Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 20
Kapitel 11
ОглавлениеMorgan erkannte sie sofort. Clidna, die dritte und jüngste Moire. Ihr Haar schimmerte grau und fiel in sanften Wellen bis zu ihren Hüften hinab. Sie trug ein ähnliches Kleid wie Morgan, ihres war jedoch in der Mitte mit einem Ledergürtel gerafft.
Obwohl sie graues Haar besaß, strahlte ihr Gesicht eine tiefer gehende Jugendlichkeit aus. Keine Falten waren auf ihrer olivfarbenen Haut zu sehen. Ihre Augen glänzten milchig weiß und Morgan konnte nicht sagen, ob sie blind war oder ob die Farbe für Schicksalsgöttinnen normal war.
»Wo sind wir?«, fragte sie, nachdem sich ihr Clidna bis auf wenige Schritte angenähert hatte.
»An einem Ort zwischen den Welten.« Die Schicksalsgöttin ahmte Morgans vorige Bewegung nach und ließ das Wasser durch ihre Finger rinnen. »Hier kann niemand verletzt werden, aber genauso wenig kann man hier existieren. Zeit ist unerheblich. Leben und Tod ebenso.«
»Ist es Criena?« Die Insel, auf der die Moiren das Schicksal woben.
»Vielleicht.« Ein kurzes Lächeln erschien auf ihren vollen Lippen, ehe sie sich aufrichtete und den Blick auf Morgan lenkte. Also konnte sie doch sehen? Es war seltsam, in dieses Weiß zu starren.
»Wie bin ich hergekommen? Gerade war ich noch …«
»Du warst dabei zu ertrinken«, beendete sie den Satz für die Wölfin, die unter den Worten erzitterte. »Immer tiefer sinkend in die Falten der Ewigkeit.«
»Was?« Stirnrunzelnd versuchte Morgan dem Gesagten zu folgen, aber einen Sinn konnte sie dem nicht entnehmen. Was ihre Gedanken jedoch beherrschte, war die Tatsache, dass die Göttinnen wirklich existierten und sie nicht nur ein Hirngespinst der Menschen waren, die mit den alten und neuen Göttern unzufrieden waren.
Nun, das oder sie halluzinierte.
»Ich verstehe nicht recht«, gab sie widerwillig zu, als Clidna nicht antwortete.
»Folge mir«, bat diese und hielt Morgan ihren Arm hin, damit sie sich bei ihr einhaken konnte. Man sollte meinen, dass Morgan durch die Zeit, die sie unter den alten Göttern verbracht hatte, ob der Macht abgestumpft wäre, doch dem war nicht so. Sie war fasziniert und ängstlich zugleich, insbesondere da sie im Hinterkopf den Plan hatte, eine der Schicksalsgöttinnen zu töten. Doch hier und jetzt nahm sie sich vor, dass es nicht Clidna sein würde. Die Moire, die ihr die Silbernen geschickt hatte, um sie vor den Schergen Mathas zu schützen.
Sie schritten um den Brunnen herum, ohne Ziel, nur um des Gehens willen, und Morgan merkte, wie sie sich ein klein wenig entspannte. Trotz der Angst zu ertrinken, während ihr Geist oder ihre Seele sich an diesem eigenartigen Ort befand. Clidna strahlte jedoch eine so tiefe Ruhe aus, dass Morgan sich nur zu gern davon anstecken ließ.
»Die Gelegenheit, dich zu mir zu holen, war zu gut, um sie verstreichen zu lassen«, sagte die weise Gottheit schließlich. »Wasser ist dafür der perfekte Kanal. Natürlich habe ich nicht vorhergesehen, dass du dich in Lebensgefahr begibst, aber ich habe im Gefühl, dass du dich an die Oberfläche kämpfst, sobald du zurückkehrst. Das nächste Mal reicht es, wenn du in ein Becken wie dieses hier tauchst.«
»Das nächste Mal? Du hast vor, mich noch einmal herzubringen?« Morgan hatte nicht mal verstanden, was sie jetzt hier tat und nun sollte sie sich bereits damit anfreunden, öfter herzukommen?
