Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 23
Kapitel 14
ОглавлениеMorgans Griff um die Reling wurde fester. Ihre Fingernägel bohrten sich in das blau lackierte Holz, so angespannt war sie. Hinter hier herrschte rege Betriebsamkeit an Deck, da Damari sich allmählich am Horizont abzeichnete. Eine gefälschte Handelsflagge ersetzte das Piratenemblem Monteans – ein Schädel mit einer glänzenden Sichel auf schwarzem Hintergrund – und die Freibeuter machten sich die Mühe, sich für die Menge in Damari herzurichten. Die Planken wurden geschrubbt und die übrigen Seile aufgerollt, bis das Schiff unscheinbar wie jedes andere auf den Gewässern wirkte.
»In den letzten Tagen bist du sehr leise gewesen«, sagte Erik, der sich vor wenigen Minuten neben sie gestellt hatte. Er traf mit seinen Worten genau ins Schwarze. Sie hatte wahrlich kaum ein Wort gesagt, litt seit Clidnas Besuch unter Verfolgungswahn und glaubte, hinter jeder Ecke attackiert zu werden. Die Schicksalsgöttin hätte sich ihre zweifelhafte Warnung sparen können, so hatte diese nichts anderes bewirkt, als dass Morgan zu einem schreckhaften Huhn degradiert worden war.
»Es gibt viel, über das ich nachdenken musste«, antwortete sie ehrlich. Wie sollte sie mit Erik darüber reden, dass irgendwo in Atheira einer ihrer Freunde und Bekannten von einem Silbernen ersetzt worden war? Und schlimmer noch – was, wenn es Erik selbst war? Sie konnte es sich zwar kaum vorstellen, da sie eine Veränderung des Wesens bei ihm vor denen aller anderen bemerkt hätte. Doch konnte sie ihrem eigenen Urteil vertrauen?
»Natürlich«, brummte Erik. Er stand direkt neben ihr, ohne sie zu berühren. Die letzten Nächte hatten sie zwar gemeinsam in ihrer Kajüte verbracht, aber auf unterschiedlichen Pritschen. Sie hatte weder seine Nähe noch die eines anderen ertragen können.
»Entschuldige«, murmelte sie und zwang sich zu einem knappen Lächeln. Sie wollte ihn nicht von sich stoßen. Sie musste daran glauben, dass er nicht Mathas Silberner war. Insbesondere wenn dieser nicht dazu imstande wäre, die Erinnerungen der Person abzurufen, in die er sich verwandelt hatte. Sie hatte auf dem Schiff bereits so viele Gespräche mit Erik über die vergangenen Ereignisse geführt, als Silberner hätte er sicherlich Gedächtnislücken gehabt und versucht, sich rauszureden.
Und was wäre, wenn der Silberne sich alle Erinnerungen einverleibt hatte?
»Wusstest du, dass mein richtiger Name Vaida Maltanus ist?«, sagte sie eilig und wechselte damit das Thema sowohl des Gesprächs als auch ihrer Gedanken.
»Chelion hat ihn dir genannt?« Erik legte seine Unterarme auf der Reling ab und lehnte sich ein Stück vor, blickte aufs türkisfarbene Wasser hinaus, das von dem Schiff geteilt wurde.
»Ja …«, flüsterte Morgan, Erik musternd. »Ich weiß, dass ich nicht viel über ihn geredet habe, es ist nur, dass ich so … verwirrt bin. Seine Geschichte ist so ganz anders als Larkins und ich bin mir unsicher, welche ich glauben soll.«
Erik presste die Lippen zusammen und strich dann über seinen Bart, der in den letzten zwei Wochen außer Form geraten war. Wasser war das kostbarste Gut an Bord, aber Morgan wusste, dass er ihn sich stutzen lassen würde, sobald sie Damari erreicht hatten. Dennoch gefiel er ihr auch so.
