Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 34

»Ja, arisch ist rein deutsch …«

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Elfriede Schneider kam am 15. Mai 1924 in Heilbronn zur Welt. Ihre Mutter war Köchin, der Vater, zu dem sie ein inniges Verhältnis hatte, Dachdecker und überzeugter Sozialdemokrat. Elfriede hatte zwei ältere Brüder. »Kurz vor 1933, ich war damals neun Jahre alt, hat mein Vater zu mir gesagt: ›Komm, jetzt schauen wir uns mal die Braunen an.‹ Ich hab damals ein grünkariertes Kleid angehabt, mit schwarzen Lackschuhen, weißen Strümpfen, Zöpfchen, und so sind wir auf die Neckarbrücke in Heilbronn. Er nahm mich bei der Hand. Mein Onkel kam dazu. ›Jetzt geht’s los!‹ Da kamen die Braunen auf Lastwagen. Dann wurde geschrien: ›Pfui, holt sie runter!‹ Und dann ging die Rauferei los. Ich hab aber nicht kapiert, was das bedeutete

Konsequent versuchte der Vater, die kleine Tochter Elfriede in sein politisches Leben einzuführen. Später erfuhr sie, dass Vater und Onkel eine Druckerei betrieben, in der illegale Schriften für den sozialdemokratischen Widerstand hergestellt wurden, und dass ihr Vater sich für konspirative Treffen in Gaststätten als Trinker tarnte. »Er hat aber nie getrunken. Wenn mein Vater nachts heimkam, hat man ihn schon von weitem gehört. Wenn er nicht kam, wurde ich losgeschickt, um ihn zu holen. Ich hatte einen schwarzen Schäferhund gekriegt, weil ich meinen Vater immer aus dem Lokal holen musste. Meine Mutter hat gesagt: ›Wenn du hingehst, dann geht er mit.‹ Vor der Haustüre war er dann immer stocknüchtern. Da habe ich gesagt: ›Papa, du bist ja gar nicht betrunken.‹ Hat er gesagt: ›Geht niemand was an.‹ Ich wusste anfangs nicht, was er damit meinte. Jedenfalls war das am Wochenende immer so. Er hat mich immer mitgezogen, und er hat gewusst: Wenn sein Kind da ist, kann ihm nix geschehen. Das Trinken war die Tarnung. Nachbarn sind sogar zu meiner Mutter gekommen und haben gefragt, warum sie sich nicht scheiden lässt. Sie hat immer gesagt: ›Solange mein Mann mich nicht schlägt und die Kinder nicht quält, kann’s euch egal sein.‹«

Die Mutter war sehr streng, ließ dem Mädchen viel weniger Freiheiten als den Jungs, was Elfriede maßlos ärgerte. »Dann wollte ich zum BDM6. Ich wollte mehr Freiheit haben. Ich dachte, ich geh zwei-, dreimal in der Woche dorthin, und dann komme ich ein bisschen raus. Ich hab zu meinem Vater gesagt: ›Ich will zum BDM.‹ Natürlich war er entrüstet. Ich hab’s trotzdem gemacht. Ich musste aber eine arische Abstammung mitbringen. Da bin ich aufs Rathaus gerannt, und da hat sich herausgestellt, dass ich ein Achtel jüdisches Blut in mir habe. Ich bin heimgekommen und hab geheult: ›Ich darf nicht zum BDM. Was ist überhaupt arische Abstammung?‹ Ich konnte das einfach nicht begreifen. ›Ja, arisch ist rein deutsch, und du bist halt nicht rein deutsch‹, hat mein Vater gesagt. Er wollte mir alles leicht machen. Er sagte, das sei nicht schlimm, und ich durfte zu den Blauen Falken, einer Jugendgruppe der Kommunisten, die nachher verboten wurde

Als Elfriede vierzehn Jahre alt wurde, weihten Vater und Onkel sie in ihre illegalen Aktivitäten ein, zeigten ihr die geheime Druckerei im Keller und nahmen sie mit zum Verteilen von Flugblättern. »Das war der erste Einschnitt in meinem Leben. Dann hab ich gesehen, was sie da im Keller druckten. Ich musste das austragen, zusammen mit zwei Cousins. Wir Kinder waren flinker als die Älteren, und meine Brüder haben mir beigebracht, wie man durch die Finger pfeift. Ich musste Schmiere stehen. Wenn ich jemanden hörte, dann hab ich gepfiffen, und weg war ich. Wir sind wie die Ratten in die Löcher verschwunden. Ich hab die Gefahr nicht gesehen, und so war ich halt ein bisschen frecher als die anderen

Anfang 1939 hatte Elfriede Schneider die Grundschule und ihr Pflichtjahr im Haushalt beendet; eigentlich wollte sie Schneiderin werden. Es gab jedoch keine Lehrstellen. Der Krieg war bereits geplant, und die Jugendlichen sollten in Rüstungsbetrieben arbeiten »Mein Vater sagte: ›Wenn du in einen Rüstungsbetrieb gehst, musst du für Hitler Granaten und Bomben bauen.‹«

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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