Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 24

Kapitel 15

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Es war das erste Mal, dass Morgan auf einem Dromedar ritt und sie nahm sich vor, es nie wieder zu tun. Bei jedem Schritt hatte sie das Gefühl, aus dem Sattel katapultiert zu werden. Ihre Gesäßknochen schmerzten und ihr ganzer Körper war während der nächsten halben Stunde angespannt. Sie wagte es nicht, auch nur einmal die Hände von den Zügeln zu lösen, klammerte sich regelrecht an das Leder und hielt die Augen bis auf wenige Male auf den Hinterkopf des sandfarbenen Tieres gerichtet.

Sie hasste es.

Dennoch nahm sie aus den Augenwinkeln die Andersartigkeit der Stadt wahr.

Natürlich hatte ihr Neel damals unzählige Geschichten von seiner Heimat erzählt. Das Gefühl der Freiheit, das er nur hier verspürte, der Sinn für Gemeinschaft, der sich auch in den engen Gassen widerspiegelte, in denen Kinder mit zufällig vorbeilaufenden Erwachsenen spielten, sowie die Liebe für das Land. Die Anbetung der wenigen grünen Pflanzen, die sich so sehr von denen in Atheira unterschieden. Palmen aller Größen wuchsen aus dem trockenen Boden, Farne und Kakteen zwängten sich aus dem durch die Hitze aufgebrochenen Bitumen. Hin und wieder fand Morgan auch eine Blüte zwischen ihnen in strahlendem Rosa oder glänzendem Weiß.

Würde sie nicht von ihrem Dromedar durchgeschüttelt und von der Sonne gebraten werden, hätte sie sich augenblicklich in das Antlitz Damaris verliebt.

Der Palast befand sich auf dem höchsten von drei Hügeln und um den Eingang zu erreichen, mussten sie an einem meterlangen Wasserbecken entlang, das von beeindruckenden Palmen gesäumt wurde. Die Sonne wurde im Azurblau des Wassers gespiegelt und erhellte die sandfarbenen Fliesen, das Ocker der Tonnengewölbe und das Blau der faszinierenden Mosaiken, die die Eingänge einrahmten.

Vor dem großen Eingangstor, das weit geöffnet war und den Blick in eine weitläufige Halle bot, stiegen sie von den Dromedaren ab, was Morgan mit einem tiefen Seufzen tat. Das Tier schnaubte verächtlich, als würde es sich über ihre Schwäche beschweren.

»Ich musste mich auch erst mal daran gewöhnen«, sagte Erik mit einem amüsierten Lächeln. Er wirkte keineswegs so angeschlagen wie sie. Auf dem Schiff hatte er bereits seine Kleidung gewechselt, trug nun lockere Stoffhosen und ein langärmeliges Leinenhemd, das seine Haut vor der Sonne schützte. Morgan selbst hatte sich geweigert, da sie nicht wusste, wo sie unter solcher Kleidung ihre Waffen verstecken sollte. Nun bereute sie es, da sich bereits ein dünner Schweißfilm auf ihren gesamten Körper gelegt hatte.

Sie wurden von Shindi durch die kühle Halle geführt, während der Sand, der sich in den Falten ihrer Kleidung festgesetzt hatte, leise auf die Fliesen rieselte und unter ihren Sohlen knirschte. Schlanke weiße Säulen umgaben ihren eingeschlagenen Weg, ehe sie wieder durch einen Bogengang aus dem Gebäude traten und einen üppigen Garten erreichten. Schmetterlinge in den kräftigsten Farben und mit faszinierenden Mustern flatterten scharenweise von den Gebüschen auf und stiegen in den wolkenklaren Himmel.

Shindi brachte sie zu einem riesigen Glashaus, das der Halle in nichts nachstand. Vor der geschlossenen Tür waren zwei oberkörperfreie Wachmänner postiert. Ihre dunkle Haut schimmerte so golden wie die Dolche, die sie an ihren breiten Gürteln über weite dunkelrote Stoffhosen trugen.

Morgan fragte sich, wie sie es aushielten, Stunde um Stunde in dieser Hitze auf der Stelle zu stehen, genoss aber gleichzeitig den Anblick dieser gut gebauten Männer. Erik erwischte sie und hob beide Brauen.

Sie zuckte mit den Schultern und erntete ein wissendes Lächeln.

Sie musste seine Gedanken nicht lesen, um zu erkennen, was er dachte. Er würde sie die Wachen vergessen lassen. Heute Nacht.

Eilig konzentrierte sie sich wieder auf ihre Situation.

Ebenjene Wachmänner zogen die breite Glasdoppeltür nach außen auf und Shindi ging voran. Sie hielt sich gerade und strahlte eine solch beeindruckende innere Stärke aus, dass es ihr Morgan beinahe neidete. Wie mochte es sein, an einem Ort aufzuwachsen, an dem Frauen nicht nur respektiert wurden, sondern an dem auch von der Gesellschaft gewollt wurde, dass sie körperlich anstrengende Arbeiten übernahmen? Für einen kurzen Augenblick kostete Morgan eine so fremde, doch so beneidenswerte Freiheit, dass ihr fast schwindelig wurde.