Mit dem kurzen Haar und dem wilden Bart wirkte er noch gefährlicher und beeindruckender als ohnehin schon. Ihr Herz klopfte im Takt ihrer Gedanken und ihr Atem beschleunigte sich, als Erik ihren Blick auffing. Ein kleines wissendes Lächeln erschien auf seinem verlockenden Mund, ehe er ihre Unterhaltung fortsetzte, als hätte er nichts von ihren Gedanken geahnt.
»Sie beide scheinen mir sehr egoistisch und unmoralisch zu sein. Sie wollen deine Gabe für ihre eigenen Zwecke nutzen.« Er berührte sie leicht am Arm. »Ist es wichtig, ob und welche Geschichte wahr ist?«
Morgan runzelte die Stirn. »Wenn es mir hilft, besser zu verstehen, wer ich bin und woher ich komme, dann ja, Erik.«
»Natürlich, du hast recht …«
»Chelion sagte, dass meine Mutter mit ihm fliehen wollte. Sie war bereits mit Larkin verheiratet, als sie sich heimlich zu treffen begannen«, weihte sie Erik in die Geschichte ein, in der Hoffnung, dadurch Klarheit zu erlangen. »Irgendetwas musste schiefgelaufen sein, denn kurz darauf erfuhren sie von meinem Tod. Teresia hat sich daraufhin das eigene Leben genommen und Chelion hat mit seinem weitergemacht. Mehr oder weniger. Nach ein paar Jahren versuchte er, das Portal zu den Moiren zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Meinetwegen. Seine Theorie war die, dass die Gabe zu ihm zurückgekehrt wäre, wenn ich wirklich gestorben wäre. Obwohl er dessen nicht sicher sein konnte, begann er mit der Suche nach mir. Larkin hat es ihm nicht einfach gemacht und deshalb hat er …«
»… das schwarze Biest kreiert. Jac.« Traurigkeit färbte seine Stimme dunkel. Noch immer gab sich Erik die Schuld an dem Tod des Jungen, den zu beschützen er sich geschworen hatte. Nun war es Morgan, die seine Nähe suchte und sich an ihn lehnte, einen Arm um seine Mitte geschlungen.
»Durch ihn hat er mich gefunden. Daraufhin brauchte er wohl einige Zeit, bis er es selbst nach Yastia schaffte … vielleicht fürchtete er sich vor Mathas Trio. Ich weiß es nicht.« Morgan schüttelte den Kopf. »Und ich weiß auch nicht, wie genau er Jac … das Biest kreiert hat. Jac war schließlich Teil seiner getöteten Familie und … war er damals schon infiziert? Oder kam das erst später?«
Erik sagte nichts dazu, schließlich wusste er genauso wenig wie sie, was Chelion genau getan hatte. »Plötzlich ergibt Larkins Verlangen, Chelion zu töten, viel mehr Sinn. Es hat mich stutzig gemacht, da er in Larkins Version selbst der Held ist, der Mutter und Kind rettete.«
»Aber er sagte, dass Chelion sie getötet hat, glaube ich.« Sosehr sie sich auch anstrengte, ein Teil von Larkins Geschichte wurde von ihren Erinnerungen an die Angst, die sie in dem Haus im Wald empfunden hatte, überlagert. »Vielleicht ist dies Grund genug für ihn?«
»Vielleicht, aber … in beiden Versionen hat es Larkin geschafft, einen fast dreihundert Jahre alten Knochenhexer zu hintergehen, dich ihm zu entziehen und vor ihm zu verhüllen.« Erik drückte sie enger an sich. »Ich weiß, dass er einfallsreich ist, doch auch schon damals? Das scheint mir nicht möglich.«
»Das Gleiche dachte ich auch. Da muss es mehr geben. Vor allem, da Larkin sagte, dass ich ein paar Jahre in Chelions Obhut gelebt hatte, ehe er mich zurückentführte.« Morgan hob eine Schulter. »Und Chelion erwähnte, dass er an jemandem Rache verüben wollte. Könnte ebenfalls zueinander in Verbindung stehen.«
»Oder dabei handelt es sich nur um einen seiner Feinde, die er über die Jahrhunderte angesammelt hat.«
»Du hast wohl recht.« Sie seufzte. »Es ist nur … was, wenn er nicht aufgibt? Wenn er mir sogar bis hierher folgt?«
Er hielt sie an den Schultern fest und drehte sie so, dass er sie ansehen konnte. Wieder einmal verlor sie sich in dem leuchtenden Blau seiner Augen, das die Farbe des Meeres angenommen hatte.
