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Die Vereidigung

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Nach den Meldungen über den grandiosen Vormarsch der Wehrmachtsverbände an der Ostfront erlebten die jungen Rekruten den Tag der Vereidigung als „ein der Ehre verpflichtendes Ereignis“. Der Tag stieg mit einer blassen Morgenröte aus der klaren Nacht.

Die Trillerpfeife des UvD wirkte an diesem Morgen wie ein laues Lüftchen. Frühstück, Antreten, die Kontrolle der Paradeuniform und die Befehle der Vorgesetzten atmeten an diesem Vormittag eine verblüffende Ruhe und Sanftheit. Alle Fesseln des militärischen Zwangs waren für eine kurze Zeit einer Atmosphäre der Freundlichkeit gewichen. Man konnte glauben, nun wende sich alles zum Guten.

Zum ersten Mal stand der Rekrut im Mittelpunkt, denn er hatte den Eid auf Führer, Volk und Vaterland zu leisten. Der Schwur, so war ihnen eingebleut worden, bilde den Wendepunkt im Dasein jedes jungen Soldaten. Von diesem Tag an, sollte es kein größeres Glück für ihn geben, als die Waffen zum Ruhme des Vaterlandes tragen zu dürfen. Leidenschaftlich und wagemutig müsse er in der Schlacht jeden Feind niederwerfen, und wenn erforderlich, das eigene Blut dem Sieg für die Heimat opfern.

Wehe dem Eidbrüchigen!

Die Kompanien des Ersatzbataillons 5 marschierten unter einem blauen Himmel und mit Marschgesang zum Vereidigungsplatz. Im Karree stehend, erwarteten sie das Vereidigungszeremoniell.

Karl fühlte, er war nur ein Rädchen in den Reihen der angetretenen Rekruten. Sein Blick war fest aufs Genick des Vordermannes gerichtet. Der Stahlhelmriemen saß straff unterm Kinn. Plötzlich kamen ihm die Worte des Gruppenführers vom Vorabend in den Sinn.

„Kameraden, der Eid ist Ihr Versprechen an den Führer, für die heiligste Sache dieser Welt bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Sie schwören im Angesicht der Regimentsfahne für die unwiederbringlichen Ideen des Großdeutschen Reiches, all Ihre Kräfte einzusetzen und niemals auch nur einen Fußbreit Boden Deutschlands preiszugeben.”

Ein Befehl riss Karl aus seinen Gedanken.

„Bataillon – stillgestanden! Zum Einmarsch der Regimentsfahne – Augen rechts!”

Es klappte wie am Schnürchen. Alle Augen folgten der Fahne, die von einem Offizier und zwei Fähnrichen im Stechschritt zur Mitte des Karrees getragen wurde.

Vier ausgewählte Rekruten aus den Kompanien wurden zur Fahne befohlen. Die Fahne wurde gesenkt. Die Rekruten ergriffen die Ecken des Fahnentuches. Eine Offiziersstimme, sich fast überschlagend, befahl: „Bataillon – zur Vereidigung – stillgestanden!”

Ein schlanker Hauptmann trat zur Fahne. Seine jugendhelle Stimme erschallte deutlich über den Köpfen der Soldaten und erreichte jedes Ohr. Die Soldaten hoben die rechte Hand zum Schwur.

Laut und deutlich rief er:

„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid …”

Unter ihren Stahlhelmen schwitzten die Rekruten. Im Chor wiederholten sie laut: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid …”

Einen Augenblick herrschte Stille. Karl sah den Hauptmann, meinte dessen Blick in der flirrenden Luft zu spüren und hörte seine energische Stimme.

„… dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler …”

„… dem obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam zu leisten …”

Feierlich schmetterte auch Karl: „… dem obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam zu leisten …”

„zu leisten …”, hallte es von den Wänden der Fahrzeughallen wider.

„… und als tapferer Soldat bereit sein will …”

„… bereit sein will …” sprachen alle nach.

Fast grell schwang sich die Stimme des Hauptmanns in den Himmel: „… jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen!”

In feierlicher Pose wiederholten die jungen Männer:

„… jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen!”

Der Hauptmann trat zurück. Die Fahne wurde gehoben.

