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V. Endphase der Weimarer Republik
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Die Weltwirtschaftskrise verschärfte ab Ende 1929 die finanziellen Probleme des Reiches und der Länder,[76] so dass sich der Einsparungsdruck auf die Justiz nochmals erhöhte. Der Reichstag wurde unter dem Einfluss extremistischer Parteien zunehmend handlungsunfähig, eine kontinuierliche Staatsleitung war aufgrund der Regierungswechsel in kurzen Abständen kaum möglich. Einzige Konstante in diesen chaotischen Zeiten war das Amt des Reichspräsidenten.[77] Reichspräsident von Hindenburg erließ auf Grundlage von Art. 48 Abs. 2 WRV zahlreiche Ausnahmeverordnungen, deren strafverfahrensrechtliche Sonderregelungen den Text der RStPO überlagerten.[78] Dabei ging es zum einen „unter der Diktatur der Armut“[79] um Vorschriften zur Verfahrensvereinfachung sowie zur Beschleunigung von Strafverfahren und zum anderen um die Einrichtung von Sondergerichten, um der stark wachsenden Kriminalität Herr zu werden.[80]
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Die VO des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28. März 1931[81] schuf neue Straftatbestände im Zusammenhang mit unerlaubten Versammlungen, wobei diese Taten im Schnellverfahren abgeurteilt werden konnten, auch wenn die Voraussetzungen von § 212 RStPO nicht vorlagen.
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Die 2. AusnahmeVO vom 6. Oktober 1931[82] führte die erstinstanzliche Zuständigkeit der großen Strafkammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft wieder ein, wenn eine Voruntersuchung stattgefunden hatte. Die Staatsanwaltschaft sollte den Antrag nur stellen, wenn mehr als sechs Hauptverhandlungstage zu erwarten waren. Damit sollte die Berufung in den vielfach kritisierten „Monstre-Prozessen“ vermieden werden.[83] Der Verfahrensbeschleunigung diente die Abkürzung der Ladungsfrist im Schnellverfahren auf drei Tage bzw. 24 Stunden. Das Legalitätsprinzip wurde weiter eingeschränkt, indem Übertretungen allgemein nur verfolgt werden sollten, wenn es das öffentliche Interesse erforderte. Weiterhin konnte die Staatsanwaltschaft zur Klärung von zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfragen eine Frist setzen und nach fruchtlosem Fristablauf das Verfahren einstellen (jetzt § 154d StPO).[84] Von großer praktischer Bedeutung war die Möglichkeit des Gerichts, Privatklageverfahren einzustellen, wenn die Schuld des Täters gering und die Folgen der Tat unbedeutend waren, denn das Privatklageverfahren hatte damals eine ungleich höhere Bedeutung als heute.[85] Das Gericht entschied allein über die Einstellung, die allerdings mit sofortiger Beschwerde angefochten werden konnte. Im Privatklageverfahren wurde zudem der Rechtsmittelzug verkürzt, indem die Berufungseinlegung die anschließende Revision sperrte. Als dauerhafte Veränderung erhielten die Oberlandesgerichte die Befugnis, Revisionen durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Für die zukünftige Entwicklung war die Ermächtigung der Reichsregierung entscheidend, Sondergerichte zur Aburteilung bestimmter Straftaten in Gerichtsbezirken zu errichten, in denen ein Bedürfnis dafür bestand. Die Regierung konnte dazu auch Sonderregelungen zum Verfahren erlassen.
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Die 3. AusnahmeVO vom 8. Dezember 1931[86] regelte zur „Verstärkung des Ehrenschutzes“, dass die Gerichte in Beleidigungssachen den Umfang der Beweisaufnahme bestimmen und stets im Schnellverfahren verhandeln konnten, wenn die Staatsanwaltschaft die Verfolgung übernommen hatte.
