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3.2 Das Verhältnis der Gottheiten der kārum-zeitlichen Texte zur Götterwelt der hethitischen Zeit und des luwischen Gebietes

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Diese geraffte Bestandsaufnahme führt zu folgendem Ergebnis: Das »Pantheon« der anatolischen (hethitischen) Götter von Kaneš ist nach dem Zeugnis der Kültepe-Texte einerseits »frei« von Einflüssen aus dem nördlichen hattischen Bereich bzw. derjenigen Götter, die wir in hethitischen Texten den Hattiern zuweisen können. D. h. die »Verteilung« bzw. das Weiterleben der Götter aus Kaneš bestätigt die vorhin erwähnte Grenzziehung, derzufolge die Hattier im 19. und 18. Jahrhundert innerhalb des Halysbogens lebten, während die Hethiter in Kaneš auf das Gebiet südlich des Kızılırmak beschränkt waren. Dadurch müssen wir für diese Zeit von getrennten religiösen Vorstellungen entsprechend der verschiedenen Siedlungsgebiete (und der ethnisch-sprachlichen Differenzierung) ausgehen.

Während dabei die Abgrenzung zwischen hattischen (»nördlichen«) und kanesischen (»südlichen«) Gegebenheiten einigermaßen klar ist, ist eine Differenzierung zwischen hethitischen und luwischen Vorstellungen weniger deutlich. Denn neben den eigenständig genannten Göttern in den altassyrischen Texten liefern auch die theophoren Personennamen dieser Texte Einblick in die religiöse Situation. Sichere luwische Götter, deren Verehrung man durch die Personennamen feststellen kann, sind die Schicksalsgottheit Gulza, der Schutzgott Kurunta, der mit kriegerischen Aktivitäten verbundene Šanta sowie der Sonnengott Tiwad.60 Andere in den altassyrischen Texten genannte Götter von Kaneš bzw. anderer anatolischer Orte sind in hethitischer Zeit ebenfalls in Umgebungen bezeugt, die dem luwischen Raum zugeordnet werden müssen. Für die altassyrische Zeit ist dabei einerseits mit der Möglichkeit zu rechnen, dass es sich um Gottheiten handelt, die eine gemeinsame anatolische Geschichte haben, so dass sie von den – unterschiedlichen, aber eng miteinander verwandten anatolischen ethnisch-sprachlichen – Gruppen der Hethiter und Luwier verehrt wurden, wenn auch mit vielleicht unterschiedlicher Akzentuierung in ihrer lokalen Ausprägung. Genauso ist damit zu rechnen, dass es ab der Zeit der politischen Vereinigung Zentralanatoliens unter der Führung der Hethiter auch zu einer »Harmonisierung« von religiösen Vorstellungen bzw. zum Austausch religiöser Konzepte gekommen ist. Dadurch bleiben manche Rekonstruktionen der Zuordnung der Götter zu den Bevölkerungsschichten der Kültepe-Zeit sowie zum »Pantheon von Kaneš« notwendigerweise vorläufig. Wenn in hethitischen Texten von den »Göttern von Kaneš« die Rede ist, werden folgende Götter genannt:61 Aškašepa, Pirwa, die Plejaden, Maliya, eine Schutzgottheit (DLAMMA), ferner Ḫašamili, Ḫilašši, U.GUR, die Gottheit »Königin«, Šuwalija oder Zulija. Diese Götter sind in junghethitischen Texten eines »Monatsfestes« (CTH 591.IV) genannt, das enge Beziehungen zum hattischen Kult hat, so dass diese Texte nicht automatisch als Zeugnis für die »Götter von Kaneš« der altassyrischen Zeit gelten können, da mit Neuerungen zu rechnen ist. Ähnlich verhält es sich auch mit jenen Göttern, für die die »Sänger von Kaneš« nach einigen hethitischen Texten singen. Auch hier ist festzustellen, dass die Sänger von Kaneš – bereits in althethitischer Zeit – sich auch an hattische Götter wenden.62