Ein Pfarrer, hinter den Bataillonsoffizieren hervortretend, ging zur Mitte des Appellplatzes. Seine Wangen bedeckten rote Erregungsflecken. Dieser kleine, untersetzte Mann hatte einen dröhnenden Bass, und er war ein glänzender Redner. Er sprach vom Gottesauftrag, den die Soldaten in der feldgrauen oder schwarzen Uniform für Führer und Vaterland zu erfüllen hätten. Er beschwor die auf dem Appellplatz Angetretenen, im Sinne des abgelegten Eides nicht eher die Waffe aus der Hand zu legen, bis auch der letzte Feind im Staube liege.

Erneut erhob der Hauptmann seine Stimme: „Helm ab! Kniet nieder, zum Gebet!”

Mit dem Stahlhelm unter dem rechten Arm knieten die Rekruten nieder. Feierlich zelebrierte der Pfarrer mit Leidenschaft das Vaterunser. Dann erteilte er den Vereidigten den kirchlichen Segen und wünschte ihnen im Kampf Erfolg und Glück. „Möge Gott unseren geliebten Führer alle Zeit beschützen und Deutschland den großen Sieg schenken.”

Das Zeremoniell wurde mit dem Vorbeimarsch an der Regimentsleitung und den Bataillonsoffizieren beendet.

Die stellvertretenden Kompaniechefs übernahmen in den Kompanien das Kommando. Nach dem Vorbeimarsch führte Oberleutnant Schaffhausen die zweite. Kompanie zur Panzerausfahrt. Kurz dahinter, in einer breiten Waldschneise, befahl er: „Kompanie halt! – zur Pause weggetreten!”

Sich den Stahlhelm vom Kopf reißend, setzten sich die jungen Rekruten auf trockenes Gras und Moos am Waldrand. Karl hockte sich neben ein Gebüsch, dessen Blätter zu gilben begannen. Erschreckt flogen zwei Blaumeisen davon.

Der Gruppenführer trat an die Gruppe heran. Lächelnd gratulierte er zur Vereidigung. Es folgte sein Rat, sich nun als vollwertige Soldaten noch mehr anzustrengen, damit das Ziel der Ausbildung mit Bestnoten erfüllt würde. Der Kompaniechef werde in wenigen Minuten eintreffen und prüfen, welchen Ausbildungstand jeder einzelne Soldat erreicht habe. Alle Panzerschützen müssen grüßend an ihm vorbeimarschieren.

Karl grauste es bei dem Gedanken, im Stechschritt durch den losen Sand und erhobenen Hauptes am Rittmeister vorbei zu defilieren. Nach einer Zigarettenpause wirbelte in der Ferne eine Staubwolke auf. Ein Reiter auf braunem Pferd näherte sich der Kompanie im leichten Galopp. Jemand schrie: „Rittmeister von Motzendorf!”

Aufgeschreckt, ertönte im hohen Diskant die Stimme Schaffhausens: „Achtung! Kompanie zugweise in drei Gliedern angetreten, marsch, marsch!”

Blitzschnell suchte jeder seinen Platz in der Kompanieordnung. Während der Rittmeister das Pferd im Schritt gehen ließ, standen die Rekruten, die Hände an die Hosennaht gepresst, wie aus einem Guss.

Karl schielte zu Ross und Reiter. Das Pferd mit wehender Mähne bekam die besseren Noten. Der schöne Kopf, der schlanke Hals, die breite Brust, die schlanken Fesseln und starken Hufe verrieten eine edle Herkunft. Der Reiter aber, schon über die fünfzig Jahre hinweg, saß nicht mehr straff und aufrecht im Sattel. Falten durchzogen sein blasses Gesicht. Seine Augen wirkten leblos. Die Lippen hatte er zusammengepresst und waren nur ein Strich.

In das Schnauben des Hengstes hinein ertönte der Befehl: „Zur Meldung an den Kompaniechef, die Augen – links!”

Die Köpfe flogen herum, alle Augen sahen zum Rittmeister.

