer und schwerer. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und brannte erbarmungslos auf den Stahlhelm und trieb den Schweiß erneut aus allen Poren. Karl drückte die linke Schulter zurück und bog den Oberkörper nach hinten. Damit versuchte er der Schwerkraft, die den Karabiner unaufhaltsam nach unten zog, entgegenzuwirken. Vergeblich! Trotz Anspannung aller Körperkräfte, senkte sich der Karabiner Millimeter um Millimeter abwärts. Unausweichlich geschah, was kommen musste – Karl sah es aus den Augenwinkeln heraus: plumpste der Karabiner Beppo Kohls in den Sand. Der Dämon grinste. Gleich darauf konnte auch Karl den Karabiner nicht mehr halten. Er setzte auf. Die Kameraden folgten. Sekunden der Stille verstrichen. Karl sah in der flimmernden Hitze das leuchtende Gelb von Ginsterbüschen und Klatschmohn rot in Hitze schwimmen.

Jäh brach ein Unwetter auf die „Nachzustrahlenden” herab. Dämonitzki verzog sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse. Seine Schweinsäuglein schossen Blitze. Laut beschimpfte er die Soldaten als Versager, Schlappschwänze, Hanswürste, Hundekacker und Nieten. Minuten danach begann ein weiteres Kapitel Schleiferei und Strietzerei.

Ohne Pause jagte er sie mit dem Gewehr in Vorhalte, wie Känguruhs hüpfend, oder ließ sie im Entengang im heißem Sand watscheln. Danach hetzte er sie mehrmals um den Kugelbaum, einmal mit und das nächste Mal ohne Gasmaske. Zum Schluss hieß es Manns tiefe Löcher zur Verteidigung auszuheben. Kaum waren sie damit fertig, mussten sie wieder zugeschaufelt werden.

In den drei Stunden „Nachstrahlen” entwickelte Karl eine solche Wut, wie er sie noch nie gekannt hatte. Es kostete ihm große Beherrschung, diesem Teufel nicht an die Gurgel zu gehen. In diesen qualvollen und demütigenden Stunden, wo die Sonne gnadenlos auf die Landser niederbrannte, sich der gelbe Sand in die Schleimhäute setzte, zwischen den Zähnen knirschte, zwischen den Fußzehen mahlte, die Füße mit Blasen überzog und die Haut von den Sohlen rieb, wünschte Karl diesem Unteroffizier alle erdenklichen Krankheiten und Seuchen an den Hals.

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg

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