Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 11
Kapitel 3
ОглавлениеMorgan hatte sich noch nie mit der See anfreunden können. Das Wanken des Schiffes und die sich ewig erstreckende Weite des Meeres verursachten ein unwohles Gefühl in ihrer Magengegend. Zwar musste sie sich nicht übergeben, doch gänzlich gesund fühlte sie sich auch nicht.
Nachdem das Gespräch in der Kajüte ins Leere verlaufen war, hatten sich Jeriah, Rhea und Magus zurückgezogen. Montean hatte ihnen allen Kajüten zur Verfügung gestellt und der Prinz, nein, der König brauchte dringend etwas Schlaf. Seine Verletzung war zwar nicht länger lebensgefährlich, aber Rhea hatte ihn nicht gänzlich heilen können.
Erik war mehr oder weniger aus der Kajüte geflohen, um möglichst viel Abstand zwischen sich und seinen Vater zu bringen. Sie konnte es ihm nicht verübeln. Ebenso hoffte sie, dass er darüber hinwegsah, wenn sie ihn in seiner Einsamkeit störte.
Aus ihrer Kajüte hatte sie eine Decke stibitzt, mit der sie nun aufs Deck stieg. Da der Sturm an den Kräften der Mannschaft gezehrt hatte, war es mittlerweile ruhig. Nur die nötigsten Seemänner standen auf ihren Posten, alle anderen ruhten sich aus oder schaufelten etwas von dem Eintopf in sich hinein, der auch Morgan angeboten worden war. Sie konnte jedoch nur an Erik denken.
Er stand am Bug des Schiffes, die Unterarme auf der Reling aufgestützt, den Blick in die einschüchternde Ferne gerichtet. Der Wind fuhr durch sein kurzes Haar, das er sich in Idrela abgeschnitten haben musste. Durch den Bart und die Narbe auf seiner rechten Wange wirkte er wahrlich wie der Sohn eines Freibeuters. Nur die feine, wenn auch zerrissene und schmutzige Uniform passte nicht zu dem Bild des gewissenlosen Seefahrers.
Nachdem sie ihn erreicht und sich neben ihn gestellt hatte, betrachtete sie sein Profil noch einen Moment länger.
Erst als er sich ihr zuwandte, legte sie die Decke über seine Schultern. Es war so verdammt kalt hier und sie wusste nicht, wie sie es während des Schneesturms so lange ausgehalten hatten.
Erik nickte ihr dankbar zu, ehe er einen Arm ausstreckte und sie sich an ihn kuschelte, damit sie beide von der Decke und dem Körper des anderen gewärmt wurden. Sie nahm einen tiefen Atemzug und genoss den altbekannten Duft, der ihr in die Nase stieg. Seife und Tannenzweige.
»Ich halte es nicht mal aus, im selben Raum mit ihm zu sein«, raunte er heiser, als sie die Arme um seine Mitte schlang, um ihm Halt zu geben. Sie hatte durchweg seine aufgewühlten Gefühle gespürt und es hatte ihr fast körperliche Schmerzen bereitet, ihn dort drin nicht an sich zu ziehen; Montean nicht auseinanderzureißen, für den Schmerz, den er Erik zugefügt hatte und es noch immer tat. »Alle Erinnerungen steigen wieder auf. Die guten Momente, aber vor allem die schlechten. Tage, an denen ich glaubte zu verhungern. Nächte, in denen die Kälte mich sicherlich töten würde. Ich flehte ihn jedes Mal an, etwas zu tun, uns aus diesem Loch zu retten, und … tatsächlich gab es auch Stunden, in denen er mir versprach, sich zu bessern. Einmal …« Seine Stimme brach und er räusperte sich. »Einmal hat er es auch wirklich versucht. Es war das letzte Mal, dass ich seinen Lügen glaubte.«
»Was ist passiert?«
Lange Zeit antwortete er ihr nicht, legte nur seine Wange auf ihr Haupt und atmete tief ein und wieder aus. Sie hätte ihm ewig dabei zuhören können, während das Meer um sie herum rauschte und vom Schiff zerteilt wurde.
