Читать книгу Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg - Kurt F. Neubert - Страница 17

Unteroffizier Dämonitzki

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Unteroffizier Dämonitzki war Gruppenführer der dritten Gruppe des zweiten Zuges, welcher auch Harry zugeteilt war. Schon nach wenigen Tagen hatte Karl mitbekommen, welch übler Schinder der war. Sein Gebrüll übertönte jeden anderen Vorgesetzten der Kompanie. Und über den Exerzierplatz jagte er seine Gruppe erbarmungsloser als alle anderen.

Dieser Kerl war ein ausgesprochener Barrasschinder. Er war brutal, rücksichtslos und ohne Menschlichkeit. Von der Statur her glich er mehr einer Dogge als einem Menschen. Sein untersetzter, gedrungener Körper stand fest auf zwei Beinen, deren Krümmung nicht einmal die Knobelbecher zu mildern vermochten. Der große Eierkopf, mit gebuckelter Stirn, saß Ansatz los auf dem bulligen Rumpf. In dessen Folge drückte der Uniformkragen seines Rockes das Kinn mit vorstehendem Gebiss nach oben. Daher musste jeder, der diesem Kerl in die Visage blickte, große Nasenlöcher wahrnehmen. Unter den buschigen Brauen lagen zwei Schweinsäuglein, die ständig und unruhig hin und her schweiften. Und wenn dieser Schleifer den Mund bis zu den ausgefransten abstehenden Ohren aufriss – was er fast ständig tat – und dazu seine blassen Lippen fletschte, gab er ein vom Kettenrauchen gelbes Gebiss frei.

Diesen Fiesling lernte Karl so richtig kennen, als Dämonitzki UvD und der Drogist Stubendienst hatte.

Es war zweiundzwanzig Uhr. Der Beginn der Nachtruhe. Der Stubendurchgang begann in der oberen Etage. Jähes Gebrüll schallte durch das gesamte Objekt. Kurz danach rammelte und krachte es wie beim Einsturz eines Gebäudes. Dem folgte Totenstille. Wieder Gebrüll und Getöse. Ein Erdbeben schien mit Wucht den Kasernenblock zu erschüttern. So wechselte sich das Toben und das Krachen mit Augenblicken der Stille ab. Karl folgerte: Totenstille herrschte, wenn Dämonitzki ein Zimmer verließ und ins andere wechselte. Eine halbe Stunde später begann der Tanz auf dem Flur des zweiten Zuges. Unaufhaltsam näherte sich Poltern und Geschrei dem Zimmer 317. Sanftleben, der Stubendienst hatte, ging unruhig auf und ab, prüfte hier und dort noch einmal die Sauberkeit. Alle Rekruten lagen unruhig in den Betten. Sie konnten nicht schlafen.

Schritte hallten über den Flur. Dämonitzki betrat hämisch grinsend die Stube. Sanftleben knallte die Absätze zusammen, presste die Hände an die Hosennaht. Und wie aus der Pistole geschossen, erstatte er Meldung. Seine Unruhe schien wie weggeblasen.

Mit schlitzbreit geöffneten Augen beobachtete Karl Dämonitzki. Seine Mundwinkel zuckten. Das ließ Schlimmes befürchten. Kaum Luft geholt, brüllte er wie besessen: „Sie Depp, Sie blöder, wer hat Ihnen diese Meldung beigebracht? Ich will sie noch exakter hören, verstehen Sie, Sie Dämlack! Aber was will man von Saftsäcken, wie Sie einer sind, anderes als Gesafte verlangen!”

Sanftleben indes zwar etwas blasser geworden, bewies aber bravuröse Haltung. Ruhig antwortete er: „Jawohl, Herr Unteroffizier, von Saftsäcken kann man nur Gesafte verlangen.”

Dämonitzki fiel in seiner Beschränktheit Sanftlebens spitze Zunge gar nicht auf. Er fuhr nur fort: „Haben Sie Ihren Nuttenstall auch gewissenhaft gesäubert, Sie stinkender Wiedehopf?”

„Ich denke schon”, erwiderte Sanftleben mit leicht erhobener Stimme. „Herr Unteroffizier, ich bin von Beruf Drogist und lege daher Wert auf Sauberkeit und gewissenhafte Körperpflege.”

Dämonitzki wieherte. „Sie Stinkdommel, Sie machen wohl Witze, was? Schmieren sich Pomade ins Haar, spritzen sich Parfüm auf die Klamotten, und glauben das ersetze ordentliches Waschen. He!”