»Vielleicht«, wich sie aus und drückte Morgans Unterarm mit ihrer freien Hand. »Ich holte dich nun, weil es der Ernst der Lage verlangte.«
»Ernst der Lage? Warum?« Morgan runzelte die Stirn. »Mathas Silberne sind in Yastia. Was dich angeht … Es tut mir leid, was mit dem Hutmacher geschehen ist. Aber Cardea hat überlebt, soweit ich weiß, und ich schätze, Madam Elvira ebenso. Ihre Leiche habe ich nicht gesehen.«
Clidna winkte ab. »Der Hutmacher lebt. Er muss bloß seine Kräfte sammeln, bevor er zurückkehren kann.«
»Aber ich habe ihn gesehen«, stotterte Morgan, als sie wie erstarrt stehen geblieben war. Ihr Herz war jedoch alles andere als still. Es pochte in doppelter Geschwindigkeit in seinem Rippenkäfig, als wollte es ausbrechen, um den Hutmacher selbst zu suchen. »Ich sah seinen Kopf und …« Die grässlichen Bilder von damals prasselten auf sie ein. Der Moment, da sie seinen leblosen Körper fand und geglaubt hatte, sowohl ihn als auch Cardea verloren zu haben. Allein Cardea war der Grund, warum sie nicht den Verstand verloren hatte. Es war wichtiger gewesen, Hilfe zu holen. Und Hilfe war gekommen – in Form von Rhea und Erik.
Clidna löste ihren Arm von Morgans und stellte sich vor die Wölfin, die Hände auf ihre Schultern gelegt. »Hör zu, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich weiß, dass du Grainnes Silbernen begegnet bist.« Morgan nickte, nicht ganz bei der Sache. Der Hutmacher lebte? »Grainne war schon immer besonders. Anders. Also war mir nicht in den Sinn gekommen … Ich hätte es kommen sehen sollen, aber das tat ich nicht.«
»Wovon sprichst du?«
Clidnas weiße Augen bohrten sich in Morgans, als würde sie versuchen, die folgenden Worte in ihre Seele einzubrennen. »Matha hat ihre Strategie geändert. Sie rief ihr Trio zurück, nachdem du und Chelion es vertrieben habt. Ich nahm an, sie würde aufgeben. Das Schicksal Schicksal sein lassen, selbst für uns, doch das tat sie nicht.« Clidna umfasste Morgans Gesicht. »Stattdessen erschuf sie etwas Neues. Sie zog die Magie der drei zusammen und kreierte einen.«
»Einen … was?« Morgans Gedanken wirbelten umher und sie war außerstande, auch nur einen von ihnen zu greifen.
»Einen Silbernen, wie Grainne ihn hat.« Clidna atmete aus und ließ Morgan endlich los. Ein paar Strähnen fielen Morgan ins Gesicht und hüllten sie für einen Augenblick ein. Stille legte sich über sie.
»Was genau bedeutet das?« Eine weitere Frage, deren Antwortmöglichkeiten endlos waren. Und ihr Herz wusste das, pochte noch schneller, noch hektischer. »Wenn du mich fragst, ist ein Silberner besser als drei.«
»Nicht, wenn sich die Magie des einen dadurch um eine Unbekannte vervielfacht«, widersprach Clidna traurig. Sie strich Morgan dann eine Strähne hinters Ohr. Morgan wusste, was nun käme. Vielleicht kannte sie nicht den genauen Wortlaut; vermutlich nicht einmal den Inhalt. Doch sie wusste, dass sie nur Schmerz begrüßen würde am Ende der Sekunden. »Nicht, wenn er das Gesicht einer deiner Bekannten trägt.«
»Was?«
»Mir wurde ein kurzer Blick auf das Schicksal gewährt und ich …« Clidna klang verzweifelt. »Ich kann dir nicht sagen, wer es ist, aber vertraue niemandem! Wenn ihr Silberner, ob Mann oder Frau, nahe genug an dich herankommt, wird er zuschlagen. Sei vorsichtig.«
»Du musst mir sagen, wer es ist!«, verlangte Morgan, konnte sich gerade noch zurückhalten, die Göttin zu schütteln. »Kennt er die Gedanken der Person? Und was ist mit der Person, deren Stelle er eingenommen hat? Ist sie … Ist sie tot?« Das letzte Wort war nicht mehr als ein Hauch.
»Verzeih mir, kleine Wölfin.« Clidnas Miene war so voller Traurigkeit, dass Morgan beinahe den Kampf gegen die aufsteigenden Tränen verlor. »Ich habe bereits zu viel gesagt.«
Morgan atmete tief durch den Mund ein und durch die Nase aus. Was hatte sie auch geglaubt? Dass ein einziges Mal etwas nach Plan verliefe? Dass ein einziges Mal die Gefahr gebannt wäre?
