Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 25
Kapitel 16
ОглавлениеJeriah wusste nicht, was er von Sultana Beatrice und ihrem Prinzgemahl Gilead halten sollte. Beide wirkten so frivol und harmlos, was natürlich auch nur ein Schauspiel sein konnte, das sie jedem potenziellen Verbündeten oder Feind vorspielten. Idrela war nicht grundlos das wohlhabendste Land Ayathens. Er musste vorsichtig vorgehen und gleichzeitig auf seine Mission konzentriert bleiben.
Sie wurden von dem ihnen zugewiesenen Diener durch das architektonische Wunderwerk geführt. Überall schimmerten strahlende Mosaikwände, bemalte Decken und glasierte Steine aus Lapislazuli. Es gab jedoch keine Teppiche, dafür war das Klima zu warm und feucht; die Fenster waren unterschiedlich geformt, mal rund, mal eckig, und Kuppeln wölbten sich über Korridore und Zimmer.
Nachdem jeder von ihnen sein Gemach beansprucht hatte, Morgan hatte sich geweigert, in einem anderen Raum als in Eriks zu schlafen, versammelten sie sich in Jeriahs Gemächern, die am größten von allen waren. Er besaß einen ganzen Salon mit unzähligen Sitzkissen, kleinen Tischen und flatternden Vorhängen, kunstvollen Statuen und grünen Pflanzen.
Ein Diener brachte ihnen eine Kanne Tee, ehe er sich verzog, um dafür zu sorgen, dass ihnen Speisen zubereitet wurden.
Jeriahs Gruppe nutzte die sich ihnen bietende Möglichkeit, um ihre Ankunft zu besprechen. Er musste allerdings zugeben, dass er ein klein wenig von der Tatsache abgelenkt wurde, dass die Sultana mit Rhion bekannt war und etwas besaß, was sie schon morgen der Knochenhexe geben würde.
Wo auch immer er hinging, Morgans Existenz drückte ihn nieder. Er hasste diesen Umstand mehr, als er sagen konnte.
Vielleicht war der Gedanke nicht gerecht, aber seine Nerven waren bereits überstrapaziert und die Sultana hatte nicht ganz falschgelegen – er war erschöpft von der Reise.
»Nun«, begann er, nachdem er sich und den anderen Tee eingegossen hatte. Magus hatte sich an der Tür postiert und nippte dort an einer Tasse. »Das war anders als erwartet. Ich hörte zwar bereits davon, dass die Sultana keine gewöhnliche Herrscherin sei, aber … das hier habe ich nicht kommen sehen.«
»Ich frage mich, was sie für dich aufbewahrt hat, Morgan«, fragte Rhea leise.
»Nicht nur du. Ich schätze …« Morgan runzelte die Stirn. Sie saß dicht neben Erik und er legte eine Hand auf ihr Knie, ohne dass sie sie abschüttelte. In den letzten Wochen waren sie sich wieder nähergekommen. Anders als er und Rhea.
Fast waren sie sich gegenseitig aus dem Weg gegangen und vielleicht war Jeriah auch deshalb so schlecht gelaunt.
»Es könnte sein, dass er mich herschicken wollte, nachdem er mich befreit hätte. Leider ist alles schiefgelaufen.«
»Richtig«, ging Jeriah schroff dazwischen. Genug von ihr. »Abgesehen davon weiß ich nicht, ob wir uns wirklich Unterstützung von ihr erhoffen können.«
»Nun, sie hat dich nicht festgenommen und in eine Zelle geschmissen«, gab Morgan bissig zurück, als hätte sie seine angespannte Stimmung bemerkt. Und tatsächlich warf sie ihm einen provozierenden Blick zu, als sie fortfuhr: »Dann hätte sie dich Aithan als Geschenk anbieten können. Das ist immerhin etwas.«
Er zwang sich zur Ruhe. »Etwas, ja, aber nicht genug. Gerade erscheint es mir so, als wollte sie ihr neuestes Haustier den Leuten präsentieren. Auf ihrem Bankett heute Abend.«
»Entspann dich.« Morgan drückte Eriks Hand. »Wir haben für den Moment einen Rückzugsort gefunden. Hier können wir uns neu gruppieren. Fernab der Freibeuterei.«
»Neu gruppieren, um was zu tun?« Dieses Mal konnte er sich nicht im Zaum halten. Seine Stimme kratzte rau in seinem Hals, als er sie anhob. »Ich habe das Gefühl, wir laufen im Kreis.«
Rhea, die ihm schräg gegenüber saß, beugte sich leicht vor und fing seinen verzweifelten Blick auf. »Was willst du, Jeriah?«
Er setzte zu einer Antwort an und hielt dann inne, als ihm die Worte fehlten. Was wollte er? Sein Schweigen zog sich in die Länge. Er bemerkte es selbst, aber niemand unterbrach ihn beim Nachdenken. Eine so einfache und doch so mächtige Frage, die er abzuschütteln nicht in der Lage war.
