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Die Familie – Eine Vorstellung

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Meine Frau Katrin ist krank. Keine Grippe. Keine ständige Migräne. Es ist anders. Ich habe große Sorge davor, wie es mit uns weitergehen wird. Mit mir (32), mit unserem Sohn Niklas, mit unserem ungeborenen Kind und mit meiner nur sechs Monate älteren Ehefrau Katrin. Wie krank Katrin eigentlich ist, das kann ich nur schwer beurteilen. Auf jeden Fall so krank, dass die Krankheit unser ganzes Leben bestimmt. Auf eine schreckliche Art und Weise bestimmt. Bedrückend. Beängstigend. Und für Niklas sicherlich langfristig spürbar. Und wie wird das erst mit unserem Baby? In welch einen Wahnsinn wird unser Baby hineingeboren?

Katrin und ich kennen uns bereits unser halbes Leben. Unsere gemeinsame Geschichte begann, da war ich gerade 16 geworden und sie hatte ihren 17. Geburtstag gerade vor sich. Wir lernten uns in der Oberstufe kennen und machten dann auch fast gemeinsam Abitur – am Ende habe ich nur ein Jahr länger als sie gebraucht. Ich war einfach zu unordentlich, um all das Abiturwissen in der vorgegebenen Zeit in mich hinein zu pauken. Regeln und strenge Strukturen stießen mich eher ab. Katrin war damals eine von diesen Schülerinnen, die mit einem ständigen Lächeln durchs Leben gehen. Die sich in die gestellten Probleme in den unterschiedlichsten Fächern hineinwühlten, um sie zu lösen. Das war auch für ihr Studium symptomatisch und für ihre Arbeit für das Staatsexamen. Katrin hat kurz Medizin studiert und dann zum Lehramt gewechselt. Haupt- und Realschule. Als Lehrerin für Mathematik und Biologie hat sie sich in kürzester Zeit den Respekt ihrer Kolleginnen und Kollegen erarbeitet.

Sie war es, die Dinge wie aufwändige Zirkeltrainings (“Stationenlernen”) in den naturwissenschaftlichen Unterricht bei ihren oftmals sehr viel älteren Lehrer-Kollegen hineinbrachte. Und Katrin war in ihrer Klasse nicht nur einfach beliebt, sondern von dem größten Teil ihrer Schüler trotz ihres Status als „junge Lehrerin” tatsächlich regelrecht geachtet.

Auch die fachfremden Unterrichtsthemen hat sich Katrin mit großem Engagement drauf geschafft. Sie war in ihrer Schule sehr schnell ein gefragtes Mitglied im Kollegium und sehr gut vernetzt. Schließlich hatte sie einen großen und aktiven Freundeskreis, von dem ich als Dauerreisender sehr stark profitierte. Das alles hat sich jedoch in den letzten zwei Jahren stark verändert.

Dabei steckt das Lehren in ihrer Familie. Ihre Mutter Bettina war Lehrerin, ihre Tante ist Lehrerin. Auch die Wissenschaft steckt ihr im Blut. Schon ihr Vater Rainer hat in Biologie seinen Doktor gemacht. Ihr Onkel ist Jurist, so wie auch ihr Großvater. In unserer gemeinsamen Zeit in der Oberstufe waren ihr chemische Formeln nie fremd. Keine Deutsch-Interpretation – und sei es zum Thema der filmischen Umsetzung von Clockwork Orange – konnte Katrin aus der Fassung bringen. Kein Sportlehrer ihr den Spaß an der Bewegung nehmen. Wir waren während unserer gemeinsamen drei Jahre in der Oberstufe zu besten Freunden geworden, begleiteten dann unsere jeweiligen Beziehungen im Anschluss aus sicherer Entfernung und kamen erst knapp zur Jahrtausendwende „zusammen”. Eine gemeinsame Woche in meiner Bude in Süddeutschland wurde rund um die Sonnenfinsternis am 11. August 1999 zu unserem langgezogenen Schlüsselmoment. Wir wollten zusammen sein. Zusammen leben.

Wir teilten dann recht schnell Tisch und Bett mit der beidseitigen Gewissheit, dass unser gemeinsames Leben ein wahrer Glücksfall sein musste. Zu groß unsere Freude an schönen Kinoabenden zu zweit oder noch besser Kinoabende mit Freunden und anschließendem gemütlichem Ausklang bei uns zuhause. Zu groß die Freude am gemeinsamen Tanzen. Zu deutlich das jeweilige Gefühl, mit dem Gegenüber auch einen Partner für eine zukünftige Familie gefunden zu haben.

Zuerst wohnten Katrin und ich in einer kleinen Mietwohnung zusammen. Auch hier klappte es zwischen uns. Das Zusammenwohnen war kein Quell für eine Ernüchterung. Wir konnten unsere Gemeinsamkeiten und unsere Unterschiede gut unter einen Hut bringen.

Die gemeinsame Zeit in der nahegelegenen Tanzschule genossen wir und verbrachten viel Zeit mit Freunden aus unserer gemeinsamen Jugend, mit unseren jeweiligen Kollegen und unseren großen Ursprungsfamilien. Katrin hat noch zwei Geschwister, ich selbst sogar drei.

Wir konnten unsere unterschiedlichen Einstellungen in Bezug auf Ordnung und Sauberkeit akzeptieren. Ich achtete darauf, nach Ausflügen mit dem Mountainbike nicht zu viel Schlamm und Schmutz in die Wohnung zu tragen und sie hielt sich beim Meckern über meine ganz eigenen Auslegungen des Ordnungsprinzips zurück.

Unsere Hochzeit war im Hochsommer 2002. Im Herbst des nächsten Jahres zogen wir in ein für uns und vor allen Dingen von Katrin neu gebautes Reihen-Endhaus mit dem eigenen Garten. Katrin war während der Bauphase in den Nahkampf mit dem Bauträger gegangen. Hat all unsere Wünsche eingebracht und durchgefochten.

Ein Spielplatz direkt in Sichtweite war mit Ausschlaggebend für die Grundstücks- und Hausauswahl. Nur ein Feldweg zwischen dem Spielplatz und unserem 250 Quadratmeter großen Garten. Man könnte so schön einfach in diesen Garten. Dort, wo gerade Sommer ist. Aber dort hinaus? Heute viel zu kompliziert, um einfach so hinaus zu gehen. Viel zu gefährlich. Die Vögel!

Nach einer Fehlgeburt 2004 wurde im Februar 2005 unser Sohn Niklas geboren. Meike, die beste Freundin meiner Frau, war unsere Hebamme. Inzwischen erwarten wir unser zweites Kind. Wieder ein echtes Wunschkind. Wir sind im siebten Monat, doch leider längst nicht mehr im siebten Himmel. Es könnte alles so schön sein. Mit all unseren Freunden. Mit den Nachbarn. Unseren Familien. Aber es wird alles weiterhin anders sein. Das Kind wird in einen Albtraum hineingeboren. Wenn sich nichts ändert. Wenn kein Wunder geschieht. Denn das, was unser Leben nun seit mindestens vier Jahren bestimmt, das ist Angst. Die Angst meiner Frau.

Draußen war Sommer...

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