Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 17
Kapitel 9
ОглавлениеEinen Tag nach ihrer überstürzten Flucht aus Minst stockten sie in Siben innerhalb weniger Stunden ihre Vorräte auf. Morgan schlenderte allein über den Markt. Erik war gemeinsam mit Jeriah und Magus zur Waffenschmiede gegangen, um sich neu auszustatten. Rhea war Morgan auf den übersichtlichen Platz gefolgt, um sich nach wärmerer Kleidung umzusehen. Sie fuhren zwar in südliche Gefilde, doch es würde ein paar Tage dauern, bis es wärmer würde und bis dahin wollten sie nicht erfrieren.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Morgan die Webhexe, die sich gerade mit einer älteren Dame unterhielt und mit ihr zu verhandeln versuchte. Dabei ging es um einen gefütterten nachtblauen Umhang, den Rhea in den Händen hielt. Zufrieden damit, dass sie in dieser Stadt hoffentlich von keinem Ärger heimgesucht werden würden – Montean kümmerte sich um die Vorräte –, steuerte sie einen Stand mit verschiedenen Artefakten an. Das Eisen glänzte in der Sonne, die es endlich aus der dichten Wolkendecke geschafft hatte, und lockte die Wölfin in ihr.
Eine Wölfin, die zusehends von der Knochenhexe verdrängt wurde.
Auch wenn Morgans Vergangenheit eine Mischung aus falschen Erinnerungen und schwarzen Löchern war, hatte sie sich mit dem Gedanken abgefunden, noch immer und für immer eine Wölfin zu sein. Larkin hatte sie als solche erzogen und auch wenn sie ihn aus tiefstem Herzen hasste, verabscheute sie sich selbst nicht für das, was er ihr beigebracht hatte. Sie war eine Wölfin, eine Knochenhexe und noch so viel mehr, was sie zusammen mit Erik entdecken wollte, sollten sie diesen kalten Krieg überleben.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, erkundigte sich der Verkäufer und rieb seine Hände aneinander, die in fingerlosen Handschuhen steckten. Seine blauen Augen leuchteten auf, als sie eine glänzende Axt von den Fellen auf dem Tisch nahm.
»Ich brauche einen Satz Wurfmesser«, sagte sie, während sie sich das Axtblatt genauer ansah. Mit dem Finger fuhr sie die schmalen Linien, die ins Eisen gebrannt worden waren, nach, ehe sie die Schärfe testete, indem sie die Klinge ins Holz rammte. Ein Marktbesucher zuckte bei dem lauten Geräusch zusammen, als er gerade an ihr vorbeischritt. Er warf ihr einen zornigen Blick zu, ehe er sich eilig davonmachte.
Sie kaufte die Messer, zwei Beile und noch einen Ersatzdolch, den sie in ihren Stiefel steckte. Bevor sie sich Rhea anschloss, besorgte sie sich außerdem einen Beutel, in den sie ein paar Knochen legte, die sie dem Fleischer abgeschwatzt hatte. Argwöhnisch hatte er sie angesehen, konnte den angebotenen Silberlingen jedoch nicht widerstehen. Er säuberte und trocknete die Tierknochen, dann zerkleinerte er sie in mundgerechte Stücke. Nachdem sie das erledigt hatte, fand sie Rhea vor einem bunt bemalten Zelt, das sich an einen Wagen anschloss. Die rot-goldenen Muster fielen eindeutig aus dem tristen Grau des sonstigen Markts heraus und es war nicht schwer zu erraten, wer sich darin befand.
»Ein Wanderer?«, fragte Morgan trotzdem, da ihr keine bessere Einleitung für ein Gespräch mit der unnahbaren Webhexe einfiel. Diese nickte nur, sodass Morgan nichts anderes übrig blieb, als weiterzubohren. »Haben sie dich nicht hintergangen?«
»Nicht alle von ihnen. Nur ihre … geistige Führerin und ihr Gefolge«, erklärte sie leise, den Blick starr auf den zugezogenen Zelteingang gerichtet. »Wir könnten ihn oder sie nach Neuigkeiten befragen. Sie besitzen ein Netzwerk, das sehr schnell Informationen von einem Ort zum anderen tragen kann.«
»Was für ein Netzwerk?«
Rhea wandte sich ihr zu und tippte mit dem Zeigefinger auf ihre Wange. »Sie besitzen ein Tattoo im Gesicht, das mit der Macht von Webhexen gestärkt wurde. Nur wir können es sehen und mit dem Älterwerden wächst es und breitet sich aus. Es gewinnt an Stärke und dadurch sind sie fähig, über weite Strecken miteinander zu kommunizieren.«
Morgan war beeindruckt, blieb jedoch nicht blind gegenüber Rheas Zögern. Sie hätte nicht auf Morgan warten müssen; hätte längst ins Zelt gehen und die Informationen beschaffen können. Dass sie beides nicht getan hatte, war ein Hinweis darauf, dass sich Rhea doch nicht ganz so sicher war, dass nicht alle Wanderer sie verraten hatten. Außerdem mussten sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass die Ältesten der Wanderer sich auf Aithans Seite geschlagen hatten. War es also so schlau, sich einem von ihnen zu erkennen zu geben?