»Ich kam gerade vom Hafen Lohnams zurück, hatte ein paar Silberlinge verdient beim Schuhputzen und … es stand bereits Essen auf dem Tisch. Dampfendes Hühnchen, Möhren und Kartoffeln. Selbst ein Stück kostbare Schokolade, von der ich bis dahin nur gehört hatte.« Er seufzte tief. Sie wusste, wo diese Geschichte hinführen würde, dennoch konnte sie nicht umhin, sich ein anderes Ende zu wünschen. So fruchtlos dieses Verlangen auch war. »Ich dachte … Ich erinnere mich daran, beim Anblick das erste und einzige Mal erleichtert zu sein. Seit sehr langer Zeit musste ich mir einmal keine Gedanken darüber machen, wie ich an Essen kam. An diesem Tag zumindest würde ich nicht verhungern. Außerdem … ich dachte, er hätte endlich Arbeit gefunden. Damit hätte er sich das erste Mal an sein Versprechen gehalten, das er mir erst in der Nacht zuvor gegeben hatte. Ich war so leichtgläubig. Aß das Essen, das letztlich mein Verderben brachte.«
»Er hatte das Geld von Wucherern?«
Erik nickte. »Die eine Hälfte nutzte er, um das Essen zu kaufen, die andere setzte er beim Spielen von Pech und Krone ein. Sein Plan war es, mit dreimal so viel wieder nach Hause zu kommen. Seine Schulden zu begleichen und mit dem Rest weiterzuspielen, um uns reich zu machen. Unglücklicherweise kaufte er zu viele Weinflaschen und vergaß schließlich, wofür die restlichen Kronen bestimmt waren.« Morgans Hand grub sich in seine Jacke, als sie den Schmerz in seiner Stimme tief in sich selbst widergespiegelt fühlte. »Also kaufte er gleich noch mehr Wein. Schließlich kamen nach wenigen Wochen die Halsabschneider und bedrohten ihn, schlugen ihn und nachdem er auch nach Ablauf der Frist seine Schulden nicht begleichen konnte, da … nahmen sie stattdessen mich und verkauften mich an den Sklavenhändler, der mich schließlich an einen der Namenlosen Orte brachte. Dort traf ich auf dich.«
Morgan sah zu ihm hoch und fing das gezwungene Lächeln auf, das ihren Magen verknotete. Wie er es nach diesem Verrat geschafft hatte, zu diesem ehrenvollen und gutherzigen Mann zu werden, konnte sie sich nicht mal ansatzweise vorstellen.
Nur zu gut erinnerte sie sich an den verlorenen Jungen im Käfig, dem sie ihre Blüte und ihr Herz geschenkt hatte, ohne Letzteres auch nur zu erahnen. Trotz der Begegnung, die ihrer beider Leben verändert hatte, wünschte sie sich, er hätte niemals diese Erfahrung machen müssen.
»Dein Vater hat nicht versucht, dir zu helfen? Dich zu schützen?«
»Er versuchte es, schätze ich.« Er hob eine Schulter. »Aber er war kein ernst zu nehmender Gegner und letztlich kam seine Gegenwehr viel zu spät. Ich überlebte meinen ersten Herrn und Deron kaufte mich. Zunächst kamen Jeriah und ich nicht gut miteinander aus. Er hasste mich allein dafür, für was ich stand. Sein eigenes Versagen. Der fehlende Respekt seines Vaters. Doch dann … das habe ich dir noch nicht gesagt, veränderte eine Nacht alles.
Er verließ im Geheimen die Stadt und ich folgte ihm, wie es mir aufgetragen worden war. Er wollte nur Abstand von seiner Familie und den Erwartungen, die auf seinen Schultern lasteten, doch er wanderte zu weit und wurde von einer Handvoll Banditen eingekreist. Sie wussten nicht, wer er war, doch seine Kleidung war für sie Grund genug, die Gelegenheit beim Schopf zu packen.« Dieses Mal war das Lächeln ehrlicher, das seine Lippen zierte. »Natürlich half ich ihm und wir beide konnten einige gute Schläge und Tritte landen, aber letztlich war es nicht genug. Sie schlugen uns halb tot und ließen uns nackt und blutend im Schlamm zurück. Wie sich herausstellte, reichte das aus, um zwei sture Köpfe zusammenzubringen.