Schon wanderten seine Schweinsäuglein über die Betten. Alle Stubenkameraden lagen mucksmäuschenstill. Auch Karl rührte kein Glied. Dämonitzki ging zu den Spinden. Seine rechte Hand wischte drüber hinweg. Karl hörte seinen rasselnden Atem. Dämonitzki drehte sich plötzlich um, hielt seine Hand dem Sanftleben vors Gesicht und geiferte wie ein losgeketteten Kampfhund: „Sehen Sie den Dreck an meinem Finger?”

Sanftleben beugte sich staunend zur Hand hin, blickte wie neugierig darauf, zuckte mit den Schultern und sagte mit Unschuldsmiene: „Verzeihen Sie, Herr Unteroffizier, aber außer den Trauerrändern unter Ihren Fingernägeln kann ich nicht ein Staubkörnchen sehen.”

Blut, grellrot, peitschte Dämonitzki zum Kopf. Die Stirnader schwoll wutentbrannt an. Wie ein Maikäfer vor dem Abflug, pumpte er nach Luft. Die unglaubliche Respektlosigkeit traf diesen Tyrannen so unvermutet, dass es ihm für Sekunden die Sprache verschlug. Ein Krampf lief über seine Gesichtszüge. Mit weit aufgerissenen Augen stierte er Sanftleben an, dessen Gesicht rosig wie das eines Unschuldsengels leuchtete. Für einen preußischen Unteroffizier, in dessen Kopf nur die Heeresdienstvorschrift, Schlagwörter und Geschwafel Eingang gefunden hatten, mussten Sanftlebens Äußerungen wie eine Ungeheuerlichkeit erscheinen, die einem schweren Dienstvergehen gleich kam und die Autorität eines preußischen Unteroffiziers in Frage stellte.

Unbeherrscht schossen Dämonizki Schweinsäuglein Rachepfeile auf Sanftleben. Er fletschte wie ein Dorfköter im Rausch die Zähne, riss sein Maul bis zu den Ohren auf und bellte: „Ich mach Sie fertig, Sie Pfeifenwichs. Sie …, Sie werden mich noch kennenlernen, Sie …, Sie Ochsenfurz, Sie räudiger Sohn einer läufigen Hündin, Sie Affenarsch dämlicher …”

In seiner Maßlosigkeit und vor Wut musste er erst mehrmals nach Luft schnappen, bevor er mit verzerrtem Gesicht losschrie: „Beten Sie zu Gott, Sie siebensinniger Hund, denn Hölle und Fegefeuer wird ein Furz gegen das sein, was in den nächsten Tagen und Wochen auf Sie zukommt. Das Spießrutenlaufen beim Alten Fritz wird gegen das, was Sie erdulden müssen, ein wahrer Spaziergang gewesen sein. Ich versichere Ihnen, ich mache Sie zur Wildsau, Sie …, Sie Schweinekopp.”

Aus irgendeinem Bett kam ein leises Kichern.

Dämonitzki drehte sich wie ein Kreisel, stemmte die Hände in die Hüften und brüllte: „Wer hat da gekichert?”

Niemand meldete sich.

„Ihr denkt wohl, der Dämonitzki ist doof, was! Der merkt nicht, wie ihr in eure Kissen grinst. Aber da seid ihr auf dem Holzweg, ihr elenden Hundesöhne. Schreibt es euch hinter die Ohren: Dämonitzki sieht alles, hört alles, merkt alles. Mich macht keiner was vor, ihr elenden Holzköpfe?”

Wütend schleuderte er mit einem Stiefeltritt einen Schemel durch die Stube, dass er krachend gegen den Besenschrank knallte. Aufgischend, wie bei einem Tobsuchtsanfall schrie er: „Raus aus den Betten, ihr Affenärsche!”

Wie die Wiesel sprangen die Rekruten von ihrem Lager und nahmen im Nachthemd Haltung an.

Er geiferte: „An die Spinde! Spinde auf!”

Karls Spind, am weitesten links, war sein erstes Ziel. Karl meldete: „Spind des Panzerschützen Hellauer!”

Die Schweinsäuglein hakten sich böse am Gesicht Karls fest. Er taxiere die Leidensfähigkeit des Rekruten. Karl zuckte mit keiner Wimper. Dämonitzkis Augen schienen sich am „Eingeweide” des Spindes festzusaugen.