Das Innere des Glashauses lenkte sie allerdings schnell ab. Anders als erwartet, war es nicht heiß und stickig, sondern angenehm kühl und leicht. Wie genau dies zustande kam, konnte sie im ersten Moment nicht sagen. Dann spürte sie das leichte Kribbeln in ihren Adern und sie wusste, dass jemand ganz in ihrer Nähe Blutmagie wirkte.

Um sie herum wuchsen die wunderschönsten Pflanzen in Höhe und Breite. Manche besaßen große Fächer, andere erblühten in tausend Farben, doch sie alle strahlten ein sattes Grün aus und entsandten exotische Gerüche. Einige von ihnen hatte Morgan noch nie gerochen – selbst nicht auf dem Schwarzmarkt am Stand des Idrelen Martir. Es kam ihr beinahe wie eine Ewigkeit hervor, seit sie ihn das letzte Mal in Yastia getroffen hatte, um eine getrocknete Pflanze für Cardea zu besorgen. Es war auch eine ihrer letzten Erinnerungen an Rhion, der sie allein zurückgelassen hatte, um für sich selbst zu kämpfen und einen Weg aus der Situation zu finden. Wachen hatten den Schwarzmarkt geflutet und jeden festgenommen, den sie in die Finger bekommen hatten. Nur mit Mühe war ihr eine Flucht gelungen, aber sie hatte es geschafft …

Vögel zwitscherten und kleine Äffchen hangelten sich von den Ästen der größeren Bäume. Mit großen braunen Augen sahen sie auf die Neuankömmlinge hinab, wirkten neugierig und leicht vergnügt. Die Geräusche, die sie ausstießen, ließen Morgan jedoch einen Schauer über den Rücken rinnen, der keineswegs angenehm war. Sie konnte nicht sagen wieso, aber sie fand diese Tiere auf Anhieb unsympathisch. Vielleicht war es die listige Art und Weise, wie sie die Gruppe verfolgten, oder die zunehmende Gier in ihren Blicken, als würden sie ihnen sämtliche Waffen und Kleidung stehlen wollen.

Unwillkürlich legte sie eine Hand auf Cáels Dolch. Sicher war sicher.

Vor ihnen eröffnete sich der künstlich angelegte Dschungel und sie kamen auf einem mit blau-weißem Mosaik gepflasterten Platz zum Stehen. Sultana Beatrice saß auf einem goldenen Thron, der aus Holz gefertigt worden war, wie Morgan nach einem zweiten Blick an der durchschimmernden Maserung erkannte. Neben ihr saß ihr Prinzgemahl auf einem gepolsterten Stuhl und ließ sich gerade von einem leicht bekleideten Mann Feigen reichen. Wie die Sultana wirkte er überraschend jung, keine Falten zierten ihre Gesichter und die Haut war frei von jedweden Makeln. Die Lider der Sultana waren golden geschminkt, die Lippen in einem kräftigen Rot, das stark mit ihrem Teint kontrastierte. Auf ihrem Haar, das zu dünnen Zöpfen geflochten war, trug sie eine Krone aus weißen Blüten und dünnen Zweigen. Zwei Bedienstete, die ähnlich wie die Wachmänner gekleidet waren, nur ohne Waffen, wedelten ihr mit kunstvollen Fächern frische Luft zu. Da es durch die Blutmagie kühl genug war, nahm Morgan an, dass es sich lediglich um eine Zurschaustellung handelte.

Shindi blieb rund drei Meter vor dem Thron stehen und kniete sich mit gesenktem Kopf hin.

»Ich bringe Euch König Jeriah Cerva und sein Gefolge, Eure Majestät«, sagte sie mit ernster Stimme, ohne auch nur ein einziges Gefühl zu offenbaren.

»Vielen Dank, Shindi feliden«, erwiderte die Sultana dunkel, ehe sie ihren wachen Blick auf die Gruppe richtete. Jeriah neigte ehrerbietig den Kopf, ging jedoch nicht in die Knie. Morgan tat es ihm nach. Da die Sultana nicht ihre Königin war, sah sie keinen Grund, sich vor ihr zu erniedrigen.

Das Blitzen in den Augen der Sultana verriet jedoch, dass sie alles andere als vergnügt war ob dieser Begrüßung.