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Die 4. AusnahmeVO vom 14. Juni 1932[87] beruhte in Teilen auf dem 1930 gescheiterten Entwurf der Reichsregierung über das Einführungsgesetz zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz (vgl. Rn. 23). Die 4. AusnahmeVO machte wesentliche Punkte der EmmingerVO und damit das „Übermaß der Rechtsmittel“[88] rückgängig, indem sie das erweiterte Schöffengericht beseitigte und dessen erstinstanzliche Zuständigkeit im Wesentlichen auf die große Strafkammer übertrug. Weiterhin bekam die Staatsanwaltschaft ein Wahlrecht, bedeutende oder umfangreiche Sachen zur großen Strafkammer statt zum Schöffengericht anzuklagen (heute § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG).[89] Damit wurde die Möglichkeit von Berufungsverfahren, die zu erheblichen Verfahrensverlängerungen in der ohnehin überlasteten Strafrechtspflege geführt hatte, eingeschränkt und zugleich die Revision aufgewertet. Die Berufung gegen Urteile des Amtsgerichts blieb grundsätzlich bestehen, jedoch schloss die Einlegung der Berufung bzw. der (Sprung-)Revision das jeweils andere Rechtsmittel aus, so dass grundsätzlich eine Rechtsmittelinstanz wegfiel.[90]
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Aus Sicht der Justizpraxis bedeuteten die Anforderungen, die das Reichsgericht zur zulässigen Ablehnung eines Beweisantrags entwickelt hatte, häufig ein „Hindernis einer raschen Justiz“, indem sie zur „Ausdehnung der Hauptverhandlung, zu unnötigen Vertagungen, evtl. zu Aufhebungen sachlich richtiger Entscheidungen aus formellen Gründen“ führten.[91] In allen Strafsachen, in denen zwei Tatsacheninstanzen eröffnet waren, also in Verfahren vor dem Amtsrichter, dem Schöffengericht und dem Landgericht als Berufungsinstanz, galt nun das freie Ermessen des Gerichts hinsichtlich der Beweisaufnahme. Dies entband allerdings nicht von der Pflicht, Beweisanträge zu bescheiden und die Wahrheit von Amts wegen zu ermitteln, so dass die Gerichte vor allem von der unbedingten Pflicht zur Berücksichtigung präsenter Beweismittel entbunden wurden.[92] Hintergrund der Regelung, die in ähnlicher Form in der EmmingerVO bestanden hatte (vgl. Rn. 15), war die Überzeugung, dass bei der Eröffnung von zwei Tatsacheninstanzen der tatsächliche Sachverhalt auch ohne besondere Regeln zur Ablehnung von Beweisanträgen hinreichend zuverlässig ermittelt werden würde.[93] Auch konnten Revisionen gegen bereits ergangene Urteile nicht mehr auf die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags gestützt werden, wenn eine Ablehnung nach neuem Recht zulässig gewesen wäre. In erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht galt das freie richterliche Ermessen hinsichtlich der Beweisaufnahme allerdings nicht, da dann keine zweite Tatsacheninstanz vorgesehen war.
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Eine gewisse Abmilderung der Ausdehnung des Schnellverfahrens nach § 212 RStPO brachten das Recht des Verteidigers zur Akteneinsicht ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Anberaumung der Hauptverhandlung und die Zulässigkeit des einfacheren Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem ab diesem Zeitpunkt. Die zulässige Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde von drei auf zehn Tage erhöht, um den Gerichten eine größere Flexibilität bei der Organisation und dem Abschluss längerer Verfahren zu geben und so das Risiko einer erneuten Hauptverhandlung wegen Überschreitung der Unterbrechungsfrist zu reduzieren. Das Strafbefehlsverfahren und das Verfahren der gerichtlichen Überprüfung einer polizeilichen Strafverfügung wurden angeglichen, indem nun auch im letzteren Fall der Antrag ohne Beweisaufnahme verworfen werden konnte, wenn der Angeklagte der Hauptverhandlung fernblieb.
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Die VO des Reichspräsidenten gegen politischen Terror vom 9. August 1932[94] verschärfte die Strafrahmen für Straftaten aus politischen Beweggründen in erheblichem Maße. Mit der VO über die Bildung von Sondergerichten vom selben Tag[95] errichtete die Reichsregierung Sondergerichte in einer Vielzahl von Gerichtsbezirken. Diese Sondergerichte waren im Wesentlichen für politisch motivierte Straftaten und sonstige Taten, die gegen die Staatsgewalt oder die öffentliche Ordnung gerichtet waren, zuständig, soweit nicht eine Zuständigkeit der Oberlandesgerichte oder des Reichsgerichts bestand. Die Sondergerichte blieben in der Regel selbst dann zuständig, wenn sich in der Hauptverhandlung die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ergab. Für das Sondergerichtsverfahren galten die üblichen Abweichungen (vgl. Rn. 4 f.). Voruntersuchung und Eröffnungsbeschluss fielen weg, die Ladungsfristen waren verkürzt. Eine mündliche Verhandlung über den Haftbefehl, den auch der Vorsitzende des Sondergerichts erlassen konnte, fand nicht mehr statt. Das Sondergericht konnte Beweisanträge ablehnen, „wenn es die Überzeugung gewonnen hat, daß die Beweiserhebung für die Aufklärung der Sache nicht erforderlich ist“. Damit wurde die Beweisantizipation in größerem Umfang zulässig und die Beweisaufnahme noch stärker in das (sonder-)gerichtliche Ermessen gestellt.[96] Das Recht zur Richterablehnung wurde eingeschränkt. Rechtsmittel waren gänzlich ausgeschlossen, die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten vor dem zuständigen ordentlichen Gericht hingegen erleichtert. Während frühere Vorschriften für das Sondergerichtsverfahren wenigstens die notwendige Verteidigung ausgeweitet hatten, galt diese nun – abgesehen vom Sonderfall des stummen oder tauben Beschuldigten – nur, wenn nach allgemeinen Vorschriften die Schwurgerichte zuständig wären. Zwar wurden diese Sondergerichte schon im Dezember 1932 wieder aufgehoben,[97] die Verfahrensregeln dienten jedoch als Vorbild der im März 1933 neu gebildeten Sondergerichte (vgl. Rn. 44).