»Ich werde unsere Gestalten verschleiern«, sagte Rhea schließlich, als hätte sie Morgans Gedanken gelesen. »Das sollte genügen, uns vor Aithans Hexern zu verhüllen, sollte er uns suchen lassen.«
»Warum sollte er?« Morgan umfasste ihre Ellbogen. »Er hatte die Möglichkeit, Jeriah zu töten, und hat sie verstreichen lassen. Es ergibt keinen Sinn, dass er seine Schergen nun schickt, um uns aufzuhalten. Er glaubt wahrscheinlich nicht mal, dass wir überhaupt noch eine Chance haben.«
»So oder so, ich halte es für unklug, einfach so hereinzuspazieren«, gab Rhea zurück. Mit ein paar Handbewegungen rief sie ihre Magie, die Morgan wie ein Surren auf ihrer Haut spürte, auch wenn sie die Fäden nicht sehen konnte. Stattdessen bemerkte sie die Veränderung in Rheas Gesicht, das sich gerade so wandelte, dass Rhea nicht mehr Rhea war. Ihr Haar nahm außerdem einen dunklen Braunton an. Morgan schätzte, dass mit ihrem Gesicht das Gleiche geschah, und versuchte, sich nicht gegen die Vorstellung zu wehren und sich die unsichtbaren Fäden von ihrer Haut zu reiben.
Morgan duckte sich als Erste durch den Eingang und legte eine Hand auf Cáels Dolch, als sie von dämmrigem Licht und mit Düften gefüllter Luft eingehüllt wurde. Mehrere Kissen und Teppiche waren auf dem Boden ausgebreitet und eine kleine Feuerstelle spendete Wärme in der sterbenden Jahreszeit. Rauch zog durch ein behelfsmäßiges Loch in der Mitte des Zeltes ab, doch die Schwere der sich verbreitenden Aromen legte sich auf Morgans Lunge. Sie konnte kaum atmen, zögerte jedoch nicht einzutreten, damit Rhea ihr folgen konnte.
»Oh, hallo«, begrüßte sie die Wanderin. Sie saß auf einem der Kissen, die Beine unter ihrer ockerfarbenen Tunika gekreuzt. Von ihren Ohren baumelten goldene Ringe und das schwarze Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der über ihre Schulter nach vorne fiel. Auf ihrem Gesicht zeichneten sich feine Linien des Alters ab, dennoch wirkte sie durch das wache Glänzen in ihren braunen Augen jung und agil. »Wie kann ich euch behilflich …? Eine Webhexe?« Ebenjene Augen weiteten sich.
Rhea schritt an Morgan vorbei und setzte sich dann der Wanderin gegenüber. »Wie ist dein Name?«, fragte sie sanft.
Morgan beschloss, dass es besser wäre, der Webhexe die Führung zu überlassen. Für den Fall der Fälle blieb Morgan stehen, nahm einen Knochen aus ihrem Beutel, unauffällig, und hielt ihn in ihrer feuchten Hand. So kalt es außerhalb gewesen war, hier drin hatte sich die Luft aufgeheizt und trieb ihr den Schweiß auf die Stirn.
»Magatha«, antwortete die Wanderin leise. »Wollt ihr euer Schicksal erfahren?«
»Hallo, Magatha.« Morgan konnte Rheas Miene nicht lesen, aber sie glaubte, ein Lächeln in ihrer Stimme zu hören. »Unser Schicksal ist das unsere und wird sich entfalten, wie es vorausgesehen ist.« Sollte das eine Anspielung auf Morgans Plan sein, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen? »Wir sind hier, weil wir uns Neuigkeiten erhoffen. Was spielt sich in der Hauptstadt ab?«
»Ah.« Magatha beugte sich vor. »Und du weißt, dass wir Wanderer stets in Verbindung zueinander stehen, weil du eine Webhexe bist.«
»Du kennst die Antwort bereits«, speiste Rhea sie ab und gab sich damit abgeklärter, als Morgan ihr zugetraut hätte. Aber warum auch nicht? Rhea war ihr halbes Leben lang eingesperrt gewesen und dann, als sie die Freiheit gekostet hatte, wurde sie ihr aufs Brutalste erneut entzogen. Sie hatte um jeden Moment kämpfen müssen. Morgan bewunderte sie dafür. »Also?«
»Mein Gedächtnis ist nicht mehr das beste«, murmelte Magatha und ließ ihre Schultern sinken. Ihr Lächeln schwand und sie tauschte innere Stärke gegen tiefste Schwäche. Eine Schauspielerin, die wohl in einem Circus am besten aufgehoben gewesen wäre.