»Willkommen, König Jeriah Cerva.« Ein breites Lächeln platzierte sie wie ein gut ausgewähltes Schmuckstück auf ihren Lippen. Es sollte Wärme und Vertrauen ausstrahlen, stieß Morgan jedoch nur sauer auf. Aus irgendeinem Grund kam ihr die Sultana so listig vor wie die Äffchen, die sie sich als Haustiere hielt. »Ich hoffe, dass Eure Reise schnell und problemlos verlief.«

»Vielen Dank, Sultana Beatrice«, gab Jeriah zurück. Sein eigenes Lächeln war verwegen und beinahe schelmisch. Auch er spielte eine Rolle und überraschte Morgan damit. Sie hätte ihm diese Art von Spiel in seinem momentanen Gemütszustand nicht zugetraut. Doch er war am Hof aufgewachsen. Intrigen und Lügen strömten durch seine Adern. »Die Reise war trotz kurzer Unterbrechung und der wenig schönen Umstände angenehm.«

»Es freut mich, Euch hier begrüßen zu dürfen.« Die Sultana hob eine Hand und Morgan erkannte, dass ihre Nägel golden glitzerten. Die Diener nahmen die Fächer runter und hielten sie hinter ihren breiten Rücken fest. »Der letzte Besuch einer meiner Nachbarn ist nun schon eine Weile her. Ich hoffe, Ihr bleibt für einen Moment.«

»Und ich hoffe, wir können über meine Situation reden«, wagte sich Jeriah vor. »Um eine Lösung zu finden. Gemeinsam.«

Sultana lachte hell auf. »Natürlich! Aber Ihr müsst erschöpft sein von der Reise. Bitte, erholt Euch und bedient Euch an meinen Speisen. Heute Nacht werde ich ein Bankett nur Euch zu Ehren halten.« Sie schnalzte mit der Zunge und ein weiterer Bediensteter erschien wie aus dem Nichts zwischen ihnen und Shindi. »Ihr werdet zu Euren Zimmern gewiesen und solltet Ihr etwas brauchen, werdet Ihr es bekommen. Meine Diener werden sich um Euch kümmern.«

»Vielen Dank, Sultana, Ihr seid zu großzügig«, presste Jeriah hervor, ganz und gar nicht begeistert von ihrer überwältigenden Großzügigkeit. »Doch wenn wir vielleicht noch heute reden könnten?«

Bevor sie antwortete, beugte sich ihr Prinzgemahl, dessen Namen Morgan entfallen war, zu ihr vor und flüsterte etwas in ihr Ohr. Beinahe hätte Morgan ob so viel gespielter Dramatik die Augen verdreht. Sie wollte Jeriah jedoch keine Probleme bereiten und so blieb sie stehen, ohne eine Miene zu verziehen.

»Oh, noch einen Moment«, sagte die Sultana plötzlich, Jeriahs Frage vollkommen übergehend. Suchend glitt ihr Blick über die Menge. »Ist jemand von Euch Morgan? Morgan Vespasian?«

Die Wölfin erstarrte. Erik stieß sie leicht an.

»Das bin ich«, zwang sie sich zu sagen. Jedes Wort kratzte über ihre Zunge.

»Mir wurde gesagt, dass Ihr früher oder später auf meiner Schwelle stehen würdet.« Die Sultana lächelte und dieses Mal wirkte es ehrlich.

»Von wem?«

»Einem alten Freund von mir. Ihr kennt ihn vielleicht. Rhion?«

Morgans Herz schlug so heftig gegen ihren Brustkorb, dass sie kaum die folgenden Worte unter dem Getöse vernehmen konnte.

»Einst hat er mir gedient und mein Leben gerettet. Ich erhielt vor vielen Monaten einen Brief von ihm. Er fragte mich, ob ich bereit wäre, Euch Zuflucht zu gewähren. Und noch etwas … anderes.«

»Was noch?« Morgan zitterte am ganzen Körper. Ihr war heiß und kalt gleichzeitig. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie an Rhion dachte. Wie sehr sie ihn vermisste. Seine Ratschläge. Seine Ruhe. Seine Liebe. Er hatte sie verraten, doch nur um sie zu retten. Wenn sie ihn doch hätte retten können.

»Ruht Euch aus«, wiederholte die Sultana. »Morgen werde ich es Euch zeigen. Es ist schön, endlich ein Gesicht vor Augen zu haben von der beeindruckenden Frau, die er mir beschrieben hat. Ich sehe bereits, warum er Euch so zugetan war.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Wie unsinnig von mir. Geht nun!«

Morgan wusste nicht, wie sie einen Fuß vor den anderen setzte. Konnte sich kaum daran erinnern, wie sie aus dem Glashaus und zurück in den Palast geführt wurden. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um Rhions Bitte. Er hatte vorgesehen gehabt, sie nach Damari zu bringen. Ihr hier ein neues Leben zu ermöglichen.

Niemals hatte er wohl mit dem Ereignis gerechnet, das sie letztlich an diesen Ort gebracht hatte. Um was hatte er die Sultana aber noch gebeten? Reichtümer? Ein Zuhause?

Sie ahnte schon jetzt, dass sie in dieser Nacht wohl kaum ein Auge zutun würde.

Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen

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