Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 12

Kapitel 4

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Jeriah hatte alles verloren.

Seine Familie.

Seine Krone.

Sein Zuhause.

Nun saß er in einer engen Kajüte auf der ihm zugeteilten Pritsche, ein Segeltuch um seine Beine geschlungen, während er das Gesicht in seinen Händen vergrub. Hinter ihm quietschten die Haken im Holz, an denen mehrere Körbe, gefüllt mit allerlei Stoffen und Kleidern, hingen. Es roch nach Holz und Leim. Die Dunkelheit wurde von einem einzelnen Hexenlicht erhellt und neben ihm verhöhnte ihn die zweite Pritsche, auf der niemand lag. Weder Rhea noch sein bester Freund. Nur Magus’ Atmung konnte er über das Quietschen und das Raunen des Schiffes vernehmen, da er sich vor der geschlossenen Tür positioniert hatte, um die einzige Aufgabe zu erfüllen, die ihm noch geblieben war: seinen König zu beschützen.

Ein König ohne Königreich.

Wie erbärmlich.

Er verzog das Gesicht, als das Pochen seiner Wunde schlimmer wurde. Trotz Rheas Heilung spürte er das Echo der Verletzung, als würde der Pfeil noch immer in ihm stecken. Seine eigene Mutter hatte nicht gezögert, ihn zu ermorden. Hatte sich von der Tatsache überzeugen lassen, dass er zwar aus ihrem Körper geboren worden, im Herzen jedoch das Kind der Göttin des Triumphes war. An levengrond hatte sie die Königin als Gefäß erhalten und daraufhin eine Nacht mit Deron Cerva verbracht. Jeriah war das Ergebnis dieser Zusammenkunft. Vielleicht lag darin auch Derons Verachtung gegenüber seinem Sohn begründet. Weil er aus einer Schwäche heraus entstanden war?

Fragen würde er ihn nicht mehr können, lag sein Vater doch irgendwo in den Untiefen des Gespiegelten Meeres.

Wahrscheinlich könnte er versuchen, mit seiner eigenen Magie den verbliebenen Schmerz zu tilgen, aber etwas hielt ihn zurück. Möglicherweise verdiente er sie. Die Qual. Dafür, dass er weder seine Familie noch sein Reich hatte beschützen können.

Seufzend ließ er sich allmählich zurücksinken, atmete tief ein und wieder aus. Er durfte sich nicht in Selbstmitleid verlieren, musste sich das in Erinnerung rufen, was gut war. Rhea lebte und war genau wie Erik an seiner Seite. Ihrem Kind ging es gut, doch … Er schloss die Augen, als andere Erinnerungen über ihn hereinbrachen. Jathal, sein kleiner Bruder, der erst Königin Phaedra tötete, um dann sich selbst das Leben zu nehmen, weil er mit der Schuld nicht hätte leben können. Rhima, die Morgans Aussage nach das Ende durch einen von Aithans Männern gefunden hatte. General Roan, der ihm hatte helfen wollen, all die tapferen Männer seiner Leibwache und sicherlich auch ein Großteil der Adelsfamilien, die ihn in den letzten Wochen zwar herausgefordert, aber ihn in seinem Vorhaben, sie vor Aithan zu verteidigen, ebenso unterstützt hatten. Sie alle hatten ihm vertraut und dieses Vertrauen hatte sie das Leben gekostet.

All dies war seine Schuld.

Er hatte Aithan unterschätzt, hatte ihm mit seinem voreiligen Rückzug von der Grenze Eflains die perfekte Gelegenheit gegeben, einen Schlag sondersgleichen auszuführen. Im Gegensatz zu Jeriah war es ihm gelungen, die alten Gottheiten für sich arbeiten zu lassen.

Wenn die neuen Götter nur nicht so stur gewesen wären. Wenn sie nur nicht so darauf beharrt hätten, lediglich verehrt zu werden, anstatt ihren Teil zu leisten.

Natürlich hatte es auch Ausnahmen unter ihnen gegeben, aber selbst das hatte die Waagschalen nicht wieder ins Gleichgewicht gebracht.

Als es darauf angekommen war, hatten sie nicht einen Finger gerührt. Nur zu gut sah er sie auf ihrem Podest vor sich, den guten Vinuthwein trinkend, während Jeriahs Leute entweder von den Heilerinnen getötet oder von Aithans Verbrechern abgeschlachtet worden waren.

Doch der größte Fehler war tatsächlich der gewesen, in die Hauptstadt zurückzukehren.

