Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 33

»Ich träume, dass man mich wieder holt«

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Von ihren Erlebnissen in der Haftzeit konnte Hermine Schmidt niemandem erzählen. »Hier konntest du nichts sagen – die meisten hier sind Nazis gewesen. Übergeschnappt waren die! Wie das im Lager gewesen ist, das haben die Nachbarn hier ja nicht geglaubt

Auch wenn das Leben weiterging, Hermine die elterliche Weberei wieder in Betrieb nahm und sich ein bescheidenes Leben einrichtete, Ravensbrück konnte sie nie vergessen. »Zuerst hab ich immer geträumt, sie haben mich wieder geholt. Lange Jahre hab ich das geträumt, und ich wusste, wenn sie einen wieder holten, kam man direkt in den Strafblock. Wenn ich jetzt darüber rede, dann bin ich schon wieder ein bisschen aufgewühlt

Hermine Schmidt wurde Mitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück. Das jährliche Zusammentreffen mit den Kameradinnen bedeutete ihr sehr viel. Selbst wenn sie nur wenig mit den anderen Ravensbrückerinnen sprach – für sie war das entscheidende Gefühl, im Kreis von Leidensgefährtinnen zu sein. »Jeder Mensch hat was, woran er sich wieder aufrichten kann, so ist das auch da. Wenn ich kann, geh ich nächstes Jahr wieder. Die Kraft hat man einfach. Das kann man vergleichen, wie ich damals nach Hause ging. Man war ja halb verhungert und hatte so viel hinter sich. So ähnlich ist das jetzt auch, wie man die Kraft aufbringt. Aber wenn ich ständig darüber reden sollte, käme ich nie zur Ruhe

Hermine Schmidt starb am 25. Januar 1995 im Alter von 89 Jahren. Bis zu ihrem Tod lebte sie von einer spärlichen Rente zusammen mit einem ihrer Brüder und ihrer Schwester in dem kleinen Schieferhaus in Beyenburg.

ELFRIEDE SCHNEIDER


Elfriede Schneider lernte ich 1983 bei der Tagung der Lagergemeinschaft Ravensbrück in Moringen kennen. Sie war zum ersten Mal dabei. Die mädchenhaft zierliche, knapp sechzigjährige Frau war die Jüngste im Kreis der Überlebenden. Zurückhaltend und schüchtern hielt sie sich am Rand des Geschehens. Beim Mittagessen des zweiten Tages saßen wir nebeneinander. Sie getraute sich kaum, Essen zu bestellen, ließ sich dann aber doch dazu überreden. Als ihr Schnitzel kam, stocherte sie lustlos auf dem Teller herum und aß kaum etwas. Dann brach es aus ihr heraus: Drei Nächte habe sie nicht geschlafen, vor Aufregung hierherzukommen. Noch nie sei sie in einem früheren Lager gewesen. Und auch wenn sie selbst nicht in Moringen inhaftiert gewesen sei, würden alle Erinnerungen an die Haft in Ravensbrück wieder lebendig werden. Sie habe schreckliche Träume und könne nichts zu sich nehmen. Dazu kam, dass niemand mit ihr sprach und manche ihr sogar zu verstehen gaben, dass sie unmöglich in Ravensbrück gewesen sein könne. Nur einmal habe sie beiläufig geäußert, dass sie im Lager keine Gemeinschaft erfahren habe, nicht diese Solidarität gekannt habe, von der permanent die Rede sei. »Dann war ich wohl in einem anderen Lager«, hatte sie die Beschreibungen der anderen kommentiert. Daraufhin habe diejenige, die zufällig neben ihr saß, gesagt, dass sie wohl keine ›Politische‹ sei.

Ein aufgeregtes Häuflein Elend saß neben mir. Meine Gedanken kreisten um die Frage, warum diese ›Neue‹ nicht so in den Kreis der Lagergemeinschaft aufgenommen worden war, wie ich es zuvor bei vielen anderen erlebt hatte. Sie hatte sich kaum an den engagierten Diskussionen beteiligt und auch zum Ausdruck gebracht, dass sie von der Politik die Schnauze voll habe. Ihre Sprache war nicht immer damenhaft.

Im Verlauf der Tagung versuchte ich so oft wie möglich an ihrer Seite zu bleiben, erfuhr immer mehr Einzelheiten aus ihrem Leben und beschloss, sie um ein Interview zu bitten. Sie war einverstanden.

Von einigen Vertreterinnen der Lagergemeinschaft wurde mir – wenn auch indirekt – zu verstehen gegeben, dass ich Elfriede Schneider nicht unbedingt befragen müsste. Was sie zu sagen habe, wäre nicht so wichtig. Als wir uns dann 1984 zum Interview bei ihr zu Hause im Schwarzwald trafen, bat sie mich zuerst in ihr Schlafzimmer, zog den Pullover aus und zeigte mir ihren Rücken, der voller Narben war. Dies, so sagte sie, seien die Spuren von Ravensbrück, die sie mir zeigen wollte, damit ich ihren Erinnerungen Glauben schenken würde. Diese Geste rührte mich zu Tränen, doch erst später erfasste ich ihre Tragweite.

Umsorgt von ihrem weitaus jüngeren Lebensgefährten Klaus, redeten wir fast drei Tage lang. Es war kein Interview wie die meisten bisherigen, in denen ich reflektierte Berichte aufnahm. Elfriede Schneider redete sich alles von der Seele. Bei meiner Abreise hatte ich den Eindruck, dass ich einer Ravensbrückerin begegnet war, die ihre Haft nie verwunden, geschweige denn verarbeitet hatte. Das Lager hatte ihr Verwundungen zugefügt, von denen sie sich nie wieder erholte. Im Alter von nur vierundsechzig Jahren ist sie 1988 gestorben.

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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