Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 16
Kapitel 8
ОглавлениеAithan war nie jemand gewesen, der Gefallen an Tod und Zerstörung gefunden hatte, aber in dieser Stunde konnte er nur das Gute darin sehen. Endlich und endgültig saß er auf dem Thron Atheiras und hatte das Erbe seines Vaters angetreten.
Olivia stand in einem dunkelbraunen Brokatkleid an seiner Seite und beobachtete zusammen mit ihm das Geschehen, das sich vor ihnen entfaltete.
Götter kämpften gegen Götter und kreierten einen Berg aus menschlichen Leichen.
Früher oder später würde er dem Einhalt gebieten, um vor allem den Palast vor der Vernichtung zu bewahren, doch noch ließ er den alten Göttern ihre Rache. Lange genug hatten sie auf den Moment warten müssen, in dem sie die Kindsgötter für den Hinterhalt bezahlen lassen konnten. Über tausend Jahre waren den alten Göttern genommen worden und wie Aithan würden sie keine Gnade walten lassen.
»Mein König.« Ein Webhexer riss ihn aus seinen Gedanken. Er gehörte zu den jüngeren aus seiner Einheit und kniete vor Aithan nieder. Vorsichtig streckte er ihm die blutige Krone entgegen, die Jeriah vom Kopf gefallen war.
Olivia trat ungefragt vor und nahm die Krone aus den Händen des jungen Mannes, um sich mit ihr vor Aithan zu stellen. Zärtlich lächelnd platzierte sie die goldene Krone auf seinem Haupt. Er spürte das Gewicht wie eine Segnung über seine Regentschaft und eines widerspiegelnden Lächelns konnte er sich nicht erwehren. Für den Augenblick würde diese Krone reichen, doch schon bald würde sich eine neue, weitaus angemessenere an seine Stirn schmiegen.
Nachdem Olivia sich zurückbegeben hatte, erhob er sich und nickte dem jungen Webhexer zu, der auf seinen Befehl gewartet hatte. Augenblicklich klatschte dieser in die Hände, machte die anderen Webhexer auf sich aufmerksam und in Sekundenbruchteilen erstreckte sich ein Netz aus Fäden im Thronsaal. Ein Kindsgott, Aithan konnte nicht sagen, welcher es war, lag auf dem Boden und Garvan beendete sein armseliges Leben auf Erden, indem er seine Hand auf dessen Brustkorb presste und ihn zerquetschte. Anschließend wandte er sich seelenruhig zusammen mit den anderen alten Gottheiten Aithan und dem Thron zu.
Aithan wusste nicht, wie viele Kindsgötter überlebt hatten, aber er würde es wohl früher oder später herausfinden. Im Moment musste er sich allerdings um seine eigene Rache kümmern.
»Meine Webhexer«, sagte er leise, wurde aber von jedem im zerstörten, blutigen Saal gehört. Schnee rieselte von den offenen Fenstern herein und legte sich auf die erstarrten Körper. »Kümmert euch um den Dux Aliquis und alle Überlebende. Lasst sie sich im Kerker einrichten und achtet darauf, dass sie ihre Magie nicht benutzen können.«
Der Dux Aliquis hatte sich hinter einer Säule zusammengekauert, wie der Feigling, der er im Herzen war, doch Aithan hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Nun wurde er wie die anderen Bluthexer von Fäden eingespannt und dazu gezwungen, den Dutzend Webhexern zu folgen. Zwei von ihnen blieben zurück, um Aithan zur Seite zu stehen, als er das Wort an die gut gelaunten Gottheiten richtete. Sie hatten sich nicht vom Fleck bewegt. Manche standen ganz hinten im Saal, andere auf dem Rundweg und wieder andere an Säulen gelehnt.
Nachdenklich ließ Aithan seinen Blick durch die riesige Halle gleiten, die einst so viel Schönheit beherbergt hatte. Er musste sich daran erinnern, dass er ihr die Schönheit erst zurückgeben könnte, nachdem er sie vollkommen zerstört hatte.
So wie er das Land zuerst brechen musste, um es im neuen Glanz erstrahlen zu lassen.
»Hört mich an«, bat er die Göttinnen und Götter, obwohl sie ihn bereits abwartend ansahen. Es konnte nicht schaden, etwas mehr Dramatik in seine Stimme zu legen, da sie dies zu schätzen wussten. Sie wollten Glanz und Gloria und Aithan hatte ihnen jeden Diamanten des Reiches versprochen, wenn sie ihm nur folgten. »Uns bietet sich eine einzigartige Möglichkeit, etwas Neues entstehen zu lassen. Etwas Besseres. Ihr habt für tausend Jahre geschlafen und ich verstehe, wenn Ihr … andere Dinge im Sinn habt …« Eine kurze Pause. Ein doppeldeutiges Lächeln und die Hand, die sich auf Olivias Hüfte legte. Er spürte, wie sie sich ein klein wenig versteifte, als wäre ihr die Berührung nicht ganz angenehm. Das konnte jedoch nicht sein. Sie liebte ihn. Vielleicht lag es an der Aufmerksamkeit, die ihr dadurch zuteilwurde. Aithan konzentrierte sich wieder auf das vor ihm liegende und vor allem dringlichere Problem. »Doch glaubt mir, dass es sich für Euch lohnen wird, bei mir zu bleiben.«
»Vielleicht«, grunzte Garvan, von Kopf bis Fuß in Blut getaucht. Er verschränkte seine massigen Arme vor der Brust. »Was schwebt dir vor?«
»Ich werde mich auf die Staatsangelegenheiten konzentrieren und gleichzeitig sicherstellen, dass mein Volk weiß, wen es anzubeten hat.«
»Das reicht nicht!«, mischte sich Tujan, Gott des Todes und des Lebens, ein. Er stand neben Lesha, Göttin der Fruchtbarkeit, die beinahe gelangweilt wirkte. Mit einer Hand hielt sie sich an der Balustrade fest, mit der anderen strich sie sich den Schmutz von ihrem dunklen Jagdkostüm. »Überall im Reich befinden sich Denkmäler und Tempel der Kindsgötter!«
»Darum werde ich mich kümmern«, gab Aithan zurück, bemüht, seine Ungeduld nicht mitschwingen zu lassen. »Nachdem ich einen Blick auf die Bücher und in die Schatzkammer geworfen habe, werde ich einen Teil unserer Mittel nutzen, um die Tempel umzubauen. Wir werden Monumente Euch zu Ehren errichten. In dieser Stadt und in jeder anderen in Atheira und Eflain.«
»Und was tun wir?« Maelis sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Sie war ihm am nächsten, auf der vordersten Bank sitzend und die Beine übereinandergeschlagen, sodass er ihre schlanke Fessel zwischen Saum und Schuh erkennen konnte. Seinen Blick auffangend lächelte sie ihn anzüglich an.
»Was immer Ihr wollt.« Aithan breitete die Arme aus. »Ihr könnt mich unterstützen oder Euch verteilen. Hier ein Leben aufbauen oder reisen. Eines lege ich Euch allerdings nahe – versucht zumindest, die Opferzahl gering zu halten. Schließlich wollt Ihr angebetet und gefürchtet und nicht gehasst werden.«
»Wir sind nicht gänzlich unerfahren, Menschling«, gurrte Jestin und entsandte einen Windstoß in seine Richtung, der Aithans Krone beinahe vom Kopf fegte. In letzter Sekunde konnte er sie mit einer Hand festhalten.
»Natürlich nicht. Das war nur ein Vorschlag.« Er presste die Lippen zusammen. »Etwas anderes gibt es jedoch noch, über das wir sprechen müssten: die geflüchteten Kindsgötter. Ich würde sie lieber früher als später vernichtet wissen.« Es hatte zwar nicht danach ausgesehen, aber Aithan wollte vermeiden, dass sie sich auf Jeriahs Seite schlugen und gegen sie kämpften. Glücklicherweise waren sie bisher so faul und egoistisch gewesen, wie Garvan es ihm versprochen hatte. Darauf würde sich Aithan jedoch nicht weiter verlassen.
»Und wie willst du das ohne unsere Hilfe erledigen?« Garvan schritt im Mittelgang über die Leichen auf ihn zu. Er wirkte wie ein Monster, das den dunklen Wellen entstiegen war, um ihn zu bestrafen. Das Blut trocknete auf seinen Wangen und schälte sich wie verwelkte Blätter von seiner Haut.
»Die Webhexen können die Fäden trennen, die sie mit ihren Körpern verbinden«, erklärte er ihnen seinen Plan, den er erst am Abend zuvor mit den Hexen besprochen hatte. »Ich werde eine Gruppe von ihnen aussenden, um sie nacheinander aufzuspüren und zu erledigen. Wenn dies Eurem Interesse entspricht.«
Zustimmendes Gemurmel hüllte sie ein, Garvan hielt nachdenklich inne, als ein Blitz krachend direkt vor Aithan einschlug und Cáel offenbarte. Aithan zuckte zurück, ehe er sich von dem Schock erholen konnte.
Nase an Nase standen sie sich gegenüber. Ehemals beste Freunde, einst Feinde und nun widerwillig Verbündete.
»Ich werde mich ihnen anschließen«, sagte der Gott des Blitzes. Er wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich seiner Familie zu und schritt dann Garvan entgegen. Für ihn war Aithan niemand und der neue König glaubte nicht, dass es jemals anders werden könnte. Trotz der Freundschaft, die sie einst miteinander verbunden hatte. Ihm war es deshalb nur recht, wenn Cáel den Hof so schnell wie möglich verließ.
Er beobachtete die Götter noch eine Weile, sonnte sich ein letztes Mal im Triumph der Stunde, dann bot er Olivia seinen Arm an.
Mit den Webhexern als Begleitung verließen sie den Thronsaal, um ihre neuen Gemächer aufzusuchen.
Zunächst überlegte er, in sein früheres Zimmer zu gehen, entschied sich dann dagegen. Er war kein Prinz mehr. Er war der neue König von Atheira und Eflain und königliche Gemächer standen ihm zu. Vor langer Zeit die seines Vaters und schließlich die des Eroberers Deron, kehrten sie nun in die rechtmäßigen Hände seiner Familie zurück.
Die Webhexer postierten sich vor der Tür, sodass Olivia und er allein vor der breiten Fensterfront standen, die einen Blick aufs stürmische Meer gewährte.
»Wir haben es geschafft«, wisperte er schließlich in ihr Schweigen hinein. Langsam wandte er sich ihr zu, hielt ihr Gesicht mit seinen Händen umfangen. »Wir haben den Thron. Die Krone. Das Königreich.«
»Bist du glücklich, Aithan?«, fragte sie mit einer Note in ihrer lieblichen Stimme, die er nicht deuten konnte.
»Natürlich, meine Teuerste«, antwortete er ehrlich, bevor er Zweifel und aufkeimende Abneigung in einem Kuss erstickte.