In nur wenigen Monaten hatte er seine ganze Familie verloren. Am meisten schmerzte ihn jedoch der Verlust seines Bruders Jathal und seiner Schwester Rhima. Für sie hatte er die Krone übernehmen wollen. Für sie hatte er ein Atheira erschaffen wollen, in dem Menschen unterschiedlicher Stände und unabhängig ob des Geschlechts gleiche Chancen aufs Leben erhielten.
Und nun saß er hier in einem fremden Königreich ohne Krone. Ohne Thron. Ohne Macht.
»Ich möchte mein Volk vor Aithan beschützen«, sagte er langsam. »Vielleicht ist er der rechtmäßige Erbe, aber damit noch lange nicht der richtige.«
»Wir sind auf deiner Seite«, versprach Rhea und lächelte zaghaft.
Ein Kribbeln breitete sich in seiner Magengegend aus. Wie konnte jemand nur so schön aussehen? So reinen Herzens sein?
Sie war die mächtigste Webhexe, die es je gegeben hatte, ohne sich einen Moment davon korrumpieren zu lassen.
»Und was sollen wir tun?« Dieses Mal sah ihn Morgan mit ehrlichem Interesse und … Respekt an. Er glaubte nicht, ihn bisher mit seinem Handeln verdient zu haben, dennoch wusste er ihn zu schätzen.
»Zuerst möchte ich das Bündnis mit der Sultana sichern, aber das kann nicht alles sein.« Er spürte, wie er allmählich zu seiner alten Selbstsicherheit zurückfand. Etwas, was er schon lange verloren geglaubt hatte. »Wir sollten den Schmied finden, der die Krone angefertigt hat, damit ich das Konklave mit den übrig gebliebenen Bluthexern einberufen kann, bevor sie allesamt hingerichtet werden.«
»Ich werde versuchen, mir Zugang zur Bibliothek zu verschaffen und mehr über das Ritual herauszufinden«, sagte Rhea.
»Und ich informiere mich über das, was mich erwarten könnte, sollte ich das Portal zur Insel der Schicksalsgöttinnen öffnen«, überlegte Morgan laut. »Der Reim ist nur ein Hinweis.«
»Du willst wirklich ihren Pfad kreuzen?« Jeriah runzelte die Stirn. Noch immer war er sich nicht sicher, was er von diesem Plan halten sollte. Sie hatten schon einmal versucht, mit Göttern zu verhandeln und als Dank waren lediglich Tod und Verderben über sie hereingebrochen.
»Noch habe ich mich nicht entschieden. Doch ist es nicht gut, verschiedene Möglichkeiten zu haben?« Wieder die erhobene Augenbraue.
»Richtig.« Er nickte, traute seiner Stimme nicht, nicht zu viel von seinen Gefühlen Morgan gegenüber preiszugeben. Das war etwas, was er lieber unter vier Augen mit Erik besprechen wollte. Gerade in diesem Moment sah ihn ebenjener an und sie verstanden sich ohne Worte. Noch immer war der Hauptmann Teil der Assassinen, doch seinen ersten Auftrag, Chelion zu töten, hatte er nicht beenden können. Sie wussten nicht, wie Neel auf den Misserfolg reagieren würde. Dennoch blieb ihr Plan bestehen – die Assassinen tiefer zu infiltrieren, um sich das Netzwerk zu eigen zu machen.
»Dann steht das bis hierhin fest«, schloss er und nahm einen letzten Schluck aus seiner filigranen Tasse. »Haltet eure Augen offen, während wir hier sind. Ich habe nicht vor, in einen weiteren Hinterhalt zu geraten.«
Nachdem sie das gebrachte Essen verspeist hatten, löste sich die Gruppe auf, um sich zu waschen und auf das Bankett vorzubereiten. Rhea war die Letzte, die den Salon verließ, und für einen kurzen Moment glaubte Jeriah, sie würde den Abstand zwischen ihnen endlich überbrücken und mit ihm reden. Stattdessen schüttelte sie den Kopf und zog die Tür hinter sich zu.
Er hatte keine Ahnung, was er noch tun sollte. Mehrmals hatte er ihr seine Liebe gestanden. Sie gebeten, ihn zu ehelichen. Doch geantwortet hatte sie ihm nicht.
Er konnte so nicht weitermachen und nahm sich vor, sie zur Rede zu stellen. Diese Schwebe, in der er sich dadurch befand, half ihm nicht dabei, konzentriert zu bleiben. Seine Gedanken schweiften zu oft zu ihr und mit ihnen folgte die Unsicherheit, die ihn zusehends lähmte. Dabei konnte er sich dies gerade jetzt nicht leisten. Es war vonnöten, der Sultana zu zeigen, dass er bereit war, alles zu tun, um Atheira zu retten.
Aber wäre er dazu fähig, sich allein auf die Krone zu fokussieren, wenn Rhea ihn abwies?
Oder wenn sie ihn heiratete?
Seine innere Stimme schwieg.