»Dann werden wir ihn bekämpfen«, sagte er fest. »Er ist ganz allein, aber du hast Freunde. Eine Familie.« Ihr Herz flatterte bei den Worten. Eine Familie. »Wir sollten Larkin in dem Ganzen nicht vergessen.« Sie dachte zurück an den Moment, in dem er aus der Lagerhalle geflohen war und sie lautes Knurren vernommen hatte. Nachdem sie sich von dem Bannzauber hatten befreien können, war von ihm keine Spur zu sehen gewesen.
»Das Problem wird sich in ein paar Tagen von allein lösen«, murmelte sie.
»Sein Geburtstag?«, fragte Erik nach und folgte damit ihrem Gedankengang. Somit war es doch unmöglich, dass er Mathas Silberne war, oder? Und der Blick, mit dem er sie bedachte, war durch und durch Erik. Nur unter ihm erzitterte sie und fühlte sich lebendig und spürte das Verlangen, ihn an sich zu ziehen und zu küssen. Sie musste auf sich selbst vertrauen.
»Wenn der Fluch wahrlich existiert, dann wird er in einer Woche tot sein. Wenn nicht, dann gibt es für ihn keinen Grund mehr, mich zu benutzen.«
»Ich …« Er leckte sich über die Zähne. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir in der Halle eingebildet habe, aber … du hast es auch gehört, oder nicht?«
»Du meinst das Knochenbrechen und Jaulen und Knurren?« Ein eiskalter Schauder rann ihren Rücken hinab. »Nur was hat dies zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie sahen sich schweigend an, sogen das Antlitz des anderen in sich auf. Morgan war die Erste, die sich aus der Starre löste und sanft eine Hand an seine Wange legte. Sie spürte den rauen Bart unter ihren Fingerkuppen und die feine Narbe. Ganz langsam beugte er sich vor und sie kam ihm entgegen, wartete eine Haaresbreite von seinen Lippen entfernt – und dann überbrückte sie den Abstand.
Als sie ihn spürte, als er seinen Mund mit ihrem verschloss und ihre Körper in perfekter Symbiose zueinanderstanden, verflüchtigte sich jeder Zweifel, dass Erik nicht Erik war. Sie kannte ihn. Wusste, wie er sich bewegte, wie er sie hielt und wie er sie küsste.
Mit der Zunge strich er über ihre Unterlippe, ehe er eine Hand an ihre Taille legte und sie so drehte, dass sich die Reling in ihrem Rücken befand. Sie öffnete sich für ihn, stöhnte an seinen Lippen und schob eine Hand in sein Haar, als er gefühlt hundert kleine Küsse auf ihrem Hals platzierte.
Sie wollte ihn hier und jetzt.
Wen kümmerte schon das Dutzend Seemänner?
Mit einer Schwangerschaft würden sie auch noch fertig werden.
All die Gründe, die dagegen sprachen, lösten sich wie Seifenblasen auf und ließen sie befreit und aufgeregt zurück. Mit den Händen fuhr sie unter seine Jacke, berührte seine stählernen Muskeln und genoss das Gefühl, als er ihretwegen erzitterte.