Während der Oberleutnant Meldung erstatte, betrachtete Karl das Maul des Pferdes und die großen dunklen Augen. Es juckte ihn förmlich, diesem herrlichen Tier den Hals und die Flanken zu tätscheln. ,Es musste wundervoll sein’, dachte er, ,mit der Hand über das seidige Fell zu streichen’. Karls Gedanken flogen in die Knabenzeit zurück: Öfter hatte er auf Pferderücken ohne Sattel gesessen, war dahin gejagt und hatte das berauschende Gefühl von Freiheit erlebt. Und sonntags, wenn sein Vater im Pferdestall des Rittergutes die Pferde striegelte, half er voller Begeisterung. Seine Finger glitten wie verzaubert durch die herrliche Mähne und er genoss den Geruch der Pferde.

Die weiteren Befehle der Vorgesetzten nahm Karl nur noch unbewusst wahr. Schon stand er in der langen Reihe der Landser, die zur Grußerweisung angetreten waren.

Karls Augen folgten den Kameraden, die im Exerzierschritt grüßend am Kompaniechef vorüber stolzierten. Er bemerkte, wie der Rittmeister etwas sagte und die Soldaten links beziehungsweise nach rechts an den Waldrand traten.

Dann war Karl an der Reihe. Seltsam erregt marschierte er los. Der Duft des Waldes und die Wärme strömte ihm entgegen. ,Fünf Schritte vor dem Vorgesetzten die Grußerweisung beginnen und zwei Schritte nach ihm das Ganze beenden’, war jedem Rekruten eingeimpft worden. Die sengende Hitze trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Der Kopf schien plötzlich in einem Dampfkessel zu stecken.

Unsicher näherte sich Karl dem Herrn auf dem Pferd. „Reiß dich zusammen”, ermahnte er sich selbst. Blitzschnell riss Karl den Arm zur Grußerweisung an den Stahlhelm. Gleichzeitig – zack! – flog der Kopf nach rechts, und die Füße knallten zum Paradeschritt in Kniehöhe. Ein seltsames Feuer schien, mystisch verklärt, lodernd am Himmel zu brennen. Karl fluchte im Gedanken: „Eine Gemeinheit, uns an diesem Tag durch den losen Sand im Ex-Schritt marschieren zu lassen.”

Die irritierende Lichtwoge verblasste. Er starrte auf den Rittmeister. Wie blass der Mann aussah! Ein müdes Lächeln umspielte die schmalen Lippen des Reiters. Karl beendete nach sieben Schritten die Grußerweisung.

Hinter ihm schnarrte der Rittmeister: „Links raus!”

Karl trat zur linken Gruppe, die in loser Ordnung im Schatten der hohen Kiefern stand. Das Herzrasen ebbte ab. Horst klopfte Karl auf die Schulter. Mit glänzenden Augen fragte er: „Weißt du, warum der Chef uns so eingeteilt hat?”

„Keine Ahnung!” Karl winkte ab. Aber Beppo sagte nervös: „Ich habe gehört, für die Besten bei der Grußerweisung gibt es am Nachmittag Ausgang. Hoffentlich müssen nicht wir in der Kaserne schmoren.”

Karl lehnte sich an einen Baum und beobachtete bis zum letzten Mann der Kompanie das Schauspiel des Vorübermarschierens am Rittmeister.

Unvermittelt danach schnarrte der Rittmeister: „Hauptfeldwebel!”

Der schlug die Hacken zusammen und brüllte: „Hier, Herr Rittmeister!”

„Schreiben Sie, ähm, Leute, die rechts, äh, stehen, auf, äh. Sie bekommen, äh, äh, von zwei Uhr an, äh, bis zwanzig Uhr, ähm, ähm, Ausgang. Verstanden?”

Der Hauptfeldwebel schrie: „Jawohl, Herr Rittmeister!” Er zückte sein Notizbuch und ging zu der rechten Gruppe. Dort gab es freudige Gesichter und leuchtende Augen. Auf der anderen Seite des Waldweges dagegen gefrorene Mienen und leises Unmutsmurmeln.

Nur Werner Sanftleben grinste. Er rief Beppo zu: „Hallo Süßer! Auch du mein Freund darfst mit uns noch eine Woche Grüßen üben. Wie gefällt dir das?”

Gelächter folgte.

Die Rekruten hatten eine neue Masche des preußisch-deutschen Militärs, in diesem Fall durch einen Rittmeister, kennen gelernt. Spitz dachte Karl: Der Alte wollte eben seinen Sonntagsspaß mit uns Rekruten haben.

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg

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