»Warum?«, wisperte sie. »Warum hilfst du mir überhaupt, wenn du es eigentlich gar nicht darfst?«
»Vor langer Zeit schworen wir einander, niemals zu töten. Immer zu wachen. Stets zu schweigen und jedes Schicksal zu ehren.« Clidna seufzte. »Matha ist von unserem Pfad abgekommen. Ich versuche, sie zu retten, bevor es zu spät ist.«
»Indem du verhinderst, dass sie auch den letzten Eid bricht, weil sie mich tötet?« Die Göttin nickte. »Kannst du mir nicht zumindest einen kleinen Hinweis geben? Ist er auf dem Schiff? In Yastia? Es könnte jeder sein!« Sie hätte doch gemerkt, wenn Erik nicht Erik wäre. Außerdem war sie bereits öfter mit ihm allein gewesen und der Silberne hätte dadurch unzählige Möglichkeiten gehabt, sich ihrer zu entledigen. Nein. Sie konnte Erik ausschließen.
»Halt die Augen offen«, beschwor Clidna sie. »Hör genau hin und du wirst schon sehen. Bis dahin … versuche nicht, nach Criena zu kommen, kleine Wölfin. Ich weiß, dass du einen Weg zu uns gefunden hast, aber es wird dir nur so viel Schmerz bringen und Matha verzweifelter machen. Ich fürchte, sie liebt das Leben zu sehr.«
»Bitte …«, flehte Morgan, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, um was.
»Du musst nun gehen«, sagte Clidna streng. »Wenn du Hilfe brauchst, tauche unter Wasser. Bis zum nächsten Mal, Knochenhexe.«
Morgan schloss die Augen und im nächsten Moment fand sie sich im Meer wieder, um ihr Leben kämpfend. Dieses Mal befand sich jedoch noch kein Wasser in der Lunge und sie sah ein verräterisches Glitzern, das ihr bei der Orientierung half. Offensichtlich hatte ihr Clidna einen klitzekleinen Vorteil verschafft. Ihr ganzer Körper schmerzte dennoch und sie war kaum dazu imstande, mit ihrem linken Bein zu schwimmen. Mit letzter Kraft erreichte sie die Oberfläche.
Sie sog die Luft in ihre Lunge und ruderte mit den Armen, um sich oben zu halten. Das Schiff war gar nicht so weit entfernt und wirkte ganz schön mitgenommen. Die Schlangen hatten sich offenbar verzogen, wie Montean es vorausgesehen hatte, und mit ihnen hatte auch der Sturm nachgelassen.
»Morgan!«, rief Erik, der plötzlich neben ihr auftauchte. Er schwamm an ihre Seite, zog sie an sich. »Halt dich an mir fest.« Das brauchte er gar nicht zu sagen. Sie hatte nicht vor, ihn jemals wieder loszulassen.
Mit der Hilfe von Rheas Magie wurden sie wie Seerosen aus dem Wasser gepflückt und zurück aufs Schiff gehoben, was ein seltsam flatterndes Gefühl in ihrem Bauch auslöste.
Auf dem Deck herrschte ansteckende Hektik, um das Schiff vor dem Sinken zu bewahren, deshalb beachtete sie niemand, als sie auf den rutschigen Planken landeten. Mit Eriks Hilfe setzte sie sich vor ein paar Kisten und lehnte sich mit dem Kopf daran. Ihr Bein schmerzte und sie traute sich kaum, es anzusehen.
»Wie viele Verluste?«, murmelte sie. Die Lider hielt sie geschlossen, wusste aber, dass Erik, Rhea, Jeriah und Magus einen Kreis um sie bildeten. Sie waren ihre Freunde.
Und dann durchschoss es sie wie ein Blitz.
Der Traum.
Die Insel.
Clidna.
Sie riss die Augen auf, hörte statt Jeriahs Antwort nur das Rauschen in ihren Ohren, als sie ihre Freunde nacheinander ansah. War es einer von ihnen? Mathas Silberner? Erik, der klitschnass über sie wachte, die vollen Lippen zu einer grimmigen Linie gezogen? Rhea, die neben Morgan kniete, um sich wie selbstverständlich ihre Verletzung näher zu besehen? Jeriah, der König ohne Thron? Oder der unscheinbare Magus, der seinem Herrn wie ein Schatten folgte?
Angst, wie sie Morgan nie zuvor gekannt hatte, nistete sich wie eine Spinne in ihrem Herzen ein und sie konnte sie beinahe dabei beobachten, wie sie stetig ihr Netz wob.