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Die Grundausbildung

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Als die Grundausbildung begann und die Elemente des Gefechtsexerzierens täglich geübt wurden, konnte Karl nicht ahnen, welch preußische Untugenden, welcher Geltungsdrang und welch kalte Verächtlichkeit in einigen Unterführern steckte.

Unter der sengenden Junisonne begann es mit einfachen Exerzierübungen, wie Antreten zu einem Glied, zu zwei oder drei Gliedern, in Reihe, in Marschkolonne, rechts um, links um, kehrt usw. Aber mit jedem Tag wurde das Exerzieren härter, gemeiner und brutaler, und wenn „in dem Haufen” – wie sich die Unteroffiziere auszudrücken pflegten – eine Wendung oder Übung nicht exakt klappte, wurde nicht schlechthin weiter geübt, sondern erbarmungslos gescheucht.

Wer von den jungen Burschen war schon als Soldat geboren worden? Niemand! – Aber in fast allen steckte der eiserne Wille, das Waffenhandwerk gründlich zu erlernen, mit dem Ziel, die Feinde schlagen zu können.

Der stellvertretende Zugführer, Feldwebel Hintersinn, blieb in den ersten Ausbildungstagen im Hintergrund. Er beobachtete das Vermögen oder Unvermögen der Rekruten mit den Augen eines Panthers. Erstmalig beim Beginn der Zugausbildung trat er, wie Phönix aus der Asche, in Erscheinung. Er war mittelgroß, breitschultrig, schmal in den Hüften, mit einem kantigen Gesicht und einer Hakennase. An jenem Morgen stellte er sich breitbeinig vor die Kompanie. Er blickte mit der Augenschärfe eines Geiers über die Burschen hinweg.

Hart und klirrend kommandierte er: „Zug!” – Für Augenblicke blickte er grinsend zum Himmel, dann brüllte er: „Stiiillstandn!”

Wie erstarrt, verharrten die Rekruten in Habacht-Stellung. Die Sekunden verrannen unendlich langsam. Noch kochte die Sonne nicht, aber erste Schweißperlen rollten von den Stirnen der Rekruten. Hintersinn ging vor dem Zug auf und ab. Seine Arme bewegten sich unablässig wie Werkzeuge einer Spinne, die ihr Opfer einzuspinnen beginnt. Auf seinem Gesicht lag ein leichtes Grinsen. Alle Landser spürten, der weidete sich an ihrem verkrampften Stehen. Nach fünf unendlich langen Minuten ließ er rühren. Erleichtert atmeten die Rekruten auf.

Nicht laut, aber für jeden hörbar, begann Hintersinn wie zu sich selbst zu sprechen: „Es ist des Führers Wille, den deutschen Soldaten hart wie Krupp-Stahl, zäh wie Leder und flink wie Windhunde zu machen. Daher sehe ich meine Aufgabe darin, euch Zivilärsche entsprechend auszubilden. Dieses hehre Ziel, das der Führer uns Ausbildern gestellt hat, haben wir gnadenlos zu erfüllen; daher muss euch Rekruten das Wasser im Arsche kochen.” Die Stimme des Feldwebels sprang jäh auf große Lautstärke. Er brüllte: „Habt ihr mich verstanden, ihr Weihnachtsmänner?”

Aus vollem Halse brüllten die Rekruten: „Jawohl, Herr Feldwebel!”

Zufrieden sich die Lippen leckend, wandte sich Hintersinn den anderen Unterführern zu.

Augenblicke später erschien der Hauptfeldwebel, gab einige Befehle bekannt und übergab das Kommando zum Abrücken ins Gelände an Oberfeldwebel Würzstengel.

Der Marsch aus der Kaserne begann in den ersten Tagen stets mit „Erika!” Einem Lied, das ihnen in den ersten Tagen eingebleut wurde. „Auf der Heide blüht ein kleines Blüüümelein, und das heißt – E-e-e-e-e-rika!”

An der hinteren Ausfahrt der Kaserne, dort, wo die Straße abrupt aufhört, begann ein von den Panzerketten zerfahrener und aufgewühlter Sandweg.

Der Oberfeld rief: „Ohne Tritt!”

Nun tauchten die Stiefel in die Wellentäler der Panzerfahrstrecke, die infolge der Sommerhitze mit einer Knöchel tiefen Staubschicht gefüllt war. Und jeder Stiefeltritt der über hundert Soldaten wirbelte eine gelbe Staubwolke empor. Eingehüllt in diese Staubfahne, stolperten die Rekruten dem Ausbildungsgelände entgegen. In der Nase kitzelte Staub und er knirschte zwischen den Zähnen.

Die Ausbilder gingen vorsichtshalber vor der Kompanie. Nur der Oberfeld lief nebenher. An den Wegrändern standen dürre Grasbüschel, vertrocknete Wildpflanzen und Gebüsch. Staubüberlagert, begannen die Pflanzen abzusterben. Und auf den wenigen Bäumen, die diesen Weg säumten, lastete die gnadenlos sengende Sonne und stinkende Motorenabgase. Abgestorbene Äste hingen wie Leichenarme herab.

Plötzlich brüllte der Oberfeldwebel: „Artilleriefeuer von rechts!”

