Читать книгу Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen - Laura Labas - Страница 13

Kapitel 5

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Rhea wanderte ziellos umher. Eine Hand auf ihrem leicht gerundeten Bauch. Nur durch ihre Magie, die sich allmählich wieder von den Strapazen der letzten Stunden erholte, konnte sie erspüren, dass ihr Kind gesund war. Ein Kind, das früher oder später auch seinen Vater brauchte.

Sie war zu feige gewesen, um Veer in ihr Geheimnis einzu­weihen, und nun konnte sie nicht einmal sagen, wo er sich befand. Ob er überhaupt noch lebte. Hatte er rechtzeitig aus dem Palast fliehen können? Oder war er dort geblieben, um nach ihr zu suchen? Um sie zu retten, obwohl sie sich von ihm abgewandt hatte?

Nur mit einem Brief hatte sie sich von ihm getrennt, ohne ihm von Venou zu erzählen. Des Öfteren hatte er daraufhin versucht, mit ihr zu sprechen, doch sie war ihm aus dem Weg gegangen.

Und nun war die Möglichkeit vergangen und sie konnte ihm nichts von seinem Kind sagen, das in ihr heranwuchs.

Sie war tief in den Bauch des Schiffes vorgedrungen, als ein leises Geräusch sie innehalten ließ. Sie sah sich suchend in dem dunklen Gang um, der bloß von einem Fadenknäuel erhellt wurde, das sie in ihrer Hand hielt. Zwei grob gezimmerte Türen führten aus dem Korridor hinaus und sie öffnete diejenige, die ihr am nächsten war.

Eine kleine Kammer, in der gerade mal ein paar Besen und Blech­eimer sowie ein kleines Mädchen mit Buch Platz fanden.

Die Tochter des Kapitäns hatte sich hierher zurückgezogen mit Hexenlicht und Sachbuch, wie Rhea einen Augenblick später erkannte. Blinzelnd sah sie zu Rhea auf.

»Verzeihung«, bat Rhea. »Ich wollte dich nicht stören.«

»Tust du nicht«, sagte das Mädchen und lächelte leicht. Seine braunen Augen waren von dichten schwarzen Wimpern umgeben, die gleiche Farbe, die auch sein dickes Haar besaß, das es zu zwei geflochtenen Zöpfen trug. »Ich mag dein Haar«, platzte es aus ihr hervor, da sie die Zeit ebenso wie Rhea genutzt hatte, um ihr Gegenüber zu mustern.

»Danke, ich mag deines auch.« Rhea sah hinter sich, aber niemand anderes war in der Nähe. »Ich bin übrigens Rhea. Vorhin ging es ja leider drunter und drüber und ich bin nicht dazu gekommen, mich dir vorzustellen.« Sie hockte sich hin.

»Mein Name ist Elida«, wisperte das Mädchen und errötete, als Rhea seinen neugierigen Blick auf die leuchtenden Fäden bemerkte. »Du bist eine Webhexe?«

Rhea nickte und reichte ihr die Fäden, die Elida zögerlich berührte. »Was liest du denn da?«

»Ungewöhnliche Wasserpflanzen mit heilender Wirkung«, schoss es aus ihr hervor und sie drehte das Buch so, dass Rhea den Titel selbst lesen konnte.

»Eine interessante Lektüre«, erwiderte die Webhexe überrascht und neigte den Kopf zur Seite.

»Sie beruhigt mich«, gab Elida zu und wirkte nunmehr traurig statt neugierig. »Niemand braucht spannende Geschichten, wenn er auf einem Schiff lebt.«

»Du erlebst bestimmt sehr viele Abenteuer, nicht wahr?« Rhea rutschte näher heran, sodass sie ihre Beine ausstrecken und sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen lehnen konnte.

