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Lebenswunsch – der Wunsch nach Leben

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Ja wir sind schwanger. Ein wirkliches Wunschkind. Wir hatten gemeinsam den Wunsch nach einer größeren Familie. Nicht nur einfach Mutter, Vater und ein Kind. Niklas sollte kein Einzelkind sein. Wir wollten ein zweites Kind. Im Nachgang vielleicht schwer zu verstehen, aber obwohl wir nun von der tatsächlichen Existenz einer psychischen Krankheit meiner Frau wussten und diese noch längst nicht geheilt war, wollten wir unseren Wunsch nach einem zweiten Kind nicht weiter aufschieben.

Doch eine Schwangerschaft mit gleichzeitiger Medikamenteneinnahme? Eine kurze Online-Recherche hatte schon gezeigt: Psychopharmaka und Schwangerschaft? Da gibt es wenig belastbare und vor allen Dingen keine rein positiven Daten. Also haben wir gemeinsam entschieden, dass Katrin das damalige Medikament absetzt. Die möglichen Nebenwirkungen des Medikaments während der Schwangerschaft wären nicht vorhersehbar gewesen. Was für Diskussionen! Was für weitreichende Entscheidungen! Ein Menschenleben verhindern, um die eigene Krankheit – mit mehr oder weniger großem Erfolg – zu therapieren?

Das Absetzen und damit die geplante Schwangerschaft waren aus heutiger Sicht im Hinblick auf die Krankheitsentwicklung unglaublich große Fehler. Diese Komplikationen mit der Zwangserkrankung während der Schwangerschaft! Aber unser zweites Kind? Wird es das nicht wert sein? Aber später ist man immer klüger. Und wer weiß... vielleicht wird ja doch alles gut?

Nachdem die zwanghaften Putz- und Waschrituale mit dem Absetzen des Medikaments erst noch minimiert vorhanden waren, haben sie sich im Laufe der Schwangerschaft immer weiter verstärkt.

Schließlich konnte ich – mit Hilfe von Katrins Eltern Bettina und Rainer, Katrin dazu bewegen, dass sie erneut eine Therapie begann. Diesmal nicht über die Psychiaterin in der Stadt, sondern über einen Kontakt von Bettina, meiner Schwiegermutter. Sie kannte noch einen Professor. Professor Fölkner behandelte vor vielen Jahren bereits Bettina wegen ihrer eigenen Zwangserkrankung.

Zwangserkrankung? Meine Schwiegermutter? Ja, richtig. Ich hatte mittlerweile während eines Schwiegersohn-Schwiegervater-Spaziergangs erfahren, dass Katrin nicht die Erste in ihrer Familie mit Zwängen war. Schon Bettina entwickelte eine Zwangserkrankung und litt unter ihren Zwängen. Auch sie hatte Angst vor tödlichen Krankheiten und legte in den ersten Jahren der Ehe mit Rainer ein besonders großes Hygienebedürfnis an den Tag.

Rainer erzählte mir von den 80er Jahren. Von Nächten in Hotels, in denen er Mücken jagen musste. Nein, nicht weil sie nervende Stiche verursachen könnten. Er sollte die Mücken töten, damit Bettina und er nicht an der „möglicherweise über Mückenstiche übertragbaren Krankheit AIDS” erkranken können... Heute ist Bettina „eingestellt”. Sie nimmt regelmäßig ein Medikament. Damit lebt sie wohl größtenteils frei von Symptomen. Zumindest sind selbst für einen nicht mehr ganz so Außenstehenden wie mich keine Symptome mehr sicht- oder erlebbar. Die Krankheit ist dabei für niemanden ein Thema. Selbst ihre engsten Freunde wissen nicht Bescheid. Die Kernfamilie hat sich darauf verständigt, dass niemand etwas über die Krankheit zu erfahren hat.

Aber auch mit Hilfe von Professor Fölkner ist Katrins Therapie bis heute noch nicht wirklich losgegangen. Alles dauert. Der erste Termin bei Professor Fölkner liegt nun schon zwei Monate zurück. Die Zeitaufwand ist bei jedem Besuch riesig: 60 Minuten Autofahrt hin, und 40 Minuten außerhalb der Rushhour zurück. Ob sich das lohnt? Sollten wir vielleicht nicht jemand anderen suchen? Aber Katrin vertraut ihrer Mutter. Ich muss ihm auch vertrauen. Ich sollte ihm vertrauen...

Am 8. Mai, also heute vor genau zwei Monaten, war die geäußerte Meinung von Professors Fölkner: Die Therapie kann nur gemeinsam mit Medikamenten gestartet werden. Die medikamentöse Behandlung wiederum könne erst nach der Geburt gestartet werden.

Nach der Geburt? Das sind noch vier Monate! Wir haben im September Geburtstermin! Akute Hilfe? Nein. „Akute Hilfe ist in ihrem Fall nicht möglich“. Eine Therapie ohne begleitende Medikation? „Eine psychotherapeutische Therapie ohne begleitende Medikation? Nein, nicht durchführbar.“ Professor Fölkner war da sehr deutlich. Die Angst, die Furcht des Patienten, in diesem Fall von Katrin, wäre zu groß, um die Therapie durchstehen zu können.

Nach dieser Meldung war ich vollkommen fertig. Ich konnte es einfach nicht fassen. „Was für ein Arschloch! Was für ein Idiot! Was für ein gottverdammter, weltfremder Idiot!” Das waren meine stillen Gedanken. Dieses vernichtende Urteil gegenüber jeder Art von Hoffnung auf Anleitung zur Besserung war für mich nicht verständlich. Aber statt zu schreien und zu toben; reagierte ich mit unzähligen Anrufversuchen. Ich nahm mir in der Firma frei. Ich wollte persönlich in der Klinik von Prof. Fölkner auf der Matte stehen. Aber Fölkner hatte keine Zeit. Ich hinterließ Anrufe auf seinem Anrufbeantworter. Ich verfasste unter anderem einen Brief, den ich an den Professor schickte, um die Situation nochmals darzulegen. Aber auch hierauf nur die bereits formulierte Reaktion: Keine Therapie ohne Medikation.

Und dabei bräuchten wir so dringend einen Lichtblick! In unserer kleinen Familie ist das Zusammenleben einzig und allein nur noch von den Zwängen bestimmt. Niklas ist darin kräftig integriert und passt sich diesen Gegebenheiten an. Wie sollte ich das auch nur einen Tag länger aushalten? Könnte das überhaupt jemand so aushalten?

Rücksichtnahme auf eine Schwangere auf der einen Seite — natürlich! Aber auf der anderen Seite mein mir inzwischen angelesenes und gelerntes Wissen, dass man den Zwängen etwas entgegensetzen muss. Andernfalls fressen sie auf, gewinnen Schritt für Schritt immer mehr Macht. Und dabei sollte doch die Zeit der Schwangerschaft eine ganz besonders schöne Zeit sein. Entspannend und ruhig. Und kein Dauerstress oder sogar Dauerstreit.

Draußen war Sommer...

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