Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 24

»Sich rühren ist besser als gerührt sein«

Оглавление

Maria Zeh blieb allein, den Männern ihrer Generation misstraute sie. Zu viele Nationalsozialisten oder wankelmütige Sympathisanten waren unter ihnen. »Das hat etwas mit meinen Erfahrungen zu tun. Ich bin nicht kleinlich oder spießig, aber ich habe auch festgestellt, dass Frauen immer die Rechnungen bezahlen in einem Zusammenleben. Ich habe Frauen getroffen, die mit solchen Enttäuschungen lebten, doch der Mann kann immer ausziehen. Obwohl ich kein gesellschaftliches Ansehen wollte, habe ich gemerkt, dass man überhaupt kein gesellschaftliches Ansehen hat, wenn man älter ist und mit einem jüngeren Mann lebt. Ich bin auch keine Hausfrau mehr, die für einen Mann die Hemden wäscht, das wollte ich nicht mehr

Sie arbeitete ab 1945 in der Betreuungsstelle für die Opfer des Faschismus, engagierte sich in der Gewerkschaft ÖTV und gleich nach der Gründung in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – VVN. Die größte Erfüllung brachte ihr dann die Arbeit beim Stiftungsamt der Stadt Stuttgart, wo sie bis zur Pensionierung blieb. Ihr Engagement war unermüdlich, ihre Lebenssehnsucht und Lebensfreude außergewöhnlich. Einer solch aktiven Frau dieser Generation war ich nie zuvor begegnet.

Was sie ihr Leben lang nicht verlor, war die Angst vor der ›schwarzen Macht‹. Sie hatte eine große Angst vor den Faschisten und Neofaschisten. »Weil wir es gespürt haben! Glaubst du, dass man das vergisst? Ich weiß, dass die Reaktion immer zusammenhalten wird, dass wir für die stets Feinde sind

Als Beispiel führte sie an, dass die CDU-Regierung den politisch Verfolgten die Kuren abgelehnt habe. Alle seien krank aus dem Lager gekommen und auf staatliche Unterstützung angewiesen gewesen. Aus diesem Grund wollte Maria Zeh auch nie über Einzelheiten ihrer Widerstandsarbeit sprechen. Sie habe erlebt, dass antifaschistische Widerstandskämpfer, die im Verdacht standen, sich damals mit ›kriminellen‹ Mitteln zur Wehr gesetzt zu haben, nie eine Entschädigung erhalten haben. »Was mich mein Leben jetzt im Alter leben lässt, ist, dass ich – bei allen Androhungen von Verrecken und alledem – meine achtunddreißig Monate Einzelhaft durchgehalten habe, ohne jemanden belastet, verraten oder jemandem geschadet zu haben. Das hilft mir zu leben. Du kannst auch ›Stolz‹ dazu sagen. Ich werde niemals jemanden verurteilen, der sich die Pulsadern geöffnet, sich aufgehängt oder andere verraten hat. Es war eine solche Tortur, die kann man nicht beschreiben. Deshalb darf man über diese Menschen nicht urteilen. Aber dass ich die Kraft hatte, das durchzustehen, das hilft mir heute leben. Es ist ja nicht leicht, alleine zu leben im Alter, aber es ist noch schwerer, wie ich die Frauen erlebt habe, die ein paarmal verlassen wurden von einem Mann – das könnte ich nicht ertragen. Schlimm ist, dass die besten Freunde, die zehn, fünfzehn Jahre jünger sind, dass die sterben. Wie ich zum Beispiel leide über den Tod von Doris Maase und anderen, mit denen man die Enge erlebt und vieles auf Leben und Tod gewagt hat. Wenn die dann wegsterben, das ist schlimm. Es hat ja keiner gedacht, dass man so alt wird. Ich hab jetzt noch ein Leben voller Sehnsucht. Zum Beispiel hab ich mir Möbel angeschafft, da sagen die Leute: ›Ach, in deinem Alter!‹ Ich bin nicht für Luther, aber das sag ich wie Luther: ›Wenn ich wüsste, ich müsste morgen sterben, dann pflanze ich trotzdem noch ein Apfelbäumchen.‹ Das heißt, das Leben geht weiter. Ich will das. Ich leb auch noch sehr gerne. Mit allen Gebrechen und mit allem, was nicht angenehm ist. Aber ich reiß mich auch schwer zusammen. Für die Zeiten, in denen ich mich einsam fühle, hab ich mir einen Spruch von Bert Brecht angewöhnt: ›Sich rühren ist besser als gerührt sein.‹ Dann mach ich irgendwas. Ich hab immer irgendwo etwas, was man machen muss

Im Juni 1987 erkrankte Maria Zeh sehr schwer und starb im Dezember 1989 in einem Krankenhaus. Sie kennen gelernt zu haben war ein Einschnitt in meinem Leben. Die Begegnung mit ihr führte letztendlich dazu, dass ich in den folgenden fünfundzwanzig Jahren nahezu 200 Ravensbrückerinnen interviewt habe.

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

Подняться наверх