Seitdem waren wir unzertrennlich. Er hat sich während der kommenden Jahre so verändert, sich weiter von seinem Vater entfernt und ist dabei zu dem besten König geworden, der jemand sein kann. Es schmerzt mich, ihm nicht helfen zu können. Ich kann mir nicht mal selbst helfen und die Wut auf meinen … auf Montean in den Griff kriegen.«
Den Kopf schüttelnd drückte er sie enger an sich. Ein kalter Windstoß fuhr unter die Decke und ließ sie beide erzittern. Morgans Gesicht fühlte sich bereits wie vereist an und lange würde sie es nicht mehr an Deck aushalten, noch weigerte sie sich allerdings, das Gespräch mit Erik zu beenden. Nicht jetzt, da er so offen und ehrlich zu ihr war. Ohne Barrieren und ohne Vorbehalte oder Vorwürfe.
»Du hilfst ihm bereits, indem du an seiner Seite stehst«, widersprach sie vehement. »Doch du musst dich auch um dich selbst kümmern, Erik. Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie du dich gefühlt hast, als Montean plötzlich aufgetaucht ist. Und deine Halbschwester …«
Erik nahm seinen Arm von ihrer Schulter, hielt die Decke fest und drehte sich so, dass sie sich gegenüberstanden. Sie wollte ihren Blick abwenden, konnte die Intensität in seinen Augen kaum ertragen. Doch sie war es ihm schuldig, ebenso ehrlich zu sein.
»Kannst du nicht? Was ist mit Chelion?«
»Das ist was anderes. Vielleicht ist er mein Vater, vielleicht auch nicht. Das macht kaum einen Unterschied, denn ich wusste ohnehin nie, dass er existiert. Ja, ich bin enttäuscht, dass er mich genauso benutzen will wie Larkin, aber diese Tatsache zerstört mich nicht. Nicht wie bei …«
»Rhion«, beendete Erik ihren Satz, als sie es nicht konnte.
Von plötzlichen Gefühlen übermannt, leckte sie sich über die Lippen, versuchte das Zittern derer zu vertuschen und die Tränen zu unterdrücken. »Ich wünschte, ich hätte mich von ihm verabschieden können. Hätte ihn ein letztes Mal sehen können.«
Erik beugte sich vor und küsste ihre Stirn, legte seine freie Hand an ihre Wange. »Es tut mir leid, dass ich dir die Möglichkeit genommen habe.«
»Hast du nicht«, entgegnete sie. »Es war falsch von mir, deshalb wütend zu sein. Er war verletzt und hatte Schmerzen, du hast ihm dabei geholfen, es zu beenden. Davon bin ich überzeugt.«
»Trotzdem …«
»Ich weiß«, murmelte sie. »Wir müssen über so viel reden. Ich muss dir von meiner Zeit mit Cáel erzählen und allem danach … Außerdem …« Sie schluckte und senkte die Lider. »Wir haben uns auch noch nicht über die Möglichkeit unterhalten, dass ich schwanger sein könnte. Wir hätten sorgsamer sein müssen.«
»Was geschehen ist, ist geschehen. Wir werden alles Kommende meistern.« Sie wünschte, sie könnte seine Zuversicht teilen. »Und was alles andere angeht, würde es dir etwas ausmachen, damit zu warten? Nur für eine Weile? Ich würde gern noch einen Moment länger hier mit dir stehen und die Ruhe genießen. Dein Herz an meinem.«
Sie stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn. »Dein Herz an meinem.«
Seine Arme umfassten sie enger, wodurch sie ihre Wange auf seine Brust legen und seinem Herzschlag lauschen konnte. Das schwierige Gespräch für diesen friedvollen Moment zu unterbrechen, machte ihr nicht das Geringste aus.