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Stubendienst

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Der schrille Ton einer Trillerpfeife vom Flur riss Karl aus dem Schlaf. Gleichzeitig brüllte jemand: „Nachtruhe beenden, fertigmachen zum Frühsport!”

Karl streckte gähnend die Glieder. Im selben Augenblick wurde die Tür krachend aufgestoßen. Schon stand der UvD wie ein Schlagetot im Türrahmen. Seine Stimme überschlug sich fast, als er schrie: „Raus aus den Betten, ihr Saftsäcke!”

Blitzschnell sprangen die Rekruten aus den Betten, zogen Hose und Hemd über und jagten zum Frühsport vor den Block. Ein Unteroffizier übernahm das Kommando und trieb sie zum Exerzierplatz, wo einige Freiübungen auszuführen waren.

Dann ging es Schlag auf Schlag: Waschen, Frühstücken, Antreten zum Morgenappell, Bekanntgabe und Vorstellung der Vorgesetzten, Abmarsch zum Kasernenrundgang mit Einweisung, wo die Stäbe, die Ausbildungsobjekte und die Kompanien lagen. Schnell war der Vormittag vorüber. Nach dem Mittagessen war Uniformempfang. Danach erfolgte die Einweisung durch den Gruppenführer in die Uniformordnung, den Spind-und Bettenbau, in das Ablegen der Uniform und der Unterwäsche auf den Schemel zur Nachtruhe, damit bei Gefechtsalarm, auch in stockdunkler Nacht, die Uniform blitzschnell angezogen werden kann.

Kaum hatten die Rekruten das Notwendigste begriffen und das Bett und den Spind „gebaut”, erfolgte eine erste Belehrung über die „Dienste”. Auch die Postanschrift wurde bekannt gegeben.

Karl war zum ersten Stubendienst vergattert worden. Ob er wollte oder nicht, er hatte in den sauren Apfel zu beißen. Der stellvertretende Gruppenführer belehrte Karl über die zu lösenden Aufgaben und welche Meldung dem UvD vor der Nachtruhe zu erstatten sei.

Gegen einundzwanzig Uhr begann Karl das Zimmer zu säubern. Er fegte die Dielen, kroch unter die Betten mit dem Scheuerlappen, wischte mit einem feuchten Tuch – wie er es bei der Mutter gesehen hatte – über die Spinde, über alle Kanten, die es gab, reinigte Eimer Besenschrank und Fensterrahmen.

Ungeduldig erwartete er den UvD. Noch einmal zog er sein Bettzeug glatt, zupfte an der Uniform, strich zur Kontrolle über einige Spinde. An seinen Fingern blieb kein Staubkörnchen.

Es war fast halb elf, als der UvD geräuschvoll die Stube betrat. Karl schlug die Hacken zusammen und versuchte in seiner Aufgeregtheit eine exakte Meldung zu erstatten, was aber nur unvollkommen gelang. Es war mehr ein Gestammel. Der hochgewachsene Unteroffizier blickte ihn spöttisch an. Er bemerkte: „Ihnen zittern wohl beim Anblick eines Vorgesetzten die Knie, was?”

Karl zuckte zusammen.

Der UvD hob den Blick. Seine Augen strichen über die Betten und die schlafenden Kameraden. Langsam ging er durch die Stube. Plötzlich hob er seinen rechten Arm, strich mit einem Finger über einige Spindkanten. Langsam senkte sich sein Arm. Schon stieß er seinen Zeigefinger Karl vor die Nase. Sein Mund öffnete sich wie bei einem Wasserbüffel, und wie aus der Pistole geschossen schnaubte er: „Na, Hellauer, was sehen Sie auf meinem Finger?”

Ein eiskalter Wasserstrahl hätte Karl nicht frostiger treffen können, so schaurig lief es ihm über den Rücken. Tatsächlich, auf der Fingerkuppe des UvD war eine winzige Staubschicht. Karl blieb die Spucke weg, er konnte nichts begreifen. Er hatte doch gründlich Staub wischt. Seine Kehle war wie zugeschnürt.

„Antworten Sie”, fauchte herausfordernd der Unteroffizier.

Mit hochrotem Kopf stotterte Karl: „St …, Staub, Herr Unteroffizier.”

Ein hinterhältiges Lächeln stieg in dessen Gesicht. „Panzerschütze Hellauer”, raunzte er, „heute lasse ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen. Aber wehe Ihnen, Sie fallen mir noch einmal so unangenehm wie heute auf, dann rumst es im Karton, dann fahre ich mit Ihnen Schlitten. Haben Sie mich verstanden?”

Mit pochendem Herzen und weichen Knien antwortete Karl: „Verstanden, Herr Unteroffizier.”

Wie verwandelt sagte der Unteroffizier in jäher Wende ganz väterlich: „Trotzdem, Hellauer, schlafen Sie wohl!”

Schon rauschte er davon. Halb betäubt schlich Karl zu seinem Bett. Gedankenversunken begann er sich auszuziehen.

Horst, sein Untermann, richtete sich im Bett auf, griente und zog seine Knie bis zum Kinn.

Karl fluchte wie ein Rohrspatz: „Ich begreife das nicht. Ich hab doch gründlich Staub gewischt. Woher kam der Dreck auf dem Finger des UvD – woher?”

Horst zog Karl am Arm und flüsterte: „Der hat dich reingelegt. Und du bist ihm auf den Leim gegangen.”

„Wieso?”

„Gib acht! Ich erzähle dir eine Anekdote: Anfang des vorigen Jahrhunderts unterrichtete in Schweden ein Professor Berzelius Chemie und Pharmazie in Stockholm. Er hatte seinen Studenten vorgeworfen, sie hätten eine sehr schlechte Beobachtungsgabe. Und um ihnen das zu beweisen, nahm er ein Glas mit einer Flüssigkeit zur Hand, tauchte einen Finger hinein und kostete. Da ihr großer Lehrer gekostet hatte, taten es die Studenten ihm nach. Jeder verzog sein Gesicht, denn das Zeugs schmeckte erbärmlich. Darauf sagte der Professor: ,Sehen Sie, wie recht ich hatte, dass Sie schlecht beobachten, denn ich hatte meinen Mittelfinger in die Flüssigkeit getaucht und am Zeigefinger gekostet’. Und genau auf die gleiche Art hat dich der UvD reingelegt.”

„Du meinst, er hat mit dem Mittelfinger über die Spindkanten gestrichen und mir den Zeigefinger vor die Nase gehalten.”

„Genau so war’s. Ich hab ihn aus den Augenwinkeln beobachtet.”

Karl schimpfte wie ein Rohrspatz. Lange hatte er sich nicht so wie ein getretener Wurm gefühlt. Er konnte es einfach nicht begreifen, wie er auf einen solch billigen Trick hereingefallen konnte. Aus verletzter Eitelkeit schwor er: „Diesem Scheusal von Unteroffizier werde ich es heimzahlen.”

Horst lachte. „Und wie willst du das machen?”

„Das werde ich mir noch überlegen.”

„Nutze lieber deinen Verstand”, flüsterte Horst, „und ziehe deine Lehren aus dem heutigen Abend. Das heißt, beobachten lernen und auf nichts und niemanden hereinzufallen.”

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg

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