Abgründig, wie eine Bestie vor dem Angriff, fragte er: „Nennen Sie das Spindordnung?”

„Jawohl, Herr Unteroffizier. Gruppenführer Windmüller hat sie uns so beigebracht.”

„Wollen Sie mir verscheißern, Sie Hirni, Sie”, schnauzte er.

„Nein, Herr Unteroffizier, ich wollte …”

„Das ist ein Misthaufen, Hellauer, da scheißt nicht mal ‘ne Sau rein.”

Der Unteroffizier griff, einer Furie gleich, mit beiden Händen in den Spind und warf alle Sachen auf die Dielen. Karl blickte verdutzt auf den Unhold. Schon stand Dämonitzki am nächsten Spind, bei dem er ebenso wie bei Karl verfuhr. Alle Sachen flogen auf den Boden. Es sah aus wie nach der Schlacht bei Waterloo: Uniformen, Stiefel, Socken, Unterwäsche, Kragenbinden und Fußlappen von sechs Landsern lagen wie Kraut und Rüben durchund übereinander.

Dämonitzki schien mit der erteilten Lektion in Kasernenidiotie sehr zufrieden zu sein, denn er grölte: „Merkts euch, ihr verwahrlosten Hundesöhne, ich werd euch schon noch deutsche Soldatentugenden beibringen, wie sie im Buche stehen: Zucht, Ordnung, Disziplin, Gehorsam und Schnelligkeit. Haben ihr mich Verstanden, ihr Halbaffen?”

„Jawohl, Herr Unteroffizier!”

„In einer halben Stunde habt ihr Nieten eure Spinde auf Vordermann gebracht, aber picobello, klar!”

Er grunzte noch etwas in seinen Bart, juckte sich am Gesäß und verließ die Stube. Die Tür schmetterte er ins Schloss, wodurch der Kalk aus der Füllung rieselte und die Wände erzitterten.

Am folgenden Morgen, pünktlich sechs Uhr, ertönte vom steinernen Flur, wie aus der Ödnis, grell die Trillerpfeife des UvD, die alle Schlafenden sofort aus dem Tiefschlaf riss.

Gleich danach brüllte Dämonitzki: „Nachtruhe beenden, fertigmachen zum Frühsport!”

Unmittelbar danach stand er im Zimmer 317. „Wollt ihr faulen Säcke nicht endlich euren dreckigen Arsch aus der Koje wälzen, oder muss ich erst Dampf machen”, polterte er überschattet von Wut.

Von der überschnappenden Stimme hellwach, sprangen die Burschen aus den Betten, schlüpften ins Sportzeug und hasteten nach unten. Nach dem Ende der Hatz durch das Kasernengelände – was man Frühsport nannte – erreichte die Gruppe keuchend den Kompanieblock.

In der Tür stand Dämonitzki, breitbeinig und die Hände in die Hüften gestützt. Kaum war „Sport frei!” verklungen, hallte seine Stimme über die Köpfe hinweg: „Zweite Gruppe, zweiter Zug zu mir!”

Mit fliegenden Pulsen stellte sich die Gruppe vor Dämonitzki auf. Unbehagen machte sich bei den Rekruten breit. „Herhören“! zischte Dämonitzki. „Wegen grober Unordnung auf der Stube und Nichtbefolgung von Anweisungen – heute Abend neunzehn Uhr Maskenball! Und wer auch nur durch den geringsten Verstoß gegen das militärische Regelwerk auffällt, den scheuche ich so lange, bis er nicht mehr weiß, ob er Männchen oder Weibchen ist.”

Karl spürte, dieser Unteroffizier war durch einen Rekruten gedemütigt worden. Nun machte er Jagd auf alle Kameraden der Gruppe, die nach seiner Auffassung aufständische Rekruten waren.

Eine halbe Minute später hatten die Stubengefährten von 317 die Bestätigung. Beim Betreten ihrer Stube – blieben sie vor Schreck auf der Schwelle stehen: Ein Erdbeben mittlerer Stärke musste die Stube heimgesucht haben. Betten, Spinde und Schemel lagen übereinander getürmt, kreuz und quer und mitten in der Stube. Eine Welt brach für Karl zusammen. Sein Traum, ehrlichen Herzens der Hitlerwehrmacht dienen zu wollen, erhielt den ersten Dämpfer. Sanftleben bemerkte lakonisch: „Dieser Teufel könnte die Pest und Cholera erfunden haben.”

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg

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