Morgan verdrehte die Augen, erwartete jedoch, dass Rhea der unausgesprochenen Herausforderung nachkam und ein paar Silberlinge auf den Teppich legte. Sie wurde enttäuscht. Stattdessen streckte Rhea eine Hand aus und formte sie zu einer Faust. Silbrige Fäden erschienen zwischen dieser und Magathas Hals. Die Wanderin keuchte. Ihre Hände legten sich unwillkürlich an ihre Kehle und sie versuchte, die Fäden zu zerreißen. Doch sie war keine Webhexe und so konnte sie bloß weiterhin nach Luft japsen.
Ihr Gesicht wurde zunächst rot und färbte sich schließlich blau. Ihre Augen sprangen beinahe aus ihren Höhlen.
Unsicher biss sich Morgan auf die Lippen. Wenn die Hexe es noch viel weiter trieb, wäre niemand mehr da, der ihnen ihre Fragen beantworten würde.
»Rhea«, zischte Morgan schließlich, auch wenn sie sich selbst dafür hasste. Sie wollte die Webhexe unterstützen und nicht in ihre Schranken weisen, aber noch konnte sie diese schlecht einschätzen. Wusste nicht, ob Rhea selbst ihre Grenzen kannte.
Die Webhexe öffnete ihre Faust und Magatha fiel vornüber. Sie stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab, während sie keuchend nach Luft rang. Ein leises Pfeifen begleitete ihre Atmung, als würde sich ihre Luftröhre erst wieder weiten müssen. Allmählich kehrte Farbe in ihre Wangen zurück.
»Sprich«, verlangte Rhea und Morgan hörte ein leises Zittern in ihrer Stimme, das zuvor nicht da gewesen war. Offensichtlich fühlte sie sich nicht mehr ganz in ihrem Element. Aus einem Instinkt heraus überbrückte Morgan den Abstand zwischen ihnen und berührte ihre Begleiterin sachte am Ärmel. Diese hob zwar nicht den Blick, nickte jedoch knapp.
»Aithan Zaheda hat Jeriah von seinem Thron gestoßen«, raunte Magatha heiser. Zorn funkelte in ihren Augen, als sie sich langsam aufrichtete, eine Hand noch immer an ihrer Kehle liegend. »Niemand weiß, wohin er sich verkrochen hat.«
»Was ist mit Aithan?«
»Er ruft alle Webhexer unter seinem Banner zusammen und auf Bluthexer hat er ein Kopfgeld ausgesetzt.« Magatha leckte sich über die rissigen Lippen. »Nicht nur auf Bluthexer, sondern auf jeden, der der Krone die Treue geschworen hat.«
Stirnrunzelnd legte Morgan die überraschende Nachricht in ihrem Verstand ab, bereit, sie herauszuholen und weiter darüber nachzudenken, wenn sie Jeriah und Erik trafen. Sie selbst konnte damit nicht allzu viel anfangen. Ihre Spekulationen fühlten sich allesamt nicht richtig an, als würde ihr ein Teil fehlen, um das Rätsel zu lösen.
»Noch etwas?«
Magatha schüttelte heftig den Kopf. »Er versucht, das Durcheinander in Yastia zu beseitigen und die alten Götter verlangen, dass sie von nun an wieder angebetet werden, doch dazu gibt es noch keine konkreten Erlasse. Ich weiß nicht, ob diejenigen, die den neuen Göttern weiterhin folgen, bestraft oder verbannt werden.«
Nichts, was sie überrascht hätte. Schließlich war ein Großteil von Aithans Sieg den alten Gottheiten zu verdanken. Wenn sich die neuen Gottheiten doch auf Jeriahs Seite geschlagen hätten, wenn auch nur, um ihre eigene Haut zu retten, anstatt sich von allen Kämpfen fernzuhalten, dann hätten sie ihnen sicherlich etwas entgegensetzen können. Mit Morgans Kenntnis von den Schwächen der alten Gottheiten wäre es ihnen gelungen. Daran glaubte sie fest.