Er hätte Aithan weiter beschäftigen müssen, ihn von Yastia fernhalten sollen. Allein Mathis’ Aussage hatte ihn dazu bewogen, seine Zelte abzubrechen. Und Jeriah wäre der Erste gewesen, der den Vetter des vergessenen Prinzen eines falschen Spiels bezichtigt hätte, wenn Rhea seine Worte nicht als wahr bestätigt hätte. Also war dieser ebenso getäuscht worden. Hatte Aithans Pläne für bare Münze genommen, wie dieser es vorgesehen hatte.

Jeriah traute ihm zu, seinen Vetter absichtlich gedemütigt zu haben, damit dieser so voller Hass war, um ihm auf dem einzigen Weg zu schaden, den er in seiner Wut sehen konnte – zu Jeriah überzulaufen. Nicht wissend, dass Aithan es genau darauf angelegt hatte.

Der vergessene Prinz hatte sie alle reingelegt.

Was also hätte Jeriah anders machen sollen? Vielleicht wenn sein Plan, den er mit Erik geschmiedet hatte, früher Früchte getragen hätte und er Neels Assassinen als seine Spione hätte einsetzen können, dann hätte er sein Volk beschützen können. Zu spät … Es war alles zu spät.

Er fragte sich, wie seine Untertanen auf den erneuten Königs­wechsel reagieren würden. Würden sie sich gegen ihn erheben? Würden sie gegen die Behandlung der alten Götter rebellieren? Gegen die Zerstörung, die Jeriah nur aus der Ferne hatte sehen können? Wohl kaum. So wie er Aithan einschätzte, hatte er bereits einen Plan in Gang gesetzt, der ihm die Treue der tapferen Leute sicherte. Er würde ihnen sicherlich die Säulenstadt versprechen, wenn sie ihm nur gehorchten.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Stirnrunzelnd setzte er sich erneut auf, lehnte mit dem Rücken gegen die geschmirgelte Wand hinter ihm.

»Darf ich reinkommen?« Er hätte nicht sagen können, wen er erwartet hätte. Vielleicht Rhea oder Erik, doch ganz sicher nicht Morgan Vespasian.

Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit, bevor er eine Antwort formen konnte, und schob ihren Kopf hindurch. Ein Lächeln zupfte an ihrem Mund, als sie sich selbst hereinließ und die Tür schloss.

»Überrascht, huh?«

»Sozusagen«, gab er zu. »Was willst du?«

Sie befanden sich momentan nicht gerade auf einer freundschaftlichen Ebene. Er hatte ihr die Hand entgegengestreckt, die sie nicht hatte annehmen wollen. Stattdessen hatte sie gegen ihn gearbeitet, ganz gleich, welche Ausrede sie nun dafür verwendete.

Mit bedachten Bewegungen durchquerte sie die kleine Kajüte und setzte sich dann nach kurzem Zögern ihm gegenüber auf das freie Bett. Ihre Haut schimmerte golden im Schein des Hexenlichts, offenbarte aber helle und dunkle Stellen auf ihrem Gesicht und ihren Armen, Blessuren des vorangegangenen Kampfes. Nur grob hatte Rhea ihn in den Hinterhalt eingeweiht, in dem sie sich am Hafen wiedergefunden hatten. Wahrscheinlich stammte ein Großteil von Morgans Verletzungen daher.

»Vor vielen Jahren hat mich Larkin inmitten der kalten Jahreszeit allein auf Adrela zurückgelassen«, begann sie ohne Vorlauf, ohne Erklärung oder Entschuldigung. Er konnte nicht umhin, ihr zuzuhören, obwohl er sie am liebsten schütteln würde. Ihre Worte waren ruhig, klangvoll, aber vor allem einnehmend. »Kurz vorher hatten wir dem Roten Herzog einen Besuch abgestattet. Einer seiner unzähligen Freunde. Alles verlief nach Plan. So dachte ich zumindest. Du musst wissen, dass wir die Reise, ein paar Monate nachdem ich erneut versucht hatte zu fliehen, unternahmen. Natürlich hatte er mich gefunden, mich bestraft und verletzt. Ich glaubte, das wäre das Ende gewesen. Wir würden einfach weitermachen wie zuvor.

Wie falsch ich damit lag, wurde mir dort auf Adrela bewusst. Er legte mich rein, als würde es ihm den größten Spaß bereiten, mich an der Nase herumzuführen. Also fand ich mich allein in Maldred wieder. Ohne Geld. Ohne Kleider oder Freunde. Die ersten Nächte verbrachte ich voller Verzweiflung auf der Straße, glaubte zu erfrieren, und so erlaubte ich mir nicht einzuschlafen. Ich wollte zurück in die Burg, aber man ließ mich ohne Larkin nicht ein. Niemand kümmerte sich um mich. Niemand wollte ein weiteres Maul füttern.