Leider schien der Hauptmann noch klar bei Verstand zu sein, da er den Kuss, den sie bis in ihre Zehenspitzen spürte, unterbrach und sich einen Schritt von ihr entfernte. Jäh wurde sie wieder von ihrer Umgebung gefangen genommen. Sie spürte das Wanken des Schiffs und hörte das Gelächter der Freibeuter.
Heiße Röte stieg in ihre Wangen. Sie konnte nicht sagen, wann sie sich das letzte Mal derart geschämt hatte.
»Die Farbe steht dir«, neckte Erik sie und wich ihr nicht mal aus, als sie ihm mit der Faust gegen die Brust schlug. »Au!«
»Hast du dir verdient«, fauchte sie, bevor sie sich wieder dem Meer zuwandte, um vor allem ihr Gesicht zu verstecken.
Dann fiel ihr Blick jedoch auf die Stadt, die in den letzten Minuten näher gekommen war. Sie war beeindruckend. Strahlte in glänzendem Weiß, gespickt mit bunten Ziegeln und riesigen blauen Kuppeln, die dem Königspalast gehören mussten. Erik hatte ihr davon erzählt. Ein Hitzeschleier lag über den Dächern der höheren Gebäude und verlieh dem Ganzen etwas Mystisches.
»Beeindruckend, nicht wahr?« Erik ergriff ihre Hand und drückte sie. »Ich bin froh, die Stadt dieses Mal mit dir an meiner Seite betreten zu können. Die Monate ohne dich … Ich weiß, wir haben noch viel zu klären, aber ich hoffe, du weißt, dass du bei mir an erster Stelle stehst, Morgan.«
Tat sie das? Was war mit Jeriah?
Sie wollte nicht mit ihm darüber reden und damit den Moment zerstören. Also erwiderte sie bloß schweigend den Druck seiner Hand. Ein paar Sekunden später gesellten sich Jeriah, Rhea und Magus zu ihnen, da auch sie den Anblick in sich aufsaugen wollten.
Am Hafen herrschte reger Betrieb. Morgan wusste kaum, wohin sie schauen sollte. Die Lautstärke war ohrenbetäubend und die Menschen wirkten ganz anders als die Bewohner Yastias. Aufgeschlossener, glücklicher und vor allem bunter in ihren langen Roben und den Turbanen.
Sie hatten sich gerade auf dem Steg versammelt und wollten sich in Richtung Stadt begeben, als ihnen von einer Gruppe Frauen der Weg versperrt wurde. Sie wirkten nicht angriffslustig, obwohl sie nicht zur Seite traten.
»König Jeriah Cerva?«, fragte die Frau mit schwarzem geflochtenem Haar. Wie die anderen sechs auch, trug sie einen weißen Kaftan, der in der Mitte mit einem breiten, bunt verzierten Gürtel zusammengerafft wurde. Ein Säbel war daran befestigt sowie mehrere Beutel und kleine Messer. Ihre Augen waren schwarz geschminkt und wirkten dadurch viel zu groß für das schmale, dunkle Gesicht.
»Das bin ich«, meldete sich Jeriah zu Wort und trat vor.
»Sultana Beatrice entsandte uns, um Euch in Damari willkommen zu heißen«, sagte die Anführerin der Delegation. »Mein Name ist Shindi und ich und meine feliden werden Euch in den Palast begleiten.«
»Das ist wohl mein Zeichen, Reißaus zu nehmen«, verkündete Montean, salutierte spielerisch vor ihnen und schritt mit Elida an seiner Seite an ihnen vorbei. Shindi machte ihm und seinen Männern Platz. Elida warf einen sehnsüchtigen Blick zurück und Morgan unterdrückte ein Seufzen. Auch wenn sie froh war, dass Erik sich dadurch nicht mehr in Monteans Nähe befand, bereute sie es dennoch, dass Erik nicht den Schritt gewagt hatte, mit Elida zu sprechen.
»Vielen Dank.« Jeriah neigte den Kopf, ehe sie ihr Gepäck nahmen und den feliden hinauf zum Palast folgten.