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3.3.2 Religion im häuslich-familiären Kontext

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Einige Kleinfunde sind Zeugnisse einer Religionsausübung im Rahmen eines »Hauskultes« oder der Familienreligion. Das zeigt sich deutlich bei den vorhin erwähnten Abgüssen bzw. Gussformen von Götterfigurinen, die in Wohnhäusern gefunden wurden. Die flache Rückseite dieser Figuren dürfte dabei darauf hinweisen, dass man sie an einer Wand aufhängen konnte.76 Möglicherweise stellen manche dieser Götter Schutzgottheiten der Familie oder privater Personen dar.77 Diese Interpretation stützt die Aussage eines 2001 gefundenen Textes, in dem davon die Rede ist, dass eine Priesterin eine goldene Götterfigur besitzt, die ihr von ihrem Vater gegeben wurde.78

Mit der Verehrung dieser Götter im Haus kann man auch die verschiedenen Libationsgefäße verbinden, die in relativ großer Zahl in Häusern der Unterstadt gefunden wurden. Dabei handelt es sich um zoomorphe Gefäße, die die Form verschiedener Haus- und Wildtiere ([Wild-]Schwein, Stier, Widder, Hase, Löwe, Ziege, Antilope) sowie von Vögeln (Adler, Rebhuhn) haben. T. Özgüç unterscheidet dabei drei Gruppen solcher Gefäße, nämlich stehende Tiere, liegende Tiere bzw. Gefäße, die nur den Kopf des Tieres wiedergeben.79 Möglicherweise sind solche tiergestaltigen Gefäße zur Libation von Trankopfern verwendet worden, wohingegen Texte der hethitischen Zeit solche Rhyta als Trinkgefäße nennen – anscheinend als Folge einer Veränderung ritueller Verwendung. Hervorzuheben ist dabei, dass es dafür keine Parallelen in Mesopotamien oder Syrien gibt, so dass man diese Rhyta im kultischen Kontext als eine genuin anatolische Erscheinung bewerten muss, die sich von der kārum-Zeit bis ins hethitische Großreich nachweisen lässt.80 Andere Tierfiguren – wiederum Antilope, Adler, Löwe, Stier(kopf) – schmücken auch den Rand von Schüsseln und Kannen. Da solche Gefäße meist sehr sorgfältig ausgearbeitet sind, darf vermutet werden, dass sie – zumindest teilweise – im kultischen Kontext verwendet wurden und nicht als Alltagskeramik zu bewerten sind. Die Qualität der Gefäße lässt dabei auch vermuten, dass diese Keramikgefäße in ihrer Formgebung ähnliche Gefäße aus (Edel-)Metall nachgeahmt haben.

Manche dieser Gefäße sind für das Ausgießen von Flüssigkeiten als Opfer vor Stelen verwendet worden. Aus der Unterstadt von Kaneš sind vier Räume in Häusern der Schichten Ib und Ia bekannt, in denen sich Stelen befunden haben, vor denen Opfer im Rahmen des familiären Kultes durchgeführt wurden. Diese Stelen sind rund einen Meter hoch, an der Basis jeweils ca. 30–35 cm breit und an der Spitze 10–15 cm. Yağmur Heffron konnte dabei deutlich machen, dass sich in mindestens zwei Fällen vor der Stele auch eine Einrichtung zur Aufnahme des Gussopfers befand. Dass dies nicht nur eine Praxis in Kaneš war, sondern auch anderswo, zeigt eine Darstellung eines Siegelabdrucks aus Acem Höyük aus dem 18. Jahrhundert; darauf gießt eine stehende Person ebenfalls vor einer Stele eine Opferflüssigkeit aus.81 Diese in den Häusern der Unterstadt gefundenen Stelen können dabei sehr wahrscheinlich mit dem Hauskult der Bewohner verbunden werden, wobei die »Zielgruppe« der Empfänger solcher Opfer nicht eindeutig geklärt werden kann. Man kann bei den Kulten vor diesen Stelen sicherlich an die Schutzgottheiten der Familie denken, die auch in den vorhin genannten Götterfigurinen sichtbar sind. Bei dieser Deutung kann man in Erwägung ziehen, ob diese Räume vielleicht auch von mehreren Bewohnern bzw. Haushalten in der Unterstadt als kleines Heiligtum benutzt wurden – eventuell innerhalb eines Verwandtschaftsverbandes.82 Dass dabei die Familien- bzw. Verwandtschaftsbeziehungen nicht überschritten worden sein dürften, wird dadurch wahrscheinlich, dass mindestens zwei Stelen im archäologischen Kontext eng mit Gräbern verbunden sind, da die Bewohner der Unterstadt ihre Toten unter dem Fußboden im Innern des Hauses bestattet haben. Diese Verbindung zwischen Stele und Grab führt dabei zu einer alternativen Deutung des Fundensembles, indem man die Stelen als Gedächtnisstelen für die Verstorbenen ansieht und das Ensemble mit dem Totenkult in der Familie verbindet, dieses jedoch nicht für die Anwohnerschaft – als kleines allgemeines Heiligtum – genutzt wurde. Über die Ausführung des Totenkults in dieser Zeit wissen wir jedoch nicht allzu viel. Erwähnenswert sind aber einige Goldblättchen, die anscheinend auf die Augen und auf den Mund der Toten gelegt wurden, was eine rituelle Behandlung der Verstorbenen zeigt, möglicherweise um diese Körperöffnungen vor dem Eindringen schädigender Geister in die Toten zu schützen.83

Zieht man ein Resümee hinsichtlich der religiösen Situation, die sich für die kārum-Zeit rekonstruieren lässt, so bleiben die Kenntnisse sicherlich eingeschränkt. Man darf aber wohl davon ausgehen, dass von dieser Zeit eine Kontinuität mancher Götter und Praktiken des Hauskultes bis in die althethitische Zeit besteht. Die Verlagerung des politischen Zentrums in das hattische Gebiet nördlich des Kızılırmak bewirkte jedoch für die Religion des beginnenden Hethiterreiches eine dynamische Beziehung zwischen Kontinuität und Neuerung.

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