Irgendwann zahlte sich meine Hartnäckigkeit jedoch aus und ich fand Arbeit bei einem Barbier, der allerdings kein Barbier war, sondern ein eiskalter Mörder. Ich half ihm beim Beseitigen der Leichen und er gab mir dafür ein Dach über dem Kopf. Durch einen Zufall konnte ich einen Anschlag auf das Leben des Roten Herzogs vereiteln und ich tötete seine zweitälteste Tochter. Glücklicherweise gab es genügend Beweise für ihren Verrat, sonst hätte er mich dafür vermutlich brennen lassen …« Sie schmunzelte. »Schließlich stellte er mir jedoch ein Schiff zur Verfügung und ich fand meinen Weg zurück nach Yastia. Zu Larkin.«

»Warum erzählst du mir diese wenig beeindruckende Gutenachtgeschichte?« Den Trotz konnte er nicht ganz aus seiner Stimme halten.

Morgan beugte sich zu ihm vor, sah ihn durchdringend mit ihren hellgrünen Augen an.

»Das hier ist dein Test, Jeriah«, beschwor sie ihn. »Du hast alles verloren, so wie ich damals. Jetzt bietet sich dir jedoch die Möglichkeit, allen zu zeigen, wer du bist. Aus welchem Holz du geschnitzt bist. Du kannst über dich hinauswachsen.

Dir ist es nicht gelungen, die Macht zu halten, und nun musst du beweisen, dass du nicht nur aus deinem Fehler gelernt hast, du musst dir die Macht erst einmal wieder verdienen. Sie zurückgewinnen. Das nächste Mal wird dich dieser Fehler sonst das Leben kosten. Aithan tötete dich nicht, weil er aus dir keinen Märtyrer machen wollte. Er wollte dich und deine Familie erniedrigen. Dich das fühlen lassen, was er all die Jahre in Brimstone am Rande der Gesellschaft gefühlt hatte.«

»Nun, es ist ihm gelungen, oder nicht?«, spottete Jeriah, den ihre Worte jedoch nicht völlig kaltließen. Er spürte ein Feuer in sich, von dem er geglaubt hatte, es wäre für immer erloschen.

»Wirklich?«, entgegnete sie provokant und hob beide Augenbrauen. »Gibt es wirklich nichts mehr, mit dem es sich kämpfen lässt? Denn wir sind auf deiner Seite, Jeriah. Erik, Magus, Rhea und ich sind hier für dich.«

»Selbst du? Warum?«

»Ich sagte es dir bereits, ich war vielleicht nicht ehrlich, aber ich habe deine Seite nicht verlassen. Nicht wirklich jedenfalls.« Als sie ihren Kopf schüttelte, fiel der Zopf nach vorn und er konnte das Lederband erkennen, an dem, wie er wusste, die Manschettenknöpfe hingen, die sie ihm einst gestohlen hatte. Langsam erhob sie sich. »Wenn du damit fertig bist, dich im Selbstmitleid zu suhlen, werde ich dir die Schwächen der alten Götter offenbaren.«

Ein paar Sekunden noch sah sie ihn an, dann verließ sie die Kajüte.

Er hatte ihr nichts zu sagen. Wusste nicht, ob er ihr vertraute. Ob er überhaupt noch jemandem vertraute. Nein, das war nicht gerecht. Rhea und Erik hatten ihm nie einen Grund gegeben, an ihnen zu zweifeln. Ebenso wie Magus. Zumindest auf die drei konnte er sich verlassen und sosehr es ihn auch schmerzte, Morgan hatte recht. Er war nicht allein.

Er wollte ihr wehtun, sie leiden lassen für den Schmerz, den sie ihm und vor allem Erik zugefügt hatte. Warum war es also gerade diese stolze, starke Frau, die die geeigneten Worte gefunden hatte, um ihm zunächst wehzutun und ihn dann aufzubauen?

Konnte es wirklich so einfach sein?

Er starrte gen Decke. Sie glaubte an ihn. Glaubte an eine Zukunft für ihn auf dem Thron Atheiras und obwohl er sie bestrafen wollte, wollte er ihr gleichzeitig danken.

Letztlich entschied er sich also, weder das eine noch das andere zu tun. Und sein Herz fühlte sich ein ganz klein wenig leichter an.

Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen

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