Wichtig für die Rekonstruktion der Religionsgeschichte der Kültepe-Zeit ist in besonderer Weise Kamrušepa, die in KBo 11.22 iii 5–8, einem Festritual, gemeinsam mit einem Sänger von Kaneš genannt ist. Ebenfalls erwähnenswert für ihre Zuordnung zur Götterwelt des Bereichs von Kaneš ist das Ritual KUB 7.1 + KBo 3.8 (CTH 390.A), da dieses Ritual Kamrušepa gemeinsam mit Maliya und Pirwa nennt.63 Aufschlussreich für eine religionsgeschichtliche Rekonstruktion ist KUB 12.26 ii 3f., ein Ritualtext, in dem Kamrušepa für sich einen Thron aus Eisen (ŠA AN.BAR GIŠGU.ZA) bereitstellt, sowie KBo 37.1 r.Kol. 26b, worin sich Kamrušepa auf einen Thron setzt. Beide Stellen kann man mit der Notiz im Anitta-Text verbinden, wenn der Herrscher von Purušḫanda (aass. Burušḫattum) einen Thron aus Eisen (und ein Szepter aus Eisen) als Herrschaftsinsignien an Anitta übergibt. Wenn man diese Hinweise auf den eisernen Thron miteinander verbindet, ermöglicht dies die Schlussfolgerung, dass die Göttin Kamrušepa im luwischen Raum von Purušḫanda verehrt wurde und möglicherweise auch als »Throngöttin« für das Großkönigtum in Purušḫanda legitimierende Funktion hatte. Durch den Machtgewinn Anittas in Kaneš auf Kosten des Großkönigs von Purušḫanda ist dabei nicht nur der eiserne Thron in das Königtum von Kaneš gelangt,64 sondern die Göttin fand dadurch auch Eingang ins Pantheon von Kaneš.

Zusammenfassend kann man hinsichtlich der v. a. aus den Funden der Zeit der altassyrischen Handelsniederlassungen erschließbaren Vorstellungen von Göttern sagen, dass uns hier die älteste Form jener Religionswelt fassbar ist, die uns in der schriftlichen Überlieferung der nachfolgenden althethitischen Zeit dann deutlicher vor Augen tritt. Die Funde aus Kaneš – und anderen Orten – zeigen dabei mehrheitlich bereits hethitische Vorstellungen, allerdings lassen sich auch Elemente luwischer Religion feststellen, hingegen gibt es südlich des Halysbogens keine Hinweise auf Vorstellungen, die wir – in Textfunden seit althethitischer Zeit – als Teil des hattischen Bereichs identifizieren.

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die religionsspezifischen Aussagen der kappadokischen Texte nicht allzu umfangreich sind und dass bildliche Darstellungen nur teilweise mit den Textbefunden verbunden werden können, so dass Abbildungen auf Siegelabdrücken oder im Gussverfahren hergestellte Figürchen von Gottheiten nicht immer eindeutig interpretierbar sind. So findet sich mehrfach die Darstellung einer »Götterfamilie« oder »göttlichen Trias«, bestehend aus einer nackten Göttin, die ihre Brüste hält und neben der ein bärtiger Gott steht; zwischen beiden ist ein Mädchen – als Tochter des Paares (?) – dargestellt.65 Andere Darstellungen zeigen ein Götterpaar, bei dem die Göttin ein Kind auf dem Arm hält.66 Während man bei ersterem Darstellungstyp daran denken kann, diese Trias mit in hethitischen Texten bezeugten Götterpaaren mit einer Tochter zu vergleichen, lassen sich für die zweite Darstellung auch Analogien in der syrischen Welt finden. Manche dieser visuellen Zeugnisse entziehen sich einer gesicherten Interpretation, so dass sie nicht exakt in die rekonstruierte Religionswelt von Kaneš einzuordnen sind. In einem Fall lassen sich aber weitergehende Erkenntnisse gewinnen. Eine in kārum Ib im Jahr 2006 gefundene dünne Goldfolie zeigt eine nach links schreitende Gottheit, die in der rechten Hand eine über die Schulter gelegte Axt und mit der nach vorne ausgestreckten linken Hand die Hinterläufe eines liegenden Löwen hält. Fikri Kulakoğlu interpretiert diese Figur als Kriegsgott, da der Kriegsgott Zababa in hethitischen Texten ebenfalls mit einer solchen Axt und einem Löwen beschrieben wird.67 Hervorzuheben ist dabei aber nicht nur diese Vergleichbarkeit mit jüngeren Zeugnissen, sondern auch stilistisch ist die Darstellung mit hethitischen Götterdarstellungen vergleichbar, etwa mit einer kleinen Statue aus Dövlek aus althethitischer Zeit oder dem Kriegsgott auf dem so genannten Königstor von Ḫattuša. Solche vergleichbaren Darstellungen machen diesen kleinen Fund zu einem wichtigen Indiz für eine Kontinuität von religiösen (und künstlerischen) Vorstellungen von der kārum-Zeit in die hethitische Periode.

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