Blitzschnell warf sich Karl an Ort und Stelle nieder. Einige Rekruten liefen zum nahen Wald.

Wie aus einem Maschinengewehr prasselte eine Schimpfkanonade auf die Jungs herab. Es begann mit „grauen Mäusen” und endete bei „siebensinnigen Hunden”, die nicht wissen, wie sie sich bei Artilleriefeuer zu verhalten hätten. Erst danach erfolgte eine Belehrung über das richtige Verhalten bei Artilleriebeschuss.

Kaum aber war die Marschordnung hergestellt, blaffte der Oberfeld: „Tiefflieger von vorn!” Und so ging es bis hin zum Ausbildungsplatz, einem Stück Sandwüste zwischen Kiefern. Mal gab es „MG-Feuer von rechts!” oder es hieß „Panzer von links!”

Diese Schinderei war ein Fest, ein fiebriger Rausch für die Unterführer. Es galt die Rekruten schon vor dem Exerzierplatz fertig zu machen. Dieser Platz zwischen den märkischen Kiefern vor einem leichten Hügel bestand nur aus Sand und einem Kugelbaum, der einsam auf lichter Höhe stand. Dieser Ort wurde für alle Rekruten zum Trauma.

Dort wurden sie von den Ausbildern mit sadistischer Freude gejagt, gedrillt, geschunden – Tag für Tag, und das wochenlang durch den Knöchel tiefen, losen und glühenden Sand. Und über allem eine sengende Sonne. Bis zum Erbrechen – immer dasselbe Ritual: Links um! Rechts um! Hinlegen! Auf, marsch, marsch! Im Laufschritt marsch, marsch! Gruppe vorwärts! Zum Sturm auf die Höhe des Kugelbaumes, im Laufschritt vorwärts marsch! Bis auf meine Höhe vor robben!

Das Exerzieren und Drillen war mehr als eine gewöhnliche Gemeinheit. Oft war es nur reine Wollust, die graue Masse wie Hasen zu jagen. Schon nach den ersten Minuten schien das Blut in den Adern zu kochen, lief der Schweiß in Strömen über die Haut, schienen die Lungen zu bersten …

Und wehe, wenn eines der Exerzier-Elemente nicht exakt ausgeführt wurde – dann hagelte es gemeinste Beschimpfungen, und mit Wonne wurde befohlen: „Um den Kugelbaum, im Laufschritt, marsch, marsch!”

Die Silhouette des kugelförmigen Baumes brannte sich erbarmungslos ins Hirn der Rekruten. Unzählige Male mussten sie den zirka dreihundert Meter entfernten Baum – im Laufschritt, versteht sich – umrunden. Die Stiefel versanken fast im Sand. Jeder Schritt wurde zur Qual. Die Rekruten hechelten. Der Stahlhelm glich einem Topfdeckel auf einem kochenden Menschen. Aber die Tortur war für die, die zuletzt angekommen waren, noch nicht zu Ende. In Schweiß gebadet und zerschunden mussten sie noch einmal den bitteren Weg um den Baum antreten. Und niemand konnte etwas dagegen unternehmen.

Damit waren die Martern und Qualen aber noch nicht zu Ende. Die größte Pein verursachten die winzigen Sandkörnchen, die in die viel zu weiten Stiefelschäfte eindrangen und beim Aufstehen zu den Füßen rieselten. Dort setzten sie sich zwischen den Fußlappen oder in den Strümpfen fest und schmirgelten die Haut, bis sie sich in Fetzen vom Fleisch löste. Am liebsten hätten die blutjungen Männer ihren teuflischen Schmerz in die Welt hinaus gebrüllt, doch es galt, die Zähne zusammenzubeißen und die Befehle auszuführen.

Oh, welche Wonne, wenn am Ende der Ausbildung der Befehl ertönte: „Kompanie sammeln! In Marschkolonne angetreten, marsch, marsch!” Obwohl der Körper völlig ausgelaugt und die Kräfte erlahmt waren, dazu der Schmerz in den Füßen teuflisch brannte, vermochten es die Rekruten, die Kaserne stets mit einem Lied auf den Lippen zu erreichen.

Ausgetrocknet wie Schwämme, stürzten sie sich nach dem Wegtreten auf dem Kasernenhof in die Waschräume, tranken das eiskalte Wasser und ließen es sich über die Köpfe laufen. Dann rissen sie die Stiefel von den Füßen und hielten sie unter den kühlenden Wasserstrahl.

Noch schlimmer als der körperliche Schmerz war der seelische den ihnen einige Ausbilder zufügten. Einige von ihnen kannten weder Menschenwürde noch Barmherzigkeit. Für sie waren die Rekruten Hundepack, dreckige Zivilisten, Schmarotzer, Blindgänger und vieles mehr. Maßlos in ihrer Arroganz und Machtbesessenheit machten sie den Rekruten das Dasein zur Hölle. Erbarmungslos nutzten sie ihre Befehlsgewalt und die Ohnmacht der Untergebenen.

Ordnung und Disziplin waren Karl keineswegs zuwider; im Gegenteil, er war sehr dafür, denn in einer Gemeinschaft von Menschen kann nicht jeder tun und lassen, was er will. Doch was er in den Wochen der Ausbildung erlebte, erweckte Zweifel an den Methoden der Ausbilder.

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg

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