»Manchmal.« Mit ihren Händen fuhr sie liebevoll über den ledernen Buchrücken, zögerlich, als würde sie den Mut sammeln, etwas für sie Schwieriges anzusprechen. Rhea wartete geduldig und vertrieb sich die Zeit, indem sie an einer schmutzigen Stelle ihres dunkelroten Kleides zupfte. »Ist er wirklich mein Bruder?«

Ein schwieriges Themengebiet, das Elida wohl besser mit jemand anderem besprechen sollte. Andererseits war Rhea nun hier und die Kleine hatte sie gefragt. Es wäre unhöflich von ihr, ihr darauf keine Antwort zu geben.

»Was hat dir dein Vater erzählt?«

»Er wollte nicht darüber reden«, murmelte sie und klemmte sich das Buch zwischen Oberschenkel und Oberkörper, die Arme um ihre Knie geschlungen.

»Vielleicht solltest du dich stattdessen an Erik selbst wenden?«, schlug Rhea vorsichtig vor, die sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt fühlte. Sie wollte Elida ja helfen, aber was wusste sie schon von komplizierten Familienverhältnissen? Sie hatte nicht mal eine.

»Ich frage dich«, beharrte die Kleine und sah Rhea an.

»Leider besitze ich nicht die Antworten darauf«, gab die Webhexe langsam zu. »Ich weiß nur, dass ihr denselben Vater habt. Ich schätze, das macht Erik zu deinem Halbbruder.«

Elida nickte, als wäre die Sache damit geklärt, und Rhea hätte vor Erleichterung beinahe geseufzt.

»Danke.«

»Nicht dafür.« Sie lächelte. »Möchtest du mitkommen? Nach oben? Vielleicht könnten wir was essen und du kannst mir mehr über deine Bücher erzählen.«

»Nächstes Mal«, wies Elida sie ab und wandte sich bereits wieder ihrem Buch zu, richtete sich auf und streifte die Traurigkeit fast mühelos von sich ab.

»In Ordnung.« Rhea erhob sich widerwillig, zögerte noch einen Moment vor der Tür. »Sprich trotzdem mit ihm. Er ist viel netter, als er aussieht«, sagte sie und zwinkerte Elida zu, ehe sie sich auf den Rückweg machte.

Am liebsten wäre sie zurückgekehrt und hätte Elida an die Hand genommen, doch das Mädchen war alt genug, sich Zeit und Ort seiner Gefechte selbst auszusuchen..

Nach einer Weile des weiteren Umherirrens fand sie den Weg zurück zu den Mannschaftskajüten, in denen auch sie untergebracht war. Die Tür zur Kapitänskajüte stand offen und der Duft von fettigen Speisen und heißem Brei wehte zu ihr herüber, als sie den kargen Gang betrat. Leises Stimmengewirr begleitete sie auf dem Weg hinein und sie lächelte ihren Freunden zu, die sich bereits zusammen mit Montean und zwei seiner Freibeuter an dem länglichen Tisch nieder­gelassen hatten. Rhea prägte sich ihre Gesichter ein, da es sich bei ihnen wohl um die Ranghöchsten unter dem Kapitän handelte und sie notfalls gebraucht wurden. Den Linken, der nur noch ein Auge besaß, konnte sie sich leicht merken. Der Rechte wirkte da schon unauffälliger mit dem braunen schütteren Haar und den eng stehenden Augen. Ein Goldzahn blitzte allerdings auf, als er den Mund öffnete, um mit einem Knochen Essensreste rauszupulen. Einauge und Goldzahn also.

Rhea setzte sich auf den freien Platz neben Jeriah, der lustlos in seinem Essen rumstocherte. Obwohl er alles verloren hatte, riss er sich zusammen, um ihr ein Lächeln zu schenken, als müsste ausgerechnet sie beschwichtigt werden.

Magus stand hinter ihnen vor dem Fenster und behielt insbesondere den Kapitän im Auge. Erik blickte immer wieder zu seinem Untergebenen, als würde er es missbilligen, dass er nicht bei ihnen am Tisch saß. So wie Rhea den Hauptmann einschätzte, hatte er Magus mehrmals gebeten, sich zu ihnen zu setzen. Magus war jedoch so stur wie er und hielt daran fest, Jeriah weiterhin als König zu behandeln. Morgan saß am anderen Kopfende und hielt das Haupt gesenkt, wirkte aber alles andere als unterwürfig und geschlagen. Nein, in ihrem Verstand rasten die Gedanken.

Rhea musste keinen Blick hineinwerfen, um das zu erkennen.

Die Wölfin, Knochenhexe und was auch sonst sie war, entwarf bereits den nächsten und übernächsten Plan. Rhea bewunderte sie und hoffte, dass sich ihre Wege nicht allzu schnell wieder trennen würden.

Das Gespräch plätscherte vor sich hin, da sie in der Anwesenheit von Montean und seinen Männern kaum über das Wichtige reden konnten. Sie wollten ihn nicht erneut provozieren. Und falls er sie verriet, gaben sie ihm keine Informationen, die er für tausend Kronen verkaufen oder gegen sie verwenden könnte.

Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, entschuldigte er sich und verließ mit Einauge und Goldzahn die Kajüte. Sofort erhob sich Erik, folgte ihm und wartete einen Moment im Gang ab, bis er zurückkehrte und die Tür hinter sich schloss. Rhea webte ein Netz um sie herum, sodass sie nicht belauscht werden konnten, und Jeriah nickte ihr dankend zu. Abgesehen von ihm spürte nur Morgan, dass sie etwas mit ihrer Magie getan hatte, Erik und Magus machten weiter, als wäre nichts geschehen.

Magus veränderte seine Position und stellte sich vor die Tür, die Hand auf seinem Schwertknauf. Erik blieb ebenfalls stehen, bevor er zum Tisch wankte. Der Wellengang hatte sich während der letzten Stunde verschlimmert, blieb aber ruhig genug, um sich keine Sorgen über einen weiteren Sturm machen zu müssen.

»Vielleicht war ich noch halb im Schock, doch hörte ich dich vorhin richtig? Du hast einen Weg gefunden, wie wir mein Schicksal ändern können?«, begann Jeriah zögerlich und sah Morgan das erste Mal ohne Abneigung an, was Rhea als Erfolg wertete. Sie selbst glaubte nicht für eine Sekunde, dass diese Erik und somit Jeriah verraten hatte.

»Nicht nur irgendeinen Weg«, bestimmte Morgan genauer. »Ich bin der Schlüssel, um die Schicksalsinsel Criena zu betreten, was gute Neuigkeiten sind, schätze ich.«

Rhea konnte es kaum fassen, dass sie sich über diese Möglichkeit unterhielten, als wäre es das Normalste der Welt. Vielleicht war es das auch. Götter und Göttinnen streiften erneut durch Städte und Wälder, wandelten unter ihnen, als wären sie nie fort gewesen. Und sie, Rhea, befand sich inmitten einer Gruppe, die gegen sie bestehen musste. Die plante, ihrer aller Schicksal zu verändern.

Noch vor einem Jahr hätte sich Rhea dies nicht mal erträumen können. Das größte Abenteuer für sie war es gewesen, einen Schritt außerhalb ihrer Zelle zu tun. Nicht mehr. Nicht weniger.

Was für ein tristes Dasein sie geführt hatte und wie dankbar sie für jeden Brotkrumen gewesen war, den ihr Helmar, der ehemalige Kerkermeister, gereicht hatte.

»Aber es gibt auch schlechte?«, hakte Jeriah nach.

»Wir bewegen uns weg vom Portal, wenn ich richtigliege.« Morgan beugte sich vor, die Hände auf der Tischplatte ineinander verschränkt schob sie den nun leeren Teller in die Mitte. »Wir müssen früher oder später nach Yastia zurück, um das Tor zu öffnen.«

»Das ist Selbstmord«, murmelte Jeriah. Rheas Herz wurde leichter, als sie beobachten konnte, wie er sich durch die Trauer kämpfte, um an eine Zukunft zu denken. Wie er an einer Zukunft arbeitete, anstatt sich von dem Schmerz in seinem Inneren lähmen zu lassen.

»Wenn wir genau jetzt zurückkehren würden? Ja.« Morgan nickte zur Untermalung ihrer kompromisslosen Worte. Sie strahlte eine solche Stärke und Unerschütterlichkeit aus, dass sich Rhea unweigerlich fragte, ob sie sich im Gegensatz zu Jeriah nicht zu weit von ihren Gefühlen entfernt hatte. Möglicherweise wusste Morgan jedoch besser einzuschätzen, wann sie sich gehen lassen und ihre Gefühle zeigen konnte, als jeder andere. Rhea eingeschlossen. »Ich bin nicht so dumm, um das Gegenteil zu glauben. Ich werde mit euch gehen. Nach Minst, um unsere Vorräte aufzustocken, und nach Damari. Vielleicht finde ich dort sogar mehr darüber heraus, was mich erwartet, sobald das Portal mit meinem Blut geöffnet wird. Ich schätze, dass der Kinderreim ein Hinweis darauf ist, aber allein darauf verlassen möchte ich mich nicht.«

»Was für ein Kinderreim?«

»In Vinuth gibt es einen Reim, von dem ich Morgan erzählt habe, nachdem der Hutmacher sie damit vertraut gemacht hat«, erklärte Erik.

»Und Larkin besitzt eine Spieluhr aus seiner Heimat, die die gleiche Melodie abspielt«, fügte Morgan an. »Ich denke, dass er ebenso davon überzeugt war. Er nutzte sie, um … um nach meinen Erinnerungen zu graben.«

»Entweder hilft der Reim oder nicht«, schloss Erik. »Es kann jedoch nicht schaden, sich auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass uns tausend Najaden und goldene Speere erwarten.«

»Aber … was wirst du tun, wenn du es auf die Insel geschafft hast?«, mischte sich Rhea das erste Mal ein, ihre Neugier war entfacht. Noch heute musste sie sich selbst davon überzeugen, nicht still zu sein. Fragen zu stellen und sich, wenn es wichtig war, in den Vorder­grund zu stellen. Sie war keine zurückhaltende Gefangene mehr. Sie war die mächtigste Webhexe, die es je gegeben hatte, auch wenn sie sich nicht immer so fühlte. »Wie willst du die mächtigsten Göttinnen davon überzeugen, unser Schicksal zu ändern?« Morgan hielt Rheas Blick stand, sagte jedoch kein Wort und das Schweigen wog so schwer, dass Rhea nicht lange brauchte, bis sie die Verknüpfungen herstellte. Sie keuchte. »Du willst sie wirklich töten?«

»Nicht alle«, lenkte Morgan ein. »Ich bin weder Larkin noch Chelion. Ich will kein Chaos. Aber vielleicht, wenn ich nur eine von ihnen töte, wird das Schicksal nicht länger diese unantastbare Sache sein. Es wird sich verändern lassen.«

»Eine Göttin töten?« Jeriah verzog das Gesicht zu einer ungläubigen Grimasse. »Wie würdest du das überhaupt tun? Ich bezweifle, dass sie deine Wurfmesser fürchten.«

»Ich bin eine Knochenhexe, schon vergessen?«, erinnerte sie ihn sanft, ohne auf seinen Sarkasmus einzugehen. »Das genaue Gegenteil ihrer eigenen Magie. Ihrer Existenz. Sie sind das Leben. Ich bin der Tod.«

»Das Risiko, das etwas schieflaufen könnte, ist zu groß. Es gefällt mir nicht.« Rhea stimmte Jeriah insgeheim zu, doch sowohl ihre Fähigkeiten als auch ihre Möglichkeiten waren begrenzt.

»Ich brauche nicht dein Einverständnis.« Das erste Mal konnte Rhea ein Gefühl aus Morgans Stimme filtern. War es Wut?

Der Prinz, nein, der König erhob sich und trat um den Tisch herum, sodass er direkt vor Morgan stand und auf sie herunter­blicken konnte. Sie rührte sich keinen Zentimeter, erwiderte stur seinen Blick, aber etwas flackerte auf ihrem Gesicht.

»Du hast mir versprochen, auf meiner Seite zu sein, Morgan«, erhob Jeriah schließlich die Stimme, als alle anderen im Raum den Atem anhielten. »Um dir zu vertrauen, erwarte ich, dass du mich als König akzeptierst und dementsprechend meine Entscheidungen. Zweifel seien dir erlaubt. Jederzeit darfst du mich herausfordern, doch ich habe das letzte Wort, wenn es um mein Land und um mein Volk geht. Du willst mein Schicksal verändern? Dann halte dich gefälligst an meine Einschätzungen.«

Morgan öffnete den Mund, doch Erik kam ihr zuvor.

»So wie ich das sehe, erstrecken sich Wochen über Wochen vor uns, in denen wir reden und uns vorbereiten können«, beschwichtigte der Hauptmann König und Hexe. »Lasst uns jetzt noch keine Entscheidungen fällen. Oder streiten. Uns bleibt für beides genug Zeit.«

Noch einen Moment länger sahen sich Jeriah und Morgan an, dann wandte er sich ab und schritt zurück zu seinem Stuhl. Allerdings setzte er sich nicht hin, sondern stützte sich auf der Lehne ab.

»Du hast recht. Was werden wir also tun, wenn Sultana Beatrice sich weigert, mir zu helfen?«

»Falls«, verbesserte ihn Rhea, die aus unerklärlichen Gründen positiver eingestellt war.

Jeriah seufzte. »Ich wäre nicht überrascht, wenn sie mir sogar ihre Gastfreundschaft vorenthält, da ich ihr nichts zu bieten habe.«

Rhea hob das Kinn und sah Jeriah durchdringend an. »Du bist intelligent, gerecht und am wichtigsten – du bist gut. Wenn sie das nicht sehen kann … Wenn ihr das nichts bedeutet und sie dir im Kampf gegen diesen selbstsüchtigen Bastard nicht helfen will, dann brauchen wir ihre Unterstützung auch nicht.«

Schweigen breitete sich ob des überraschenden Ausbruchs unter ihnen aus. Rheas Wangen erhitzten sich, aber sie weigerte sich, nach unten zu schauen oder sich für ihre Worte zu entschuldigen.

»Darauf trinke ich«, sagte Morgan, hob ihr Weinglas an und nahm dann einen kräftigen Schluck.

»Vielleicht sollten wir doch in Erwägung ziehen, Vinuth um Hilfe zu bitten«, kam es seitens Erik, der offenbar von ihrer Sturheit oder von einem anderen Argument dazu bewegt worden war, seine Stellung noch einmal zu überdenken.

»Ich dachte, deine Meinung steht fest? Du kehrst nie wieder zurück?«, hakte Jeriah vorsichtig nach, den Kopf schief gelegt. Neugierig, aber mit einer Prise Hoffnung durchsetzt.

»Dein Thron ist wichtiger als meine Gefühle.«

»Ich stimme nicht zu, dennoch …«, Jeriah hob eine Hand, als Erik widersprechen wollte, »… werde ich darüber nachdenken. Trotzdem müssen wir im Hinterkopf behalten, dass weder Vinuth noch Idrela eingegriffen haben, als mein Vater und der Dux Aliquis damals Atheira überfielen. Sie könnten weiterhin davon überzeugt sein, dass die beste Strategie die ist, sich aus unseren Problemen rauszuhalten. Bisher sind sie ja gut damit gefahren.«

»Dann müssen wir es zu ihrem Problem machen.« Morgan stellte das nunmehr leere Glas vor sich ab.

»Und wie?«

»Wir sind klug und gerissen.« Ein Lächeln zupfte an ihrem Mundwinkel. »Uns wird schon was einfallen.«

Für das erste richtige Gespräch, das sie fernab ihrer Heimat führten, war es Rheas Meinung nach gar nicht so schlecht verlaufen. Sie hatten zwar keine waghalsigen Pläne geschmiedet oder konnten den Thron in den nächsten Tagen zurückgewinnen, aber ein Hoffnungsschimmer hatte sich am Horizont gebildet. Für den Anfang war dies mehr als genug.

Morgan und Erik entschuldigten sich kurze Zeit danach und Magus folgte ihnen nach draußen; zweifellos um sich vor der Tür zu positionieren, damit er den überraschenden Eintritt eines Freibeuters verhindern konnte.

Jeriah setzte sich, da sie nun allein waren, auf Eriks verlassenen Stuhl, damit er ihre Hand ergreifen konnte.

»Ich habe dich im Stich gelassen«, begann er leise, ohne sie anzusehen. Strähnen seines hellbraunen Haares hatten sich aus seinem Zopfband gelöst und fielen ihm ins Gesicht, warfen Schatten auf seine Wangen, sodass sie seinen Ausdruck nicht lesen konnte. »Ich habe dir die Sterne versprochen, Rhea. Gelobte dir ein Königreich und Rache und jetzt haben wir nicht einmal ein Zuhause. Ich habe dir nichts zu bieten und ich würde verstehen, wenn du … wenn du dich von mir abwenden würdest. Von diesem Desaster, das mein Leben ist. Ich werde versuchen loszulassen, wenn du mich nur darum bittest. Für dich selbst. Für dein ungeborenes Kind.«

»Du weißt, dass mich nichts davon interessiert. Weder die Krone noch der Reichtum, und auch die Rache für das Vergangene wird mich nicht glücklicher machen, auch wenn Venou ihre gerechte Strafe erhalten soll«, entgegnete Rhea und wartete, bis Jeriah sie ansah. Ihr Herz klopfte heftig in ihrer Brust und Schweiß bildete sich auf ihren Handflächen, aber sie zog sich nicht zurück. So ganz genau wusste sie nicht, was sie da tat. Wusste nicht, was sie empfand und wie sie sich verhalten sollte. Was das Richtige war für sie und für ihr Kind. »Ja, ich war und bin unsicher wegen unserer gemeinsamen Zukunft, weil ich selbst nicht weiß, was von mir erwartet wird. Wie ich dieses Kind aufziehen soll; und dann ist da auch noch Veer. Wo er auch gerade ist, er hat ein Recht darauf, von seinem Kind zu erfahren und eine Rolle in seinem Leben zu spielen. Er ist sein Vater.«

»Ich würde mich ihm nie in den Weg stellen«, raunte Jeriah.

»Nicht?«, entfloh es ihr. Ohne es zu ahnen, war dies eines ihrer Vorbehalte gewesen. Konnte sich Jeriah weit genug zurückziehen, um einem anderen Mann Platz zu machen?

»Rhea, ich würde lügen, würde ich behaupten, dass es mir nichts ausmacht, ihn mit dir und mit dem Kind zu sehen, aber ich sehe ein, dass er für immer eine Rolle in deinem Leben … unserem Leben spielen wird.« Er hob ihre Hand an seinen Mund und hauchte einen Kuss darauf. »Solange es das ist, was du willst. Solange es dich glücklich macht.«

»Ich will dir glauben.«

»Dann tu es«, bat er und es hätte nicht viel gefehlt, da wäre er vor ihr auf die Knie gegangen. »Du bist alles, was ich will.«

»Ich … Ich brauche noch etwas Zeit, Jeriah«, flüsterte sie und es brach sie fast entzwei, als sie den Schmerz in seinen warmen braunen Augen sah. »Aber zweifle niemals an den Gefühlen, die ich für dich empfinde. Sie sind der einzige Grund, warum ich hier bin.«

»Das bezweifle ich.« Er schmunzelte. »Du bist viel stärker, als du denkst.«

Die versunkene Hexe: Von Göttern und Hexen

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