»Danke.« Als Rhea eine Hand ausstreckte, zuckte Magatha zusammen. Rhea ließ sich jedoch nicht beirren und berührte mit den Fingerspitzen ihre Schläfe, hielt ein paar Sekunden inne und zog sich dann zurück.
Magatha blinzelte, sah sich verwirrt um, ehe sie ihren Blick erst auf Morgan, dann auf Rhea richtete. Ein breites Lächeln erschien auf ihren Lippen. »Oh, hallo, wie kann ich euch helfen?«
»Das nächste Mal vielleicht«, sagte Rhea mit sanfter Stimme und erhob sich. »Danke für deine Mühen.« Ein Silberling fiel aus ihrer Hand auf den Teppich, ehe sie sich Richtung Ausgang wandte. Morgan konnte nicht sagen, ob es sich dabei um ein Versehen handelte. Sie konnte ihrem Verhalten nicht ganz folgen und als sie das Zelt verlassen hatten, sprach sie Rhea darauf an.
»Ich habe das Gespräch aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Sie wird vermutlich eine Weile lang Kopfschmerzen haben und dafür habe ich ihr den Silberling gegeben«, erklärte sie und rieb die Hände aneinander. Ein kalter Wind war aufgezogen, während sie in der Wärme des Zeltes gestrandet waren, und hatte die Sonne hinter einem Berg aus Wolken versteckt.
»Aber warum hast du ihr den Silberling nicht gegeben, als sie danach gefragt hat?« Morgan berührte die Webhexe leicht am Arm und brachte sie dazu, stehen zu bleiben und sie anzusehen.
»Gier ist eine schlechte Eigenschaft.« Rhea schürzte die Lippen. »Vielleicht habe ich ein wenig überreagiert, aber für einen Moment … da hat sie mich an die Gärtnerin erinnert. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Hast du nicht«, versicherte ihr Morgan schnell, weil sie die Angst und den Schmerz hinter den leise vorgetragenen Worten spüren konnte. Aus einem Impuls heraus umarmte sie die Webhexe und wartete, bis diese die Umarmung erwiderte. »Ich weiß, wir kennen uns weder gut noch lange, aber das Schicksal hat uns zusammengeworfen und dafür bin ich dankbar.«
»Ich auch«, wisperte Rhea.
Etwas hatte sich unweigerlich zwischen ihnen verändert und Morgan fand, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit eine Veränderung guthieß. Ein Band der Freundschaft erstreckte sich nun zwischen ihnen und es reichte ein kurzer Blick, ein sanftes Lächeln, um einander zu verstehen.
Das Loch in ihrer Brust, das Cardea mit ihrem Verrat hinterlassen hatte, schloss sich dadurch zwar nicht, aber Rheas Lächeln und beeindruckende Stärke vermochten es, die schmerzenden und ausgefransten Ränder zu glätten. Cardea war nie ihretwegen mit Morgan befreundet gewesen. Hatte sie von einer Schicksalsgöttin als Auftrag erhalten, um sie vor Matha zu beschützen. Morgans Gefühle hatten ihr nie etwas bedeutet, weshalb sie auch nicht von ihrer Liebe, von Thomas hatte ablassen wollen, obwohl dieser Morgans Leben zur kalten Hölle gemacht hatte.
Nun war Thomas tot und Cardea … Morgan wusste es nicht.
Sie trafen Erik und Jeriah erst auf dem Schiff wieder. Zusammen mit Magus warteten sie am Bug und beobachteten Monteans Männer beim Einladen. Argwöhnisch bemerkte Morgan fast zwei Dutzend Fässer, die jeweils mit einem schwarzen Band markiert wurden. Sprengstoff.
»Ihr werdet mir später danken«, meinte Montean augenzwinkernd, als er Morgans Blick bemerkte. »Sowohl dafür als auch dafür.« Er deutete zunächst auf den Sprengstoff und dann auf die übrigen Weinfässer.
»Aus irgendeinem Grund bezweifle ich das ganz stark«, sagte sie bloß im Vorbeigehen und schloss mit Rhea zu den anderen auf, um ihnen ihre Neuigkeiten mitzuteilen.
Rhea stellte sich direkt neben Jeriah, berührte ihn allerdings nicht und wich seinem suchenden Blick aus. Der König war ihr vollkommen verfallen, aber etwas hielt sie zurück. War es das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug? Oder gab es einen anderen Grund, warum sie Jeriahs Antrag, den er ihr sicherlich gemacht hatte, noch nicht angenommen hatte?
Seufzend sah Morgan zu Erik.
Sie sollte sich lieber über ihre eigene Beziehung Gedanken machen. Mit Erik machte sie entweder drei Schritte vor oder einen zurück. Dennoch, um sich selbst etwas zu beweisen, legte sie einen Arm um seine Mitte, ließ sich nicht von seinem grimmigen Blick vertreiben.
Rhea weihte sie in die Neuigkeiten der Wanderin ein und Jeriah lieferte augenblicklich eine Erklärung.
»Sie wollen vor allem diejenigen finden, die der Krone offiziell die Treue geschworen haben. Nicht alle sind Blutpriester. Viele der Absolventen der Akademie leben übers ganze Land verteilt und üben verschiedene Berufe aus«, erläuterte ihnen Jeriah. »So lange, bis die Krone sie braucht und das Konklave einberuft.«
»Was genau bedeutet das?«, hakte Morgan stirnrunzelnd nach, da sie offenbar die Einzige war, die dieses Wort noch nie zuvor gehört hatte.
»Das Konklave kann nur vom König einberufen werden und jeder Bluthexer, der ihm die Treue schwor, erhält ein Zeichen, dass es Zeit wird, sich zu sammeln.« Jeriah schüttelte den Kopf. »Ich hatte dies als meine erste Amtshandlung vorgesehen, um einen weiteren Schutzwall um Yastia herum zu kreieren. Leider war Aithan zu früh. Oder ich zu spät.«
»Und jetzt kannst du sie nicht mehr rufen? Obwohl du gekrönt bist?« Jeriahs Worte ergaben durchaus Sinn, aber woher wusste Aithan davon?
Er nickte. »Das ist nur mit der Krone möglich und dem Hohe Priester.«
»Warum?«
»Nun …« Er wand sich unangenehm berührt, als hätte er selbst sich diese Frage noch nicht gestellt. »Die Krone ist auf eine ganz spezielle Weise geschmiedet. Hergestellt wurde sie in Idrelas Goldschmiede und der Dux Aliquis kennt als Einziger das Ritual.«
»Beides erscheint mir nicht als ein Hindernis, das nicht umgangen werden kann«, meinte Morgan ehrlich und sah zu Erik auf. »Was meinst du?«
»Ich bin deiner Meinung«, antwortete er und da ihr Ohr an seine Seite gepresst war, konnte sie das Raunen seiner Stimme durch seinen Körper gleiten hören. »Wir sind auf dem Weg nach Damari, also könnten wir der Goldschmiede genauso gut einen Besuch abstatten. Was jedoch das Ritual angeht …«
»Idrela ist die Wiege der Blutmagie«, sprach Rhea. »Die erste und größte Bibliothek existiert in Damari. Ich denke, wenn es Informationen zum Konklave gibt, dann dort.«
Jeriahs Mundwinkel zuckten. »Es hört sich fast nach einem anständigen Plan an. Er gefällt mir sogar besser, als auf Knien vor der Sultana rumzurutschen und um etwas zu betteln, was sie mir ohnehin verweigern wird.«
»Du wirst es dennoch tun?«, entgegnete Rhea fragend, bevor es Morgan tun konnte.
»Natürlich. Es gibt nichts, was ich nicht tun würde«, gab er augenblicklich zurück und sah Rhea dabei so eindringlich an, dass Morgan fast glaubte, er redete nicht länger von seinem Königreich. Nach einem Moment fügte er hinzu: »Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob dies wirklich die Erklärung für Aithans Dekret ist, aber es ist die einzige, die ich euch bieten kann.«
»Und sie ergibt Sinn.« Morgan kratzte sich am Kinn. »Insbesondere da er offensichtlich seine Meinung geändert hat. Vor ein paar Monaten noch, im Lager, da hatte er vorgehabt, in Yastia einen Ort des Friedens für alle Hexen und Hexer entstehen zu lassen. Etwas muss geschehen sein, was seine Pläne durcheinandergebracht hat.«
»Der Dux Aliquis«, knurrte Jeriah und ballte eine Faust. »Ich hatte zwar einen Waffenstillstand mit ihm vereinbart, aber es würde mich nicht wundern, wenn er die Seiten gewechselt hätte, noch bevor das Blut der Opfer getrocknet ist. Er muss ihm von dem Konklave erzählt haben.«
»Möglich. So oder so, je länger wir brauchen, um das Konklave einzuberufen, desto mehr Zeit hat er, die Bluthexer zu finden und im schlimmsten Fall zu töten«, fasste Morgan den Konflikt zusammen, in dem sie sich befanden.
»Aber wir haben einen Plan«, betonte Jeriah, den Blick dieses Mal aufs Meer gerichtet.
»Wir haben einen Plan«, wiederholte Erik wie ein Mantra.