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3.1 Die Götterwelt

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Die meisten Aussagen sind bezüglich der Götterwelt möglich, auch wenn bereits eingangs einschränkend zu sagen ist, dass über die genauen Funktionen vieler Götter, geschweige denn über mythologische Begründungen oder Erklärungen von Göttern, kaum Kenntnisse vorhanden sind. Allerdings lassen sich Veränderungen in der Götterwelt der Schicht kārum II zur Schicht kārum Ib feststellen.

An der Spitze des Pantheons scheint als Stadtgöttin Annā gestanden zu haben.44 Ihr Name könnte mit dem der luwischen Göttin Anna, die zum Kreis der Göttin Ḫuwaššanna von Ḫubešna gehört, identisch sein. Dabei ist zu beachten, dass Anna praktisch auf den Kreis von Gottheiten um Ḫuwaššanna beschränkt bleibt,45 d. h. die Hauptgöttin von Kaneš hat in den religiösen Vorstellungen nach der Entstehung des hethitischen Staates keine hervorragende Rolle mehr gespielt. Die Rolle von Annā als Hauptgöttin von Kaneš – was auch die Verbindung der allgemeinen Nennung der ilat ālim (»Göttin der Stadt«) bzw. der ilat Kaneš (»Göttin von Kaneš«) mit Annā erlaubt – könnte auch der Grund sein, dass Eide vor dem Gott Aššur, vor Annā und vor dem rubā’um geschworen werden; wahrscheinlich bezieht sich auch der Titel »Herrin des Eides« (bēlat māmītim) auf sie. Der Großteil der Belege für Annā stammt aus kārum II, wobei der Rückgang der Beleglage in kārum Ib nicht nur damit zusammenhängen dürfte, dass aus Schicht II insgesamt die Mehrheit der Quellen stammt, sondern auch mit einem religionspolitischen Ereignis, nämlich der Deportation der Stadtgottheit von Kaneš durch Uḫna nach Zalpa, was Anitta im Zusammenhang mit seiner Rückholung der Statue der Göttin aus dem Norden Anatoliens erwähnt. Allerdings ist im hethitischen Anitta-Text nicht der Name Annā verwendet, sondern die hethitische Bezeichnung Dšiušummi- »unsere Gottheit« bzw. »unser Šiu«. Damit sind mehrere philologische und religionsgeschichtliche Probleme verbunden. Das geringere Problem stellt das Possessivsuffix -šummi- dar, das sich auf die 1. Person Plural bezieht.46 Das hethitische Wort šiu- kann sprachlich von der indoeuropäischen Form *dy-éu-/*di-w- »Licht(gott)« hergeleitet werden, woraus Erich Neu den Schluss zieht, dass Šiu der Name der Sonnengottheit in Kaneš war, der im Anitta-Text an manchen Stellen in der ideographischen Schreibung DUTU auftaucht. Erst in späterer althethitischer Zeit sei der »Sonnengott« (Šiu) durch den Sonnengott Ištanu verdrängt worden, so dass der Gottesname Šiu dadurch zum bloßen Appellativ »Gott« wurde.47 Geht man hingegen von der Identifizierung von Annā mit šiu- aus, so muss man hinsichtlich der Deutung von šiu- als Name des Sonnengottes feststellen, dass die assyrischen Belege kein Indiz dafür liefern, dass Annā eine (weibliche) Sonnengottheit gewesen wäre. Versteht man jedoch šiu- als Appellativ »Gott«, so gewinnt man daraus zwar keinen Hinweis auf den Charakter und Aufgabenbereich von Annā, kann aber an jenen Stellen im Anitta-Text, die von »unserer Gottheit« sprechen, problemlos an Annā denken.

Auch wenn somit šiu-/Šiu- als Sonnengottheit nicht in Frage kommt, ist eine Sonnengottheit in der sumerographischen Schreibung DUTU sowohl in den Schichten kārum II und Ib als auch in den hethitischen Texten gut nachgewiesen; der Name bleibt jedoch in vorhethitischer Zeit unbekannt, da selbstverständlich der Name Eštan für die Sonnengöttin des hattischen Gebiets innerhalb des Halysbogens sicher nicht auf die Sonnengottheit in Kaneš übertragen werden darf. Dass der Sonnengott nicht unbedeutend war, sieht man daran, dass ihm ein größeres Fest ausgerichtet wurde,48 das – wie andere Festtermine – als Terminangabe für die Rückzahlung von Schulden in einer Urkunde genannt wird (kt 89/k 432,12); über Festablauf oder genaue Datierung des Festes im Jahreslauf kann daraus aber nichts abgeleitet werden.

Aufgrund der klimatischen Verhältnisse in Zentralanatolien überrascht die wichtige Rolle eines Wettergottes wenig, allerdings ist auch hier wiederum ein Problem zu benennen: In den Texten von kārum II kommt häufig der Gottesname Nipas49 vor, der jedoch in Schicht Ib nicht mehr auftaucht. Daher ist damit zu rechnen, dass zwischen Schicht II und Ib eine Verschiebung im Pantheon geschehen ist und Nipas durch einen anderen Gott abgelöst wurde, so dass sein Name in der Überlieferung verschwindet, da auch das hethitische Pantheon keinen Gott mit diesem Namen nennt. Die große Zahl der Belege für Nipas in den Texten der Schicht II zeigt jedoch, dass er damals neben Annā der wichtigste Gott in Kaneš gewesen sein dürfte. Diese wichtige Stellung des Gottes verdeutlichen auch die Nennung von Priestern für ihn sowie die Erwähnung eines (wohl mehrtägigen) Festes für den Gott. Einen Hinweis auf die Funktion des Gottes kann man in seinem Namen finden, den die Forschung meist mit dem hethitischen Wort nepiš- »Himmel« verbindet.50 Aufgrund der Etymologie (vgl. z. B. griech. néphos; sanskrit nabhas- »Wolke«) ist dabei nicht an den lichten und sonnenklaren (vgl. indoeurop. *dy-éu-/*di-w-) Taghimmel, sondern an den bewölkten ­Himmel zu denken, dessen Wolken Niederschlag und agrarische Fruchtbarkeit bringen. Somit scheint Nipas für die »himmlischen Wettererscheinungen« verantwortlich zu sein, wobei eine solche typologische Verknüpfung – trotz des Schwindens des Namens – nicht völlig aufgegeben worden zu sein scheint, da noch Anitta mehrfach vom »Wettergott (DIŠKUR) des Himmels« spricht.51 Trotz des »Verlustes« bzw. der Änderung des Namens des Wettergottes in Kaneš scheint eine typologische Kontinuität erhalten geblieben sein, denn Anitta errichtete nach der Festigung seiner Herrschaft in Kaneš je einen Tempel für den »Wettergott des Himmels« und für »unsere Gottheit«.52 Im Nebeneinander der beiden Gottheiten kann man eine Reminiszenz an die älteren Vorstellungen des zentralen Götterpaares Nipas und Annā in Kaneš sehen, was auch ein Indiz für das weibliche Geschlecht von Annā ist. In den Texten von kārum Ib kommt ebenfalls mehrfach ein Wettergott in der sumerographischen Schreibung DIŠKUR vor (auch mit einer besonderen Erscheinungsform als DIŠKUR ša qaqqadim »Wettergott des Hauptes«53), wobei auffallend ist, dass die Texte der Schicht II diese sumerographische Schreibung nicht kennen. Die zunächst auf der Hand liegende Gleichsetzung zwischen DIŠKUR und Nipas ist aber kaum möglich, da Personennamen dieser Zeit mit dem Namen des hethitischen Wettergottes Tarḫun(a) gebildet sind. Derzeit kann man aus diesem Befund noch nicht mehr ablesen als eine offensichtliche Veränderung im Pantheon von Kaneš, indem zwei in ihren Funktionsbereichen vergleichbare Götter in zeitlich unterschiedlicher Verteilung auftauchen, wobei die Ursache für diese unterschiedliche Verteilung nicht geklärt ist. Auch die Darstellungen auf Siegeln des so genannten »anatolischen Typs« aus Kaneš stellen anscheinend unterschiedliche Wettergottheiten dar, wobei Wettergottheiten häufiger als andere Götter dargestellt sind. Oft ist der Wettergott gemeinsam mit seinem Symboltier, einem Stier, dargestellt, dessen Zügel er manchmal hält, oder der Gott steht auf einem Berg. Andere Siegelabdrücke zeigen einen Wettergott gemeinsam mit einem bewaffneten Gott auf einem Stier.54 Genauso darf man wohl auch die Rhyta in Form eines Stierkopfs mit dem Kult des Wettergottes verbinden.55

Von einer Reihe von weiteren Göttern, die in den altassyrischen Texten genannt sind, sind uns kaum mehr als die Namen bekannt:56 Aškašepa (nur in kārum Ib belegt), Ḫariḫari (nur in II), Ḫigiša, Ilali (nur in II), Ilaliyanta (nur in Ib), Kubabat, Nisaba, Parka (nur in II), Peruwa (nur in II), Tuḫtuḫani. Welche vorsichtigen religionsgeschichtlichen Rückschlüsse kann man daraus ziehen? Einige Götter sind bisher nur aus den Kültepe-Texten bekannt, wobei wir keine verlässlichen Aussagen machen können, weshalb sie uns in späterer Zeit nicht mehr fassbar sind. Denn in hethitischen Texten sind von diesen Göttern nur noch Aškašepa, Ilali, die Ilaliyant-Gottheiten, Kubaba, Nisaba, Parka und Pirwa bezeugt. Dass Parka und Peruwa in kārum Ib bisher nicht nachweisbar sind, dürfte dabei nicht auf religionsgeschichtliche Veränderungen, sondern eher auf die schlechte Beleglage in kārum Ib zurückzuführen sein, wobei Pirwa noch in hethitischen Texten mit Kaneš verbunden ist (vgl. KUB 56.54 ii 4’-8’). Ein hethitischer Inventartext (KUB 38.4) beschreibt den Gott Pirwa der Stadt Šippa, der auf einem Pferd steht, so dass man diese Beschreibung für die Deutung einer Gussform aus kārum Ib heranziehen kann, auf der ein Gott, der auf einem Equiden oder Esel steht, abgebildet ist. Hinter dem Tier ist eine Göttin abgebildet.57 Parka – sowie Annā – sind aus Texten hethitischer Zeit jedoch im luwischen Milieu verankert, das westlich von Kaneš zu lokalisieren ist. Auch Ilali und die Ilaliyant-Gottheiten sind nach der Zeit der assyrischen Handelsniederlassungen im luwischen Bereich58 nachweisbar. Kubaba hingegen ist keine »hethitische« Göttin in Kaneš, sondern stammt ursprünglich aus dem nordsyrischen Raum, wahrscheinlich aus dem Bereich von Alalaḫ.59 Eventuell kann man Darstellungen einer Göttin auf kappadokischen Siegeln, die von einem Vogel, vielleicht einer Taube, begleitet ist, als Abbildung von Kubabat interpretieren.

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