Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 26

»Zur Sprache kommen«

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Als Gertrud Müller2, die Vorsitzende der Lagergemeinschaft, im Rahmen einer Tagung die anwesenden Frauen energisch aufforderte, doch endlich ihre Erinnerungen aufzuschreiben, und dann die Diskussion darüber begann, wie schwierig es wäre, sich ganz alleine und ohne Gegenüber den Erinnerungen zu stellen, war die Idee schon geboren: In derselben Nacht beschlossen meine Kollegin Helma Fehrmann und ich, die Erinnerungen dieser Frauen auf Video aufzunehmen. Als wir unsere Absicht am nächsten Tag vorstellten, erklärten sich viele spontan zu einem Interview bereit. Schnell war klar, dass die Älteste in der Runde den Anfang machen sollte. So wurde Aenne Meier3, die 1896 geborene Kreisfürsorgerin aus dem Saarland, meine zweite Interviewpartnerin. Im Dezember 1980 besuchte ich mit dem Kameramann Rolf Schnieders die Vierundachtzigjährige in ihrer Wohnung im Saarland. Sie war auf unser Gespräch gründlich vorbereitet und hatte all ihre Aufzeichnungen herausgesucht.

Durch Aenne Meier habe ich erste grundlegende Informationen über das Frauen-KZ erhalten. Akribisch, handgeschrieben in zahllosen kleinen Heften, sammelte sie seit vielen Jahren Namen und Fakten über das Frauen-KZ und fügte sie zu einem umfassenden Bericht über das Lager zusammen. Erst sehr viel später – aber da war Aenne Meier bereits gestorben4 – wurde mir bewusst, wie wenig ich über ihre Person und ihre persönlichen Erlebnisse aus dem Lager erfahren hatte und wie viele Fragen ich ihr gerne noch gestellt hätte.

In Erinnerung ist sie mir als eine ausgesprochen herzliche, wache und aufmerksame Person geblieben, die mir, der damals unerfahrenen Interviewerin, voller Verständnis und Einfühlungsvermögen alle Fragen geduldig beantwortete. Gleichzeitig achtete sie sorgsam darauf, dass ich den von ihr empfohlenen Kräutertee warm trinke und nicht vergesse, etwas zu essen. Ich fühlte mich wie in der Geborgenheit einer umsorgenden Oma.

Danach begannen unsere Reisen durch die Republik und die ersten Videointerviews mit den ehemaligen politischen Häftlingen. Der Kreis der »alten deutschen Widerstandskämpferinnen« bildete den Schwerpunkt der ersten Gruppe von Interviewpartnerinnen in den Jahren 1980 bis 1985. »Uns hat nie jemand gefragt« und »Ich bin es nicht gewohnt, von mir zu sprechen« waren Sätze, die ich oft hörte. Dazu kam die Angst: Der Wechsel von der SPD- zur CDU-Regierung im Jahr 1983 ließ die Hoffnung auf eine späte Anerkennung sinken. Furcht vor erneuter Überwachung, Bespitzelung und der Kampf um karge Entschädigungsrenten prägten die Stimmung.

Ein Übriges hatte die westdeutsche Entschädigungspolitik getan, sodass in den ersten Gesprächen vieles über die konkreten politischen Aktivitäten verschwiegen wurde: wenn beispielsweise Waffen, Sprengstoffe oder gefälschte Papiere im Spiel waren oder was die konspirative Arbeit im Untergrund anging. Meist geschah es aus Angst, dafür im Nachhinein belangt oder als ›kriminell‹ definiert zu werden, den Anspruch auf Entschädigung zu verlieren. Nicht wenige Überlebende der Konzentrationslager waren nach dem KPD-Verbot in den 50er Jahren erneut inhaftiert gewesen; ihre Kinder erlebten das Berufsverbot (z.B., weil sie in der DKP oder in der VVN engagiert waren), sie selbst erlebten Überwachung durch den Staatsschutz.

HERMINE SCHMIDT


Hermine Schmidt hatte noch nie öffentlich über ihre Erlebnisse in Ravensbrück gesprochen. Bei den Versammlungen der Lagergemeinschaft hielt sie sich im Hintergrund. Sie hörte aufmerksam zu, und wenn sie sich zu Wort meldete – was selten geschah –, sprach sie mit entrüsteter Stimme, in ihrem bergischen Dialekt Worte suchend. Sie war es nicht gewohnt zu sprechen.

Nach dem Ende ihrer mehr als zweijährigen Haft war Hermine Schmidt bei Kriegsende nach Hause zurückgekehrt. Ihr Vater hatte den Krieg nicht überlebt, er war in der Haft ermordet worden. Hermine war eng mit ihrem Vater verbunden gewesen, war ihm auch politisch gefolgt und gemeinsam mit ihm verhaftet worden. Über das, was sie während der Haftzeit erlebt hat, habe sie auch deshalb nie gesprochen, weil niemand ihr geglaubt hätte. Es sei direkt nach dem Krieg auch keine Zeit gewesen, denn im Vordergrund stand das Überleben. Mit ihren älteren Geschwistern nahm sie die kleine Weberei der Familie wieder in Betrieb, doch der Ertrag reichte kaum zum Leben. Obst und Gemüse wurden im Garten angebaut, auf dem großen Grundstück Schafe, Hühner und Ziegen gehalten.

Als wir Hermine Schmidt 1982 das erste Mal besuchten, lebte die 79-Jährige mit ihrem älteren Bruder und ihrer verwitweten Schwester noch immer in dem kleinen bergischen Haus. Hermine versorgte den Obst- und Gemüsegarten und die Haustiere. Die Bandweberei, in der glitzernde Geschenkbänder hergestellt wurden, war noch immer in Betrieb. Hermines Leben bestand aus schwerer Arbeit, ihre abgearbeiteten Hände zeugten davon. Die jährlichen Reisen zu den Treffen der Lagergemeinschaft – das Zusammensein mit den Kameradinnen – waren ihr einziger Luxus und der einzige Ort, wo sie die schweren Erinnerungen an die Haft zulassen konnte.

Geschichten aus Ravensbrück kamen in Bruchstücken aus ihr heraus, oftmals von Tränen begleitet. Insgesamt habe ich Hermine Schmidt in den Jahren 1982 bis 1987 dreimal besucht und befragt.

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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