Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 9
Kapitel 1
ОглавлениеEr hatte sie getötet.
Cáel hatte sie getötet. Hatte das Blut gesehen, das sich unter ihrem leblosen Körper sammelte.
Ihre Lider geschlossen. Kein Atem ihre Lippen verlassend.
Er hatte sie mit seinen eigenen verräterischen Händen getötet.
Also wie war es möglich, dass er sie nur Augenblicke zuvor lebend gesehen hatte?
Wie war es möglich, dass Morgan lebte, wenn er das Leben der Frau, die er liebte, beendet hatte?
Um den Flu ch seiner Mutter zu brechen?
Um die Verbindung zu Morgan zu zerstören?
Mühsam rappelte er sich auf, während seine Sinne sich nicht ordnen ließen. Er war gegen eine Säule geschmettert worden und nun konnte er sich nicht mal mehr daran erinnern, warum er sich überhaupt in diesen Kampf eingemischt hatte. Alte Götter gegen neue. Aithans Anhänger gegen Jeriahs. Webhexer gegen Blutpriester und Heilerinnen.
Seine Finger zuckten und Blut floss seinen Arm herab. Die Schnittwunde unter seinem zerrissenen Hemd schloss sich allmählich. Mit sorgsamen Blicken suchte er den Thronsaal ab, in dem sich Berge von Leichen gebildet hatten, Scherben knirschten unter den schweren Stiefeln der Überlebenden, die sich noch wehrten. Servane, neue Göttin der Wahrheit, kämpfte gegen Garvan und Karel; wehrte sich gegen das Aufbäumen der Erde und den tödlichen Fäusten ihres Vaters. Tausend Jahre waren sie im Nichts versunken, nun bestraften sie ihre Kinder für den Schlaf. Servane schrie auf, als sich Karels Faust in ihre Brust bohrte. Garvan legte ihr von hinten die Hände an die Schläfen und drückte zu.
Cáel kniff die Augen zusammen, wollte dem Abschlachten nicht länger beiwohnen. Seine Gedanken kreisten nur noch um Morgan.
Sie lebte.
Er hatte es nicht sehen wollen. Die Wahrheit in dem dunklen Ort seines Herzens. Nur weil er ihre Wunden nicht mehr spiegelte, nur weil er sie vergessen hatte, nur deshalb … war die Verbindung nicht einfach verschwunden. Mit dem Opfer hatte er endlich den Fluch, den Themera auf ihn gelegt hatte, gebrochen, doch der Wunsch, der Morgans und sein Leben miteinander verknüpfte, war geblieben. Unumstößlich.
Für immer in seine Seele gebrannt.
Wut über diese unvorhergesehene Entwicklung vermischte sich mit bodenloser Erleichterung, dass sie noch lebte.
Morgan war nicht hinter den Schleier getreten. Sie wandelte noch auf Erden. Es gab noch eine Möglichkeit, sie zu … Was? Sie von seinen Gefühlen zu überzeugen?
Er stieß ein selbstironisches Lachen aus inmitten des Saals, von niemandem beachtet.
Sobald sie ihm gegenüberstand, würde sie versuchen, ihn zu töten. Es gab keine Zukunft für sie. Hatte es nie gegeben. Natürlich waren ihre Gefühle ihm gegenüber nie echt gewesen. Er hatte es in ihren Blicken gesehen, in ihrem Kuss gespürt. Für sie gab es nur den Hauptmann und er sollte sich damit abfinden. Hatte sich damit abgefunden, als er den Dolch in ihren Bauch gerammt hatte, in dem Moment, als sie sich für eine Sekunde gestattet hatte, ihm zu vertrauen. Ja, vielleicht hatte er sie bestrafen wollen für ihr falsches Spiel.
Für das Herz, das nicht ihm gehörte.
Aithan saß auf dem Thron, nach dem er sich so verzweifelt gesehnt hatte. Ein kleiner Junge wie … Er spann den Gedanken nicht weiter. Konnte sich selbst nicht in dem abfälligen Licht sehen, in das er Aithan tauchte. Olivia stand neben ihm, die Augen weit aufgerissen. Sah sie die Zerstörung, die sie über Yastia hereingebracht hatten? Fühlte sie den Schmerz der sterbenden Priester, Adligen und Heilerinnen?
Warum beschäftigte sich Cáel plötzlich mit den Gefühlen anderer?
Morgan. Es war ihre Schuld.
Wenn sie nur tot geblieben wäre. Wenn sie nur davongelaufen wäre …
Er war armselig. Erbärmlich. Dass er sich darüber Gedanken machte.
Sich von den verebbenden Kämpfen abwendend, stieg er die Treppe nach oben, die auf den Balkon führte. Von dort aus konnte er durch die zerstörten Fenster in die Nacht hinaussehen. Auf die brennende Stadt. Aithan hatte seinen Leuten freie Hand gewährt, sich zu nehmen, was sie wollten. Am Morgen würde er als neuer König offiziell den Thron besteigen und Cáel … Cáel fühlte sich beinahe so verloren wie damals im Schnee.
»Ich bin stolz auf dich, mein Sohn.« Karel hatte sich ihm angeschlossen. Er legte seine Unterarme auf der geschwungenen Balustrade ab und hielt den Blick auf die Zerstörung gerichtet, anstatt die Stadt anzusehen. »Nur durch deinen Ehrgeiz ist es uns möglich geworden, wieder unsere Rollen einzunehmen. Ein paar der Kindsgötter konnten fliehen, aber wir werden sie finden …«
Kindsgötter. Cáel hasste den Begriff, so beschrieb es doch auch ihn. Nur weil er zwei Gottheiten als Eltern besaß, machte ihn das nicht weniger zu einem ihrer Kinder. Er war weder ihnen gleichgestellt noch den Halbgöttern, die sie nun finden und jagen mussten. Was tat er hier eigentlich?
Er hatte Jahrhunderte damit verbracht, einen Weg zu finden, die alten Götter zu erwecken, um sich endlich irgendwo zugehörig zu fühlen, und nun wünschte er sich an einen anderen Ort.
»Ich habe getan, was ich tun musste«, antwortete er, als Karels Ungeduld fast greifbar wurde. Der Gott das Kampfes war seinem Sohn vor seiner Erweckung vielleicht nie zuvor begegnet, dennoch schien er in Cáels Innerstes blicken zu können.
»Und nun werden wir sie für den Tod deiner Mutter bestrafen«, bohrte Karel weiter, als würde er Cáels Treue testen wollen.
»Natürlich.« Cáel neigte den Kopf.
Ein gellender Schrei lenkte Karels Aufmerksamkeit von ihm ab und zurück zum Thronsaal, in dem sich eine Heilerin gegen die grobe Behandlung eines Webhexers wehrte. Die überlebenden Bluthexen würden allesamt gefangen und irgendwo eingepfercht werden. Noch wusste Cáel nicht, was Aithan mit ihnen vorhatte, doch es erwartete sie sicherlich nichts Gutes.
Er nutzte die Möglichkeit, um sich davonzuschleichen. Hier konnte er nicht nachdenken, fand nicht die Ruhe, nach der er sich sehnte. Noch am Morgen war er sicher gewesen, das Richtige zu tun, obwohl sich sein Herz hohl und verfault angefühlt hatte. Dabei hatte er geglaubt, nicht mal dazu imstande zu sein, zu lieben und damit Garvans Plan zu befolgen. Nun aber belehrte ihn sein schmerzendes Inneres eines Besseren.
Weiterhin hegte er starke Gefühle für Morgan und sie zu sehen hatte ihn die Klippe hinabstürzen lassen.
Ohne sich um die anderen Gottheiten zu kümmern, verließ er den Thronsaal durch eine aus den Angeln gerissene Tür, wanderte über den blutbefleckten Teppich, umging entstellte Leichen und übel zugerichtete Wachmänner, die gerade so noch an ihrem Bewusstsein festhielten. Dann stieß er auf ein bekanntes Gesicht.
Dylain, der Sohn des Dux Aliquis’ und der Gatte von Jeriahs Schwester. Er hatte Cáel noch nicht bemerkt und kroch mit schwersten Verletzungen über den Boden zur Tür, die zu den Dienstbotentreppen führte. Keuchend arbeitete er sich Zentimeter für Zentimeter vor, die Fingernägel über den Stein kratzend, als er den Teppich verließ, während Cáel ihn beobachtete.
Nachdenklich lehnte er gegen die Wand und wartete darauf, dass dieser Feigling, der gern Frauen schlug, aufgab. Doch er klammerte sich wie ein Ertrinkender an die Hoffnung, hinter der Tür Freiheit und Heilung zu finden. Als könnte er sich von der Stichwunde in seinem Rücken erholen. Keine der Heilerinnen würde auch nur einen Finger krumm machen, um ihm zu helfen.
Cáel fühlte sich gelangweilt, nachdem Dylain auch nach weiteren Minuten nicht die Tür erreicht hatte, und so trat er um die kriechende Gestalt herum. Mit einem arroganten Lächeln, dem Morgan stets mit einem Augenverdrehen ihrerseits begegnet war, ging er vor ihm in die Hocke und rief seine Macht. Kleine Blitze zuckten zwischen den Fingern seiner ausgestreckten Hand, die Dylains Gesicht fast berührten. Dessen Augen weiteten sich vor Schreck.
»Herzog … Nygaard«, keuchte Dylain. »Helft mir …« Wie konnte er die drohenden Blitze ignorieren? Oder die Abscheu in Cáels Augen?
»Natürlich, mein Herr«, knurrte Cáel, bevor die Blitze von seinen Fingern auf Dylain übersprangen und diesen unkontrolliert erzittern ließen. Dampf stieg von seinem krampfenden Körper auf und verbreitete den Geruch von verbranntem Fleisch. Sekunden später starrte der Sohn des Hohe Priesters mit offenen Augen auf den Schleier, durch den er wahrscheinlich nie gehen würde. Dafür war er zu Lebzeiten zu grausam gewesen, seine Seele zu ruhelos. Als Geist würde er die Welten bewandern, ohne Ziel und ohne Rast.
Zufrieden richtete sich Cáel auf, als sich die Spitze eines Messers in seinen unteren Rücken bohrte. Tief genug, um seine Haut zu durchbrechen. Eine Hand legte sich auf seinen Arm, fest und entschlossen.
»Nett, dass du dieses Schwein erledigt hast«, erklang eine ihm bekannte Stimme, dennoch dauerte es einen Moment, ehe er sie zuordnen konnte. Seine Schultern entspannten sich und die Fremde ließ zu, dass er sich umdrehte.
»Cardea, wie schön, dich wiederzusehen.« Ihre Miene war grimmig, die Lippen zu einer Mischung aus Abscheu und Neugier verzogen. Morgan hatte wohl bei ihrer übereilten Flucht etwas Wichtiges vergessen. »Wie kann